Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

O, so wollt ich, Simeon, dir, du Geliebter, es sagen:
Was ich empfinde, seitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod stirbt,
Und, in diesem Tode, sich aller, aller erbarmet!
Aber verstummen will ich, ich will noch länger verstummen!
Meine Hand auf den Mund anbetend legen! ... So sagt' er.

Ach, du wälzest auf mich von neuem der feurigsten Schmerzen
Ganze Last! O hättst du von seinem Tode geschwiegen!
Jedes Wort, so du sprachst, ward mir zum Donner, und traf mich
Denn ich sah ihn, ich seh ihn sterben! ... Ja, theurer Johannes,
Schon erhub sich mein Geist zur gottbelohnten Vollendung
Seiner Leiden! Es glänzten mir schon des Entschlafenen Wunden!
Aber izt sink ich zurück! ... Ach, den ich weinend umfaßte!
Den ich sprachlos, zum Allerheiligsten Gottes emporhielt,
Bis ich endlich zu reden, und anzubeten vermochte,
Der, der blutet! ... (Zwar zeigte mir Gott sein Ende von ferne;
Aber, wie ich es sehe, so schrecklich zeigte mirs Gott nicht!)
Blutet itzo, verkannt! ... von Gott verlassen! ... am Kreuze! ...
Bey Verfluchten! ... Er schwieg, und unterlag dem Gedanken. ...
Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben,
Welches mit Augen des Fleisches wir ihn sahn leben! Es dringt mir
Dieser Gedanke zu tief in meine Seele! verwundet
Mich zu sehr, du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, sahe;
Und oft sah ich ihn, der, ein Lamm, die Sünde der Welt trägt,
Ach so oft umleuchteten mich der Himmlischen Freuden!
Denn kaum sah ich den blutvollen Streit; ich sah nur den Sieger!
Doch verstummen, verstummen will ich, bis Er es vollbracht hat!
Also

Der Meſſias.

O, ſo wollt ich, Simeon, dir, du Geliebter, es ſagen:
Was ich empfinde, ſeitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod ſtirbt,
Und, in dieſem Tode, ſich aller, aller erbarmet!
Aber verſtummen will ich, ich will noch laͤnger verſtummen!
Meine Hand auf den Mund anbetend legen! … So ſagt’ er.

