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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881.

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7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wozu bald auch solche von Choshiu kamen. Um die nämliche Zeit
wurden die verbannten Kuge zurückberufen und in ihre Aemter ein-
gesetzt. Ebenso erhielt das Haus Mori von Choshiu alle Ehren, Titel
und Rechte zurück, welche ihm bei Verbannung der Kuge entzogen
worden waren. Shogunat und Bakufu wurden beseitigt und dafür
in Kioto eine neue Regierung eingesetzt. Die Aidzu-Samurai waren
durch diese Vorgänge tief verletzt und Tokugawa-Naifu nicht minder,
da man ihn damit überraschte. Er bedauerte nun seine dem Mikado
entgegenkommenden Schritte, versammelte im Nijo (Neuschloss) den
Aidzu-clan und andere ergebene Vasallen zu einer Berathung um
sich und war in Folge derselben entschlossen, bei der veränderten
Lage, in welcher der Mikado nicht freie Entschlüsse fassen könne,
sondern nur ausführe, was Satsuma und seine Alliierten angaben,
sich nicht ohne weiteres zu fügen. So verliess er plötzlich in der
Nacht vom 6. Januar an der Spitze seiner Haustruppen und in Be-
gleitung der Daimio von Aidzu und Kuwana, sowie seines Rathes
Itakura die Stadt Kioto und wandte sich nach Osaka. Hier erreichte
seine Gefährten von Aidzu und Kuwana eine Ordre vom Hofe, die
ihnen das fernere Betreten von Kioto untersagte.

Um jene Zeit waren die Vertreter der fremden Mächte alle in
Osaka versammelt. Sie machten dem Uye-sama *) ihre Aufwar-
tung und überreichten ihm eine Adresse, worin sie ihm für alle Be-
mühungen, die Verträge aufrecht zu erhalten, ihren Dank aussprachen
und ihn baten, ihnen bei den vorgehenden Veränderungen die Regie-
rung zu nennen, mit welcher sie in Zukunft zu verhandeln hätten.
Die Antwort lautete, dass, so lange der Streit um die Gewalt noch
nicht entschieden sei, ihm von Rechtswegen die Vertretung zufalle, wie
bisher; er bitte nur um neutrales Verhalten. Letzteres hatten die
fremden Diplomaten schon vorher beschlossen, insgeheim freilich waren
mehrere bereits in engere Beziehungen zu den jetzt leitenden Persön-
lichkeiten der Mikadopartei getreten, weil sie fühlten, dass dieser
der Erfolg sicher sei.

Die Nachricht von all diesen Vorgängen versetzte Yedo in grosse
Aufregung. Die Stadt verdankte ihr Sein und Gedeihen den Toku-
gawa und hatte durch die Ereignisse der letzten Jahre schon viel ge-
litten, besonders 1862 in Folge eines vom Daimio von Echizen befür-

*) Das Wort Uye-sama kann mit Hoheit übersetzt werden. Nachdem der
Ex-Shogun bei Hofe in Ungnade gefallen war, pflegte ihn die feindliche Partei
weder Uye-sama, noch Naifu, sondern blos Keiki zu nennen, d. h. mit seinem
alten Personennamen. Shitotsubashi hiess er nach dem Prinzen, welcher ihn
adoptiert hatte.

7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854.
wozu bald auch solche von Chôshiu kamen. Um die nämliche Zeit
wurden die verbannten Kuge zurückberufen und in ihre Aemter ein-
gesetzt. Ebenso erhielt das Haus Môri von Chôshiu alle Ehren, Titel
und Rechte zurück, welche ihm bei Verbannung der Kuge entzogen
worden waren. Shôgunat und Bakufu wurden beseitigt und dafür
in Kiôto eine neue Regierung eingesetzt. Die Aidzu-Samurai waren
durch diese Vorgänge tief verletzt und Tokugawa-Naifu nicht minder,
da man ihn damit überraschte. Er bedauerte nun seine dem Mikado
entgegenkommenden Schritte, versammelte im Nijô (Neuschloss) den
Aidzu-clan und andere ergebene Vasallen zu einer Berathung um
sich und war in Folge derselben entschlossen, bei der veränderten
Lage, in welcher der Mikado nicht freie Entschlüsse fassen könne,
sondern nur ausführe, was Satsuma und seine Alliierten angaben,
sich nicht ohne weiteres zu fügen. So verliess er plötzlich in der
Nacht vom 6. Januar an der Spitze seiner Haustruppen und in Be-
gleitung der Daimio von Aidzu und Kuwana, sowie seines Rathes
Itakura die Stadt Kiôto und wandte sich nach Ôsaka. Hier erreichte
seine Gefährten von Aidzu und Kuwana eine Ordre vom Hofe, die
ihnen das fernere Betreten von Kiôto untersagte.

