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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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b. Noch weit regelmäßiger und in viel höherem Grade wird
die öffentliche Unterstützung für Solche in Anspruch ge-
nommen, welche schon in gewöhnlichen und günstigen Zei-
ten nicht im Stande sind, sich und die Ihrigen mit den
nothwendigsten Lebensbedürfnissen zu versehen; also die
Armenpolizei. Ob solche Unterstützungsforderungen
mit vollem Rechte gemacht werden können, mag bestreitbar
sein; jedenfalls ist aber die Gewährung ebensosehr Men-
schenpflicht als Klugheitsmaßregel. Leider sind nur die
Mittel zur Erreichung des Zweckes kaum erschwingbar, und
zum Theile ist noch nicht einmal das richtige Verhalten
unzweifelhaft aufgefunden. Es muß hier nämlich wohl
unterschieden werden zwischen der Sorge für Einzel-
armuth
und den wegen Massenarmuth (Pauperis-
mus) zu ergreifenden Maßregeln. -- Bei der Einzelarmuth,
d. h. der Dürftigkeit, welche aus subjektiven Gründen des
einzelnen Falles entsteht, muß natürlich vernünftigerweise
vor Allem das Absehen auf Verstopfung der Ursachen
gerichtet sein. Diese können denn aber entweder selbst-
verschuldete sein, also Müßiggang, Liederlichkeit, vor
Allem aber unvorsichtige Heirathen; oder aber zufällige,
namentlich vorübergehender Mangel an Arbeit, Unfähig-
keit zur Arbeit, Unglücksfälle u. s. f. Wie verschieden
hier nun die Bemühungen sein müssen, um diesen Ar-
muthsursachen zu begegnen, bedarf keiner Auseinander-
setzung; ebensowenig aber auch, daß es niemals dem
Staate gelingen wird, alle diese Quellen von einzelner
Armuth zu verstopfen. Daher wird immer die Nothwen-
digkeit daneben bleiben, Unterstützung für wirklich Verarmte
zu gewähren. Auch diese aber erfordert wieder sehr ver-
schiedene Anstalten. Theils nämlich sind die sogenannten
Hausarmen, d. h. die noch nicht in vollkommene Dürftigkeit
b. Noch weit regelmäßiger und in viel höherem Grade wird
die öffentliche Unterſtützung für Solche in Anſpruch ge-
nommen, welche ſchon in gewöhnlichen und günſtigen Zei-
ten nicht im Stande ſind, ſich und die Ihrigen mit den
nothwendigſten Lebensbedürfniſſen zu verſehen; alſo die
Armenpolizei. Ob ſolche Unterſtützungsforderungen
mit vollem Rechte gemacht werden können, mag beſtreitbar
ſein; jedenfalls iſt aber die Gewährung ebenſoſehr Men-
ſchenpflicht als Klugheitsmaßregel. Leider ſind nur die
Mittel zur Erreichung des Zweckes kaum erſchwingbar, und
zum Theile iſt noch nicht einmal das richtige Verhalten
unzweifelhaft aufgefunden. Es muß hier nämlich wohl
unterſchieden werden zwiſchen der Sorge für Einzel-
armuth
und den wegen Maſſenarmuth (Pauperis-
mus) zu ergreifenden Maßregeln. — Bei der Einzelarmuth,
d. h. der Dürftigkeit, welche aus ſubjektiven Gründen des
einzelnen Falles entſteht, muß natürlich vernünftigerweiſe
vor Allem das Abſehen auf Verſtopfung der Urſachen
gerichtet ſein. Dieſe können denn aber entweder ſelbſt-
verſchuldete ſein, alſo Müßiggang, Liederlichkeit, vor
Allem aber unvorſichtige Heirathen; oder aber zufällige,
namentlich vorübergehender Mangel an Arbeit, Unfähig-
keit zur Arbeit, Unglücksfälle u. ſ. f. Wie verſchieden
hier nun die Bemühungen ſein müſſen, um dieſen Ar-
muthsurſachen zu begegnen, bedarf keiner Auseinander-
ſetzung; ebenſowenig aber auch, daß es niemals dem
Staate gelingen wird, alle dieſe Quellen von einzelner
Armuth zu verſtopfen. Daher wird immer die Nothwen-
digkeit daneben bleiben, Unterſtützung für wirklich Verarmte
zu gewähren. Auch dieſe aber erfordert wieder ſehr ver-
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[666/0680] b. Noch weit regelmäßiger und in viel höherem Grade wird die öffentliche Unterſtützung für Solche in Anſpruch ge- nommen, welche ſchon in gewöhnlichen und günſtigen Zei- ten nicht im Stande ſind, ſich und die Ihrigen mit den nothwendigſten Lebensbedürfniſſen zu verſehen; alſo die Armenpolizei. Ob ſolche Unterſtützungsforderungen mit vollem Rechte gemacht werden können, mag beſtreitbar ſein; jedenfalls iſt aber die Gewährung ebenſoſehr Men- ſchenpflicht als Klugheitsmaßregel. Leider ſind nur die Mittel zur Erreichung des Zweckes kaum erſchwingbar, und zum Theile iſt noch nicht einmal das richtige Verhalten unzweifelhaft aufgefunden. Es muß hier nämlich wohl unterſchieden werden zwiſchen der Sorge für Einzel- armuth und den wegen Maſſenarmuth (Pauperis- mus) zu ergreifenden Maßregeln. — Bei der Einzelarmuth, d. h. der Dürftigkeit, welche aus ſubjektiven Gründen des einzelnen Falles entſteht, muß natürlich vernünftigerweiſe vor Allem das Abſehen auf Verſtopfung der Urſachen gerichtet ſein. Dieſe können denn aber entweder ſelbſt- verſchuldete ſein, alſo Müßiggang, Liederlichkeit, vor Allem aber unvorſichtige Heirathen; oder aber zufällige, namentlich vorübergehender Mangel an Arbeit, Unfähig- keit zur Arbeit, Unglücksfälle u. ſ. f. Wie verſchieden hier nun die Bemühungen ſein müſſen, um dieſen Ar- muthsurſachen zu begegnen, bedarf keiner Auseinander- ſetzung; ebenſowenig aber auch, daß es niemals dem Staate gelingen wird, alle dieſe Quellen von einzelner Armuth zu verſtopfen. Daher wird immer die Nothwen- digkeit daneben bleiben, Unterſtützung für wirklich Verarmte zu gewähren. Auch dieſe aber erfordert wieder ſehr ver- ſchiedene Anſtalten. Theils nämlich ſind die ſogenannten Hausarmen, d. h. die noch nicht in vollkommene Dürftigkeit

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/680>, abgerufen am 26.04.2024.