Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].-------- Auf dem Hofe des großen Gartens befand sich eine geräumige Hundehütte, und es verstand sich wohl von selbst, daß die Kinder mit dem Haushunde in der zärtlichsten Freundschaft lebten. Es war ein muntrer schwarzer Spitz, den wir mit dem ganzen Hause nie anders als Wasser nannten. Sehr gut entsinne ich mich, daß mir einmal die Benennung nach dem nassen Elemente für einen Hund sehr seltsam vorkam, und ich den Vater danach fragte. Er gab mir die Erklärung, der Hund heiße eigentlich Fasser, weil er die fremden Bettler fassen solle, allein die weichere Form gefiel uns Kindern weit besser, und behielt die Oberhand: denn es ist eine ausgemachte Sache, daß in jedem Hauswesen die Benennungen immer von der jüngsten Generation angegeben werden. Ihr gehört die Zukunft; unbewußt wird sie als der Mittelpunkt der Familie betrachtet. Es wäre indessen auch möglich, daß Wasser der richtige Name sei: denn er schließt sich an die Hundenamen Strom und Donau an. Wasser lag bei Tage an der Kette, und fuhr bellend aus der Hütte, sobald die Glocke der Straßenthür ertönte. Gegen Abend, wenn mein Vater in den Holzstall ging, setzte er den treuen Wasser in Freiheit, der nun wie besessen im Hofe herumjagte. Er wußte, daß er in das Hühnerstacket nicht eindringen durfte; zwängte er sich ja einmal durch zwei etwas weitere Stäbe, so scheuchte er die Hühner bis in die Aeste der Birnbäume hinauf, aber vor der Gluckhenne, die mit Wuth ihre Küchlein vertheidigte, hielt er nicht Stand. Das Hinausziehn nach dem großen Garten im Frühlinge und das Hineinziehn im Herbste bildete im Leben der Kinder zwei wichtige Abschnitte, und theilte das Jahr ———— Auf dem Hofe des großen Gartens befand sich eine geräumige Hundehütte, und es verstand sich wohl von selbst, daß die Kinder mit dem Haushunde in der zärtlichsten Freundschaft lebten. Es war ein muntrer schwarzer Spitz, den wir mit dem ganzen Hause nie anders als Wasser nannten. Sehr gut entsinne ich mich, daß mir einmal die Benennung nach dem nassen Elemente für einen Hund sehr seltsam vorkam, und ich den Vater danach fragte. Er gab mir die Erklärung, der Hund heiße eigentlich Fasser, weil er die fremden Bettler fassen solle, allein die weichere Form gefiel uns Kindern weit besser, und behielt die Oberhand: denn es ist eine ausgemachte Sache, daß in jedem Hauswesen die Benennungen immer von der jüngsten Generation angegeben werden. Ihr gehört die Zukunft; unbewußt wird sie als der Mittelpunkt der Familie betrachtet. Es wäre indessen auch möglich, daß Wasser der richtige Name sei: denn er schließt sich an die Hundenamen Strom und Donau an. Wasser lag bei Tage an der Kette, und fuhr bellend aus der Hütte, sobald die Glocke der Straßenthür ertönte. Gegen Abend, wenn mein Vater in den Holzstall ging, setzte er den treuen Wasser in Freiheit, der nun wie besessen im Hofe herumjagte. Er wußte, daß er in das Hühnerstacket nicht eindringen durfte; zwängte er sich ja einmal durch zwei etwas weitere Stäbe, so scheuchte er die Hühner bis in die Aeste der Birnbäume hinauf, aber vor der Gluckhenne, die mit Wuth ihre Küchlein vertheidigte, hielt er nicht Stand. Das Hinausziehn nach dem großen Garten im Frühlinge und das Hineinziehn im Herbste bildete im Leben der Kinder zwei wichtige Abschnitte, und theilte das Jahr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0129" n="117"/> </p><lb/> <p rendition="#c">————</p><lb/> <p>Auf dem Hofe des großen