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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Worte zu: Ich bitte, schonen Sie meine Mutter. Noch tragen ihre
Ahnungen nicht so weit wie die meinigen. Ich nehme mich übermensch¬
lich zusammen.

Menschen! Menschen! rief Moorfeld mit einem zerrissenen Blick
zum Himmel, weint, wenn ihr weinen müßt, mit einander, denn so
eben sagte mir Frau v. Milden dasselbe!

Mit wilder Hast stürzte er zum Hause hinaus.


Drittes Kapitel.

Es war keine Person, es war eine -- Rede, die jetzt durch New¬
yorks Straßentumult fuhr, als sich Moorfeld in seinen Wagen ge¬
worfen. Unaufhaltsam strömten ihm die Gedanken zu, unter deren
Wucht Benthal erliegen mußte. Sein Zorn loderte als dichterische
Begeisterung auf, -- und nie hatte Begeisterung mit solcher Frucht¬
barkeit ihn überschüttet, wie in dieser Stunde. Alles gab sie ihm ein,
was Herz und Gehirn fähig ist, er war Alles, was ein Mensch sein
kann, -- er war ganz sein Gegenstand. Wohin sein Auge fiel, jeder
Anblick des Straßenlebens wurde von der Gährung seines Inneren
aufgenommen und verbraucht. Dieser Abbruch eines alten Hauses,
jener Aufbau eines neuen, dieses Schaufenster, jenes Aushängeschild,
die Consulatsflagge, der Matrosenhut, das Negerantlitz, die schlagende
Thurmuhr -- kein Bild führten ihm seine Sinne zu, das nicht in
ein poetisches Bild, in ein tiefsinniges Gleichniß sich verwandelte, --
ganz Newyork gab sich der Moral zum Schmucke her.

So erreichte Moorfeld sein Boardinghouse. Er schickte zu Staunton
und ließ anfragen, wenn und wo Benthal zu sprechen. Seinen Namen
nannte er nicht, wie er seine Person nicht zeigte. Er wollte dem trau¬
rigsten Fall einer Verleugnung vorbeugen.

Es war die Börsenstunde, in welcher diese Anfrage geschah, und
Hr. Staunton nicht zu Hause. Im Laufe des Nachmittags sendete

Worte zu: Ich bitte, ſchonen Sie meine Mutter. Noch tragen ihre
Ahnungen nicht ſo weit wie die meinigen. Ich nehme mich übermenſch¬
lich zuſammen.

Menſchen! Menſchen! rief Moorfeld mit einem zerriſſenen Blick
zum Himmel, weint, wenn ihr weinen müßt, mit einander, denn ſo
eben ſagte mir Frau v. Milden daſſelbe!

Mit wilder Haſt ſtürzte er zum Hauſe hinaus.


Drittes Kapitel.

Es war keine Perſon, es war eine — Rede, die jetzt durch New¬
yorks Straßentumult fuhr, als ſich Moorfeld in ſeinen Wagen ge¬
worfen. Unaufhaltſam ſtrömten ihm die Gedanken zu, unter deren
Wucht Benthal erliegen mußte. Sein Zorn loderte als dichteriſche
Begeiſterung auf, — und nie hatte Begeiſterung mit ſolcher Frucht¬
barkeit ihn überſchüttet, wie in dieſer Stunde. Alles gab ſie ihm ein,
was Herz und Gehirn fähig iſt, er war Alles, was ein Menſch ſein
kann, — er war ganz ſein Gegenſtand. Wohin ſein Auge fiel, jeder
Anblick des Straßenlebens wurde von der Gährung ſeines Inneren
aufgenommen und verbraucht. Dieſer Abbruch eines alten Hauſes,
jener Aufbau eines neuen, dieſes Schaufenſter, jenes Aushängeſchild,
die Conſulatsflagge, der Matroſenhut, das Negerantlitz, die ſchlagende
Thurmuhr — kein Bild führten ihm ſeine Sinne zu, das nicht in
ein poetiſches Bild, in ein tiefſinniges Gleichniß ſich verwandelte, —
ganz Newyork gab ſich der Moral zum Schmucke her.

So erreichte Moorfeld ſein Boardinghouſe. Er ſchickte zu Staunton
und ließ anfragen, wenn und wo Benthal zu ſprechen. Seinen Namen
nannte er nicht, wie er ſeine Perſon nicht zeigte. Er wollte dem trau¬
rigſten Fall einer Verleugnung vorbeugen.

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Hr. Staunton nicht zu Hauſe. Im Laufe des Nachmittags ſendete

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[467/0485] Worte zu: Ich bitte, ſchonen Sie meine Mutter. Noch tragen ihre Ahnungen nicht ſo weit wie die meinigen. Ich nehme mich übermenſch¬ lich zuſammen. Menſchen! Menſchen! rief Moorfeld mit einem zerriſſenen Blick zum Himmel, weint, wenn ihr weinen müßt, mit einander, denn ſo eben ſagte mir Frau v. Milden daſſelbe! Mit wilder Haſt ſtürzte er zum Hauſe hinaus. Drittes Kapitel. Es war keine Perſon, es war eine — Rede, die jetzt durch New¬ yorks Straßentumult fuhr, als ſich Moorfeld in ſeinen Wagen ge¬ worfen. Unaufhaltſam ſtrömten ihm die Gedanken zu, unter deren Wucht Benthal erliegen mußte. Sein Zorn loderte als dichteriſche Begeiſterung auf, — und nie hatte Begeiſterung mit ſolcher Frucht¬ barkeit ihn überſchüttet, wie in dieſer Stunde. Alles gab ſie ihm ein, was Herz und Gehirn fähig iſt, er war Alles, was ein Menſch ſein kann, — er war ganz ſein Gegenſtand. Wohin ſein Auge fiel, jeder Anblick des Straßenlebens wurde von der Gährung ſeines Inneren aufgenommen und verbraucht. Dieſer Abbruch eines alten Hauſes, jener Aufbau eines neuen, dieſes Schaufenſter, jenes Aushängeſchild, die Conſulatsflagge, der Matroſenhut, das Negerantlitz, die ſchlagende Thurmuhr — kein Bild führten ihm ſeine Sinne zu, das nicht in ein poetiſches Bild, in ein tiefſinniges Gleichniß ſich verwandelte, — ganz Newyork gab ſich der Moral zum Schmucke her. So erreichte Moorfeld ſein Boardinghouſe. Er ſchickte zu Staunton und ließ anfragen, wenn und wo Benthal zu ſprechen. Seinen Namen nannte er nicht, wie er ſeine Perſon nicht zeigte. Er wollte dem trau¬ rigſten Fall einer Verleugnung vorbeugen. Es war die Börſenſtunde, in welcher dieſe Anfrage geſchah, und Hr. Staunton nicht zu Hauſe. Im Laufe des Nachmittags ſendete

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/485>, abgerufen am 26.04.2024.