[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.Kummer machen: Sie werden bald um seinetwil- len, bald Jhrer selbst wegen in Sorgen seyn. Er hat Gott und Menschen getrotzt, und nicht aus Ue- bereilung, sondern recht mit Vorbedacht göttliche und menschliche Gesetze bey aller Gelegenheit übertre- ten. Wenn Sie ihm gefällig seyn, und seine Zu- neigung nicht verlieren wollen, so werden Sie ver- muthlich allen Jhren löblichen Vorsätzen entsagen müssen. Sie müssen mit ihm gleiche Neigungen und Abneigungen zu haben suchen; und Jhre tugendhaf- te Gesellschaft mit seinen lasterhaften Freunden ver- wechseln: ja vielleicht macht sein ärgerliches Leben, daß Sie sich von Jhren ehemaligen Bekannten ver- lassen sehen. Können Sie hoffen, daß Sie in dem täglichen Umgange mit einem solchen Manne Jhre jetzige Gemüths-Fassung lange behalten werden? Können Sie aber das nicht hoffen, so frage ich Sie, welchen guten Vorsatz, welches tugendhaste Ver- gnügen Sie so geringe achten, daß Sie es um seinet- willen fahren lassen wollen? Welches unerlaubte Vergnügen Sie mit ihm theilen wollen? Wie wer- den Sie sich gewöhnen können, in dem Guten zurück zu gehen, darin Sie jetzt andern ein so löbliches Exempel geben? Wie können Sie zum voraus wis- sen, wie weit Sie von Jhrer jetzigen Bahn abwei- chen werden, wenn Sie einmal anfangen, davon abzuweichen? Wo werden Sie gleichsam Halte ma- chen können? Jhr Bruder gestehet selbst, daß Herr Solmes ben
Kummer machen: Sie werden bald um ſeinetwil- len, bald Jhrer ſelbſt wegen in Sorgen ſeyn. Er hat Gott und Menſchen getrotzt, und nicht aus Ue- bereilung, ſondern recht mit Vorbedacht goͤttliche und menſchliche Geſetze bey aller Gelegenheit uͤbertre- ten. Wenn Sie ihm gefaͤllig ſeyn, und ſeine Zu- neigung nicht verlieren wollen, ſo werden Sie ver- muthlich allen Jhren loͤblichen Vorſaͤtzen entſagen muͤſſen. Sie muͤſſen mit