Gartens befand sich eine geräumige Hundehütte, und es verstand sich wohl von selbst, daß die Kinder mit dem Haushunde in der zärtlichsten Freundschaft lebten. Es war ein muntrer schwarzer Spitz, den wir mit dem ganzen Hause nie anders als Wasser nannten. Sehr gut entsinne ich mich, daß mir einmal die Benennung nach dem nassen Elemente für einen Hund sehr seltsam vorkam, und ich den Vater danach fragte. Er gab mir die Erklärung, der Hund heiße eigentlich Fasser, weil er die fremden Bettler fassen solle, allein die weichere Form gefiel uns Kindern weit besser, und behielt die Oberhand: denn es ist eine ausgemachte Sache, daß in jedem Hauswesen die Benennungen immer von der jüngsten Generation angegeben werden. Ihr gehört die Zukunft; unbewußt wird sie als der Mittelpunkt der Familie betrachtet. Es wäre indessen auch möglich, daß Wasser der richtige Name sei: denn er schließt sich an die Hundenamen Strom und Donau an. </p><lb/> <p>Wasser lag bei Tage an der Kette, und fuhr bellend aus der Hütte, sobald die Glocke der Straßenthür ertönte. Gegen Abend, wenn mein Vater in den Holzstall ging, setzte er den treuen Wasser in Freiheit, der nun wie besessen im Hofe herumjagte. Er wußte, daß er in das Hühnerstacket nicht eindringen durfte; zwängte er sich ja einmal durch zwei etwas weitere Stäbe, so scheuchte er die Hühner bis in die Aeste der Birnbäume hinauf, aber vor der Gluckhenne, die mit Wuth ihre Küchlein vertheidigte, hielt er nicht Stand. </p><lb/> <p>Das Hinausziehn nach dem großen Garten im Frühlinge und das Hineinziehn im Herbste bildete im Leben der Kinder zwei wichtige Abschnitte, und theilte das Jahr </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0129]
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Auf dem Hofe des großen Gartens befand sich eine geräumige Hundehütte, und es verstand sich wohl von selbst, daß die Kinder mit dem Haushunde in der zärtlichsten Freundschaft lebten. Es war ein muntrer schwarzer Spitz, den wir mit dem ganzen Hause nie anders als Wasser nannten. Sehr gut entsinne ich mich, daß mir einmal die Benennung nach dem nassen Elemente für einen Hund sehr seltsam vorkam, und ich den Vater danach fragte. Er gab mir die Erklärung, der Hund heiße eigentlich Fasser, weil er die fremden Bettler fassen solle, allein die weichere Form gefiel uns Kindern weit besser, und behielt die Oberhand: denn es ist eine ausgemachte Sache, daß in jedem Hauswesen die Benennungen immer von der jüngsten Generation angegeben werden. Ihr gehört die Zukunft; unbewußt wird sie als der Mittelpunkt der Familie betrachtet. Es wäre indessen auch möglich, daß Wasser der richtige Name sei: denn er schließt sich an die Hundenamen Strom und Donau an.
Wasser lag bei Tage an der Kette, und fuhr bellend aus der Hütte, sobald die Glocke der Straßenthür ertönte. Gegen Abend, wenn mein Vater in den Holzstall ging, setzte er den treuen Wasser in Freiheit, der nun wie besessen im Hofe herumjagte. Er wußte, daß er in das Hühnerstacket nicht eindringen durfte; zwängte er sich ja einmal durch zwei etwas weitere Stäbe, so scheuchte er die Hühner bis in die Aeste der Birnbäume hinauf, aber vor der Gluckhenne, die mit Wuth ihre Küchlein vertheidigte, hielt er nicht Stand.
Das Hinausziehn nach dem großen Garten im Frühlinge und das Hineinziehn im Herbste bildete im Leben der Kinder zwei wichtige Abschnitte, und theilte das Jahr
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/129>, abgerufen am 16.06.2024. |