Um jene Zeit waren die Vertreter der fremden Mächte alle in
Ôsaka versammelt. Sie machten dem Uye-sama *) ihre Aufwar-
tung und überreichten ihm eine Adresse, worin sie ihm für alle Be-
mühungen, die Verträge aufrecht zu erhalten, ihren Dank aussprachen
und ihn baten, ihnen bei den vorgehenden Veränderungen die Regie-
rung zu nennen, mit welcher sie in Zukunft zu verhandeln hätten.
Die Antwort lautete, dass, so lange der Streit um die Gewalt noch
nicht entschieden sei, ihm von Rechtswegen die Vertretung zufalle, wie
bisher; er bitte nur um neutrales Verhalten. Letzteres hatten die
fremden Diplomaten schon vorher beschlossen, insgeheim freilich waren
mehrere bereits in engere Beziehungen zu den jetzt leitenden Persön-
lichkeiten der Mikadopartei getreten, weil sie fühlten, dass dieser
der Erfolg sicher sei.

Die Nachricht von all diesen Vorgängen versetzte Yedo in grosse
Aufregung. Die Stadt verdankte ihr Sein und Gedeihen den Toku-
gawa und hatte durch die Ereignisse der letzten Jahre schon viel ge-
litten, besonders 1862 in Folge eines vom Daimio von Echizen befür-

*) Das Wort Uye-sama kann mit Hoheit übersetzt werden. Nachdem der
Ex-Shôgun bei Hofe in Ungnade gefallen war, pflegte ihn die feindliche Partei
weder Uye-sama, noch Naifu, sondern blos Keiki zu nennen, d. h. mit seinem
alten Personennamen. Shitotsubashi hiess er nach dem Prinzen, welcher ihn
adoptiert hatte.
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[411/0439] 7. Periode. Japan seit dem Jahre 1854. wozu bald auch solche von Chôshiu kamen. Um die nämliche Zeit wurden die verbannten Kuge zurückberufen und in ihre Aemter ein- gesetzt. Ebenso erhielt das Haus Môri von Chôshiu alle Ehren, Titel und Rechte zurück, welche ihm bei Verbannung der Kuge entzogen worden waren. Shôgunat und Bakufu wurden beseitigt und dafür in Kiôto eine neue Regierung eingesetzt. Die Aidzu-Samurai waren durch diese Vorgänge tief verletzt und Tokugawa-Naifu nicht minder, da man ihn damit überraschte. Er bedauerte nun seine dem Mikado entgegenkommenden Schritte, versammelte im Nijô (Neuschloss) den Aidzu-clan und andere ergebene Vasallen zu einer Berathung um sich und war in Folge derselben entschlossen, bei der veränderten Lage, in welcher der Mikado nicht freie Entschlüsse fassen könne, sondern nur ausführe, was Satsuma und seine Alliierten angaben, sich nicht ohne weiteres zu fügen. So verliess er plötzlich in der Nacht vom 6. Januar an der Spitze seiner Haustruppen und in Be- gleitung der Daimio von Aidzu und Kuwana, sowie seines Rathes Itakura die Stadt Kiôto und wandte sich nach Ôsaka. Hier erreichte seine Gefährten von Aidzu und Kuwana eine Ordre vom Hofe, die ihnen das fernere Betreten von Kiôto untersagte. Um jene Zeit waren die Vertreter der fremden Mächte alle in Ôsaka versammelt. Sie machten dem Uye-sama *) ihre Aufwar- tung und überreichten ihm eine Adresse, worin sie ihm für alle Be- mühungen, die Verträge aufrecht zu erhalten, ihren Dank aussprachen und ihn baten, ihnen bei den vorgehenden Veränderungen die Regie- rung zu nennen, mit welcher sie in Zukunft zu verhandeln hätten. Die Antwort lautete, dass, so lange der Streit um die Gewalt noch nicht entschieden sei, ihm von Rechtswegen die Vertretung zufalle, wie bisher; er bitte nur um neutrales Verhalten. Letzteres hatten die fremden Diplomaten schon vorher beschlossen, insgeheim freilich waren mehrere bereits in engere Beziehungen zu den jetzt leitenden Persön- lichkeiten der Mikadopartei getreten, weil sie fühlten, dass dieser der Erfolg sicher sei. Die Nachricht von all diesen Vorgängen versetzte Yedo in grosse Aufregung. Die Stadt verdankte ihr Sein und Gedeihen den Toku- gawa und hatte durch die Ereignisse der letzten Jahre schon viel ge- litten, besonders 1862 in Folge eines vom Daimio von Echizen befür- *) Das Wort Uye-sama kann mit Hoheit übersetzt werden. Nachdem der Ex-Shôgun bei Hofe in Ungnade gefallen war, pflegte ihn die feindliche Partei weder Uye-sama, noch Naifu, sondern blos Keiki zu nennen, d. h. mit seinem alten Personennamen. Shitotsubashi hiess er nach dem Prinzen, welcher ihn adoptiert hatte.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 1. Leipzig, 1881, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan01_1881/439>, abgerufen am 29.04.2024.