sie, von unerträglicher Angst ergriffen, mehrmals und laut den Namen ihres Bruders.
Er kam, und zwar Hand in Hand mit der Frem- den, traulich und langsam heran. Es schien, daß un- ter der Zeit eine entschiedene Verständigung zwischen den Beiden Statt gefunden haben müsse. Wenn die Miene Theobalds nur eine tiefbefriedigte, ent- zückte Hingebung ausdrückte, so brach zwar aus der Jungfrau noch ein matter Rest des vorigen Aufruhrs ihrer Sinne wie Wetterleuchten hervor, aber um so reizender und rührender war der Uebergang ihres Bli- ckes zur sanften, gefälligen Ruhe, wozu sie sich gleichsam Gewalt anthat. Adelheid begriff nichts von Allem; doch milderte der jetzige Anbl[ - 3 Zeichen fehlen] der Unbe- kannten ihre Furcht um Vieles, erweckte ihre Theil- nahme, ihr Mitleid. "Sie geht mit uns nach Hause, Schwester, damit du es nur weißt!" fing Theobald an, "ich habe schon meinen Plan ausgedacht. Nicht wahr, Elisabeth, du gehst?" Ihr Kopfschütteln auf diese Frage schien bloß das schüchterne Verneinen von Jemand, der bereits im Stillen zugesagt hat. "Laßt uns aber lieber gleich aufbrechen, es will schon Abend werden!" sezte jener hinzu; und so rüstete man sich, packte zusammen und ging.
"Ich sehe nicht," flüsterte Adelheid in einem günstigen Augenblick, während Elisabeth weit vor- auslief, dem Bruder zu, "ich begreife nicht, was daraus werden kann! Hast du denn überlegt, wie der Vater
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ſie, von unerträglicher Angſt ergriffen, mehrmals und laut den Namen ihres Bruders.
Er kam, und zwar Hand in Hand mit der Frem- den, traulich und langſam heran. Es ſchien, daß un- ter der Zeit eine entſchiedene Verſtändigung zwiſchen den Beiden Statt gefunden haben müſſe. Wenn die Miene Theobalds nur eine tiefbefriedigte, ent- zückte Hingebung ausdrückte, ſo brach zwar aus der Jungfrau noch ein matter Reſt des vorigen Aufruhrs ihrer Sinne wie Wetterleuchten hervor, aber um ſo reizender und rührender war der Uebergang ihres Bli- ckes zur ſanften, gefälligen Ruhe, wozu ſie ſich gleichſam Gewalt anthat. Adelheid begriff nichts von Allem; doch milderte der jetzige Anbl[ – 3 Zeichen fehlen] der Unbe- kannten ihre Furcht um Vieles, erweckte ihre Theil- nahme, ihr Mitleid. „Sie geht mit uns nach Hauſe, Schweſter, damit du es nur weißt!“ fing Theobald an, „ich habe ſchon meinen Plan ausgedacht. Nicht wahr, Eliſabeth, du gehſt?“ Ihr Kopfſchütteln auf dieſe Frage ſchien bloß das ſchüchterne Verneinen von Jemand, der bereits im Stillen zugeſagt hat. „Laßt uns aber lieber gleich aufbrechen, es will ſchon Abend werden!“ ſezte jener hinzu; und ſo rüſtete man ſich, packte zuſammen und ging.
„Ich ſehe nicht,“ flüſterte Adelheid in einem günſtigen Augenblick, während Eliſabeth weit vor- auslief, dem Bruder zu, „ich begreife nicht, was daraus werden kann! Haſt du denn überlegt, wie der Vater
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ſie, von unerträglicher Angſt ergriffen, mehrmals und
laut den Namen ihres Bruders.
Er kam, und zwar Hand in Hand mit der Frem-
den, traulich und langſam heran. Es ſchien, daß un-
ter der Zeit eine entſchiedene Verſtändigung zwiſchen
den Beiden Statt gefunden haben müſſe. Wenn die
Miene Theobalds nur eine tiefbefriedigte, ent-
zückte Hingebung ausdrückte, ſo brach zwar aus der
Jungfrau noch ein matter Reſt des vorigen Aufruhrs
ihrer Sinne wie Wetterleuchten hervor, aber um ſo
reizender und rührender war der Uebergang ihres Bli-
ckes zur ſanften, gefälligen Ruhe, wozu ſie ſich
gleichſam Gewalt anthat. Adelheid begriff nichts
von Allem; doch milderte der jetzige Anbl___ der Unbe-
kannten ihre Furcht um Vieles, erweckte ihre Theil-
nahme, ihr Mitleid. „Sie geht mit uns nach Hauſe,
Schweſter, damit du es nur weißt!“ fing Theobald
an, „ich habe ſchon meinen Plan ausgedacht. Nicht
wahr, Eliſabeth, du gehſt?“ Ihr Kopfſchütteln auf
dieſe Frage ſchien bloß das ſchüchterne Verneinen von
Jemand, der bereits im Stillen zugeſagt hat. „Laßt
uns aber lieber gleich aufbrechen, es will ſchon Abend
werden!“ ſezte jener hinzu; und ſo rüſtete man ſich,
packte zuſammen und ging.
„Ich ſehe nicht,“ flüſterte Adelheid in einem
günſtigen Augenblick, während Eliſabeth weit vor-
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werden kann! Haſt du denn überlegt, wie der Vater
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/297>, abgerufen am 01.11.2024.
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