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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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heit; von der herrlichen Rose wie vor der braunen Nacht-
viole,
vergessen wir die Gestalt, wenn ihr süßer Duft
uns entzückt.

Auch ich hegte Vorurtheile gegen Madame Recamier,
als ich nach Paris kam; ich meinte, ich würde ein eitles
kokettes Wesen sehen, das, von Weihrauch benebelt, durch
Reichthum verhärtet, in der ganzen umgebenden Welt nur
sich selbst sieht und liebt; Huldigungen wie Pflichten, mit
kaltem Stolze empfängt; um sich auszuzeichnen über alle
Convenienzen sich hinweg setzt; und -- was weiß ich, zu
welchen Ketzereien die nachgeplauderten Verläumdungen
der deutschen Journalisten mich verleitet hatten. Jch war
daher zwar neugierig sie zu sehen, aber nicht sie ken-
nen zu lernen.
-- Jn der Oper war es, wo ich mei-
ne Neugier zum erstenmal befriedigte. "Dort sitzt Mada-
me Recamier," sagte Einer meiner Nachbaren, und na-
türlich drehte ich meinen Hals schnell nach der Loge, wel-
che er mir bezeichnete. Jn der vordersten Reihe suchten sie
meine Blicke, durch Diamanten vielleicht noch mehr glän-
zend, als durch Schönheit. Aber da fand ich sie nicht.
Ganz zurückgedrückt, wie ein Veilchen ins Gras, saß die
schöne Frau mit ungeschmücktem Haar, im einfachsten weis-
sen Gewande, und die Grazie der Sittsamkeit schmiegte
sich schwesterlich an sie, und sie schien sich zu schämen, daß
sie so schön sey.

Diese ihre erste Erscheinung machte einen sehr freund-
lichen Eindruck auf mich, und gern ließ ich mich nunmehr
in ihr Haus einführen. Auch da fand ich sie, obwohl in
glänzender Gesellschaft, die einfachste von allen. -- "Sie
"verstehen sich auf Jhren Vortheil, sagt Franciska in Les-
"sings Minna von Barnhelm: wenn wir schön sind, sind
" wir auch ungeputzt am schönsten." Allerdings mag auch

heit; von der herrlichen Rose wie vor der braunen Nacht-
viole,
vergessen wir die Gestalt, wenn ihr suͤßer Duft
uns entzuͤckt.

Auch ich hegte Vorurtheile gegen Madame Recamier,
als ich nach Paris kam; ich meinte, ich wuͤrde ein eitles
kokettes Wesen sehen, das, von Weihrauch benebelt, durch
Reichthum verhaͤrtet, in der ganzen umgebenden Welt nur
sich selbst sieht und liebt; Huldigungen wie Pflichten, mit
kaltem Stolze empfaͤngt; um sich auszuzeichnen uͤber alle
Convenienzen sich hinweg setzt; und — was weiß ich, zu
welchen Ketzereien die nachgeplauderten Verlaͤumdungen
der deutschen Journalisten mich verleitet hatten. Jch war
daher zwar neugierig sie zu sehen, aber nicht sie ken-
nen zu lernen.
— Jn der Oper war es, wo ich mei-
ne Neugier zum erstenmal befriedigte. „Dort sitzt Mada-
me Recamier,“ sagte Einer meiner Nachbaren, und na-
tuͤrlich drehte ich meinen Hals schnell nach der Loge, wel-
che er mir bezeichnete. Jn der vordersten Reihe suchten sie
meine Blicke, durch Diamanten vielleicht noch mehr glaͤn-
zend, als durch Schoͤnheit. Aber da fand ich sie nicht.
Ganz zuruͤckgedruͤckt, wie ein Veilchen ins Gras, saß die
schoͤne Frau mit ungeschmuͤcktem Haar, im einfachsten weis-
sen Gewande, und die Grazie der Sittsamkeit schmiegte
sich schwesterlich an sie, und sie schien sich zu schaͤmen, daß
sie so schoͤn sey.

Diese ihre erste Erscheinung machte einen sehr freund-
lichen Eindruck auf mich, und gern ließ ich mich nunmehr
in ihr Haus einfuͤhren. Auch da fand ich sie, obwohl in
glaͤnzender Gesellschaft, die einfachste von allen. — „Sie
„verstehen sich auf Jhren Vortheil, sagt Franciska in Les-
„sings Minna von Barnhelm: wenn wir schoͤn sind, sind
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[110/0114] heit; von der herrlichen Rose wie vor der braunen Nacht- viole, vergessen wir die Gestalt, wenn ihr suͤßer Duft uns entzuͤckt. Auch ich hegte Vorurtheile gegen Madame Recamier, als ich nach Paris kam; ich meinte, ich wuͤrde ein eitles kokettes Wesen sehen, das, von Weihrauch benebelt, durch Reichthum verhaͤrtet, in der ganzen umgebenden Welt nur sich selbst sieht und liebt; Huldigungen wie Pflichten, mit kaltem Stolze empfaͤngt; um sich auszuzeichnen uͤber alle Convenienzen sich hinweg setzt; und — was weiß ich, zu welchen Ketzereien die nachgeplauderten Verlaͤumdungen der deutschen Journalisten mich verleitet hatten. Jch war daher zwar neugierig sie zu sehen, aber nicht sie ken- nen zu lernen. — Jn der Oper war es, wo ich mei- ne Neugier zum erstenmal befriedigte. „Dort sitzt Mada- me Recamier,“ sagte Einer meiner Nachbaren, und na- tuͤrlich drehte ich meinen Hals schnell nach der Loge, wel- che er mir bezeichnete. Jn der vordersten Reihe suchten sie meine Blicke, durch Diamanten vielleicht noch mehr glaͤn- zend, als durch Schoͤnheit. Aber da fand ich sie nicht. Ganz zuruͤckgedruͤckt, wie ein Veilchen ins Gras, saß die schoͤne Frau mit ungeschmuͤcktem Haar, im einfachsten weis- sen Gewande, und die Grazie der Sittsamkeit schmiegte sich schwesterlich an sie, und sie schien sich zu schaͤmen, daß sie so schoͤn sey. Diese ihre erste Erscheinung machte einen sehr freund- lichen Eindruck auf mich, und gern ließ ich mich nunmehr in ihr Haus einfuͤhren. Auch da fand ich sie, obwohl in glaͤnzender Gesellschaft, die einfachste von allen. — „Sie „verstehen sich auf Jhren Vortheil, sagt Franciska in Les- „sings Minna von Barnhelm: wenn wir schoͤn sind, sind „ wir auch ungeputzt am schoͤnsten.“ Allerdings mag auch

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/114>, abgerufen am 30.04.2024.