sich, als Wirthin etwas zu sagen, und dann wußte sie, daß Günther in solchen Dingen sich nichts sagen ließ. Die Herrengesellschaft ward immer lauter, die Frauen sahen sich bedenklich an. Klärchen klagte, daß ihr Mann schon seit einigen Tagen unwohl sei und daß ihm der Wein sehr schlecht bekommen würde. Er ward auch immer bleicher, seine Hände zitterten auf¬ fallend, seine Zunge lallte. Doch war er nicht der Schlimmste. In der Ecke des Mahagonisopha's schlum¬ merte der Rendant, und einer von den jungen Kauf¬ mannsdienern hatte sich schon entfernt. Die Frauen drangen jetzt auf die Auflösung der Gesellschaft. Das war mit den angetrunkenen Männern nicht leicht zu bewerkstelligen, aber es gelang ihnen endlich, und Klärchen war mit dem Mann und der Mutter allein.
Günther hatte sich nicht besinnungslos getrunken, weil er viel vertragen konnte; er wußte, daß ihm Schlafen jetzt das Beste sei und legte sich zu Bett. Die Mutter ging nach Haus, weil sie nicht Lust hatte, Tassen und Gläser zu waschen und aufzuräumen, und Klärchen saß nun in der eleganten Stube allein. Sie hatte aber auch nicht Lust zum Aufräumen, sie mußte sich erst besinnen von der vielen Unruhe, setzte sich auf den Sitz im Fenster und schaute hinaus auf die Straße. Der blaue Himmel und helle Sonnenschein lockte Spatziergänger in das Freie, auch vor dem Hotel war es sehr lebendig, Wagen fuhren, Wagen kamen, und es war ganz unterhaltend, das anzusehen. Ja unterhaltend, aber nicht für Klärchen. Ihr Herz war schwer, ohne daß sie recht wußte, was sie wollte. Sie war nun am Ziel ihrer Wünsche, sie konnte herrlich
ſich, als Wirthin etwas zu ſagen, und dann wußte ſie, daß Günther in ſolchen Dingen ſich nichts ſagen ließ. Die Herrengeſellſchaft ward immer lauter, die Frauen ſahen ſich bedenklich an. Klärchen klagte, daß ihr Mann ſchon ſeit einigen Tagen unwohl ſei und daß ihm der Wein ſehr ſchlecht bekommen würde. Er ward auch immer bleicher, ſeine Hände zitterten auf¬ fallend, ſeine Zunge lallte. Doch war er nicht der Schlimmſte. In der Ecke des Mahagoniſopha's ſchlum¬ merte der Rendant, und einer von den jungen Kauf¬ mannsdienern hatte ſich ſchon entfernt. Die Frauen drangen jetzt auf die Auflöſung der Geſellſchaft. Das war mit den angetrunkenen Männern nicht leicht zu bewerkſtelligen, aber es gelang ihnen endlich, und Klärchen war mit dem Mann und der Mutter allein.
Günther hatte ſich nicht beſinnungslos getrunken, weil er viel vertragen konnte; er wußte, daß ihm Schlafen jetzt das Beſte ſei und legte ſich zu Bett. Die Mutter ging nach Haus, weil ſie nicht Luſt hatte, Taſſen und Gläſer zu waſchen und aufzuräumen, und Klärchen ſaß nun in der eleganten Stube allein. Sie hatte aber auch nicht Luſt zum Aufräumen, ſie mußte ſich erſt beſinnen von der vielen Unruhe, ſetzte ſich auf den Sitz im Fenſter und ſchaute hinaus auf die Straße. Der blaue Himmel und helle Sonnenſchein lockte Spatziergänger in das Freie, auch vor dem Hotel war es ſehr lebendig, Wagen fuhren, Wagen kamen, und es war ganz unterhaltend, das anzuſehen. Ja unterhaltend, aber nicht für Klärchen. Ihr Herz war ſchwer, ohne daß ſie recht wußte, was ſie wollte. Sie war nun am Ziel ihrer Wünſche, ſie konnte herrlich
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ſich, als Wirthin etwas zu ſagen, und dann wußte
ſie, daß Günther in ſolchen Dingen ſich nichts ſagen
ließ. Die Herrengeſellſchaft ward immer lauter, die
Frauen ſahen ſich bedenklich an. Klärchen klagte, daß
ihr Mann ſchon ſeit einigen Tagen unwohl ſei und
daß ihm der Wein ſehr ſchlecht bekommen würde. Er
ward auch immer bleicher, ſeine Hände zitterten auf¬
fallend, ſeine Zunge lallte. Doch war er nicht der
Schlimmſte. In der Ecke des Mahagoniſopha's ſchlum¬
merte der Rendant, und einer von den jungen Kauf¬
mannsdienern hatte ſich ſchon entfernt. Die Frauen
drangen jetzt auf die Auflöſung der Geſellſchaft. Das
war mit den angetrunkenen Männern nicht leicht zu
bewerkſtelligen, aber es gelang ihnen endlich, und
Klärchen war mit dem Mann und der Mutter allein.
Günther hatte ſich nicht beſinnungslos getrunken,
weil er viel vertragen konnte; er wußte, daß ihm
Schlafen jetzt das Beſte ſei und legte ſich zu Bett.
Die Mutter ging nach Haus, weil ſie nicht Luſt hatte,
Taſſen und Gläſer zu waſchen und aufzuräumen, und
Klärchen ſaß nun in der eleganten Stube allein. Sie
hatte aber auch nicht Luſt zum Aufräumen, ſie mußte
ſich erſt beſinnen von der vielen Unruhe, ſetzte ſich
auf den Sitz im Fenſter und ſchaute hinaus auf die
Straße. Der blaue Himmel und helle Sonnenſchein
lockte Spatziergänger in das Freie, auch vor dem Hotel
war es ſehr lebendig, Wagen fuhren, Wagen kamen,
und es war ganz unterhaltend, das anzuſehen. Ja
unterhaltend, aber nicht für Klärchen. Ihr Herz war
ſchwer, ohne daß ſie recht wußte, was ſie wollte. Sie
war nun am Ziel ihrer Wünſche, ſie konnte herrlich
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/100>, abgerufen am 17.06.2024.
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