Ach, du waͤlzeſt auf mich von neuem der feurigſten Schmerzen
Ganze Laſt! O haͤttſt du von ſeinem Tode geſchwiegen!
Jedes Wort, ſo du ſprachſt, ward mir zum Donner, und traf mich
Denn ich ſah ihn, ich ſeh ihn ſterben! … Ja, theurer Johannes,
Schon erhub ſich mein Geiſt zur gottbelohnten Vollendung
Seiner Leiden! Es glaͤnzten mir ſchon des Entſchlafenen Wunden!
Aber izt ſink ich zuruͤck! … Ach, den ich weinend umfaßte!
Den ich ſprachlos, zum Allerheiligſten Gottes emporhielt,
Bis ich endlich zu reden, und anzubeten vermochte,
Der, der blutet! … (Zwar zeigte mir Gott ſein Ende von ferne;
Aber, wie ich es ſehe, ſo ſchrecklich zeigte mirs Gott nicht!)
Blutet itzo, verkannt! … von Gott verlaſſen! … am Kreuze! …
Bey Verfluchten! … Er ſchwieg, und unterlag dem Gedanken. …
Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben,
Welches mit Augen des Fleiſches wir ihn ſahn leben! Es dringt mir
Dieſer Gedanke zu tief in meine Seele! verwundet
Mich zu ſehr, du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, ſahe;
Und oft ſah ich ihn, der, ein Lamm, die Suͤnde der Welt traͤgt,
Ach ſo oft umleuchteten mich der Himmliſchen Freuden!
Denn kaum ſah ich den blutvollen Streit; ich ſah nur den Sieger!
Doch verſtummen, verſtummen will ich, bis Er es vollbracht hat!
Alſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="34">
              <l>
                <pb facs="#f0170" n="140"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>O, &#x017F;o wollt ich, Simeon, dir, du Geliebter, es &#x017F;agen:</l><lb/>
              <l>Was ich empfinde, &#x017F;eitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod &#x017F;tirbt,</l><lb/>
              <l>Und, in die&#x017F;em Tode, &#x017F;ich aller, aller erbarmet!</l><lb/>
              <l>Aber ver&#x017F;tummen will ich, ich will noch la&#x0364;nger ver&#x017F;tummen!</l><lb/>
              <l>Meine Hand auf den Mund anbetend legen! &#x2026; So &#x017F;agt&#x2019; er.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="35">
              <l>Ach, du wa&#x0364;lze&#x017F;t auf mich von neuem der feurig&#x017F;ten Schmerzen</l><lb/>
              <l>Ganze La&#x017F;t! O ha&#x0364;tt&#x017F;t du von &#x017F;einem Tode ge&#x017F;chwiegen!</l><lb/>
              <l>Jedes Wort, &#x017F;o du &#x017F;prach&#x017F;t, ward mir zum Donner, und traf mich</l><lb/>
              <l>Denn ich &#x017F;ah ihn, ich &#x017F;eh ihn &#x017F;terben! &#x2026; Ja, theurer Johannes,</l><lb/>
              <l>Schon erhub &#x017F;ich mein Gei&#x017F;t zur gottbelohnten Vollendung</l><lb/>
              <l>Seiner Leiden! Es gla&#x0364;nzten mir &#x017F;chon des Ent&#x017F;chlafenen Wunden!</l><lb/>
              <l>Aber izt &#x017F;ink ich zuru&#x0364;ck! &#x2026; Ach, den ich weinend umfaßte!</l><lb/>
              <l>Den ich &#x017F;prachlos, zum Allerheilig&#x017F;ten Gottes emporhielt,</l><lb/>
              <l>Bis ich endlich zu reden, und anzubeten vermochte,</l><lb/>
              <l>Der, der blutet! &#x2026; (Zwar zeigte mir Gott &#x017F;ein Ende von ferne;</l><lb/>
              <l>Aber, wie ich es &#x017F;ehe, &#x017F;o &#x017F;chrecklich zeigte mirs Gott nicht!)</l><lb/>
              <l>Blutet itzo, verkannt! &#x2026; von Gott verla&#x017F;&#x017F;en! &#x2026; am Kreuze! &#x2026;</l><lb/>
              <l>Bey Verfluchten! &#x2026; Er &#x017F;chwieg, und unterlag dem Gedanken. &#x2026;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="36">
              <l>Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben,</l><lb/>
              <l>Welches mit Augen des Flei&#x017F;ches wir ihn &#x017F;ahn leben! Es dringt mir</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;er Gedanke zu tief in meine Seele! verwundet</l><lb/>
              <l>Mich zu &#x017F;ehr, du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, &#x017F;ahe;</l><lb/>
              <l>Und oft &#x017F;ah ich ihn, der, ein Lamm, die Su&#x0364;nde der Welt tra&#x0364;gt,</l><lb/>
              <l>Ach &#x017F;o oft umleuchteten mich der Himmli&#x017F;chen Freuden!</l><lb/>
              <l>Denn kaum &#x017F;ah ich den blutvollen Streit; ich &#x017F;ah nur den Sieger!</l><lb/>
              <l>Doch ver&#x017F;tummen, ver&#x017F;tummen will ich, bis Er es vollbracht hat!</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Al&#x017F;o</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0170] Der Meſſias. O, ſo wollt ich, Simeon, dir, du Geliebter, es ſagen: Was ich empfinde, ſeitdem er am Kreuz der Gerichteten Tod ſtirbt, Und, in dieſem Tode, ſich aller, aller erbarmet! Aber verſtummen will ich, ich will noch laͤnger verſtummen! Meine Hand auf den Mund anbetend legen! … So ſagt’ er. Ach, du waͤlzeſt auf mich von neuem der feurigſten Schmerzen Ganze Laſt! O haͤttſt du von ſeinem Tode geſchwiegen! Jedes Wort, ſo du ſprachſt, ward mir zum Donner, und traf mich Denn ich ſah ihn, ich ſeh ihn ſterben! … Ja, theurer Johannes, Schon erhub ſich mein Geiſt zur gottbelohnten Vollendung Seiner Leiden! Es glaͤnzten mir ſchon des Entſchlafenen Wunden! Aber izt ſink ich zuruͤck! … Ach, den ich weinend umfaßte! Den ich ſprachlos, zum Allerheiligſten Gottes emporhielt, Bis ich endlich zu reden, und anzubeten vermochte, Der, der blutet! … (Zwar zeigte mir Gott ſein Ende von ferne; Aber, wie ich es ſehe, ſo ſchrecklich zeigte mirs Gott nicht!) Blutet itzo, verkannt! … von Gott verlaſſen! … am Kreuze! … Bey Verfluchten! … Er ſchwieg, und unterlag dem Gedanken. … Habe mit mir auch Mitleid! Erinnre mich nicht an das Leben, Welches mit Augen des Fleiſches wir ihn ſahn leben! Es dringt mir Dieſer Gedanke zu tief in meine Seele! verwundet Mich zu ſehr, du Geliebter! So oft ich ihn, Simeon, ſahe; Und oft ſah ich ihn, der, ein Lamm, die Suͤnde der Welt traͤgt, Ach ſo oft umleuchteten mich der Himmliſchen Freuden! Denn kaum ſah ich den blutvollen Streit; ich ſah nur den Sieger! Doch verſtummen, verſtummen will ich, bis Er es vollbracht hat! Alſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/170
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/170>, abgerufen am 26.04.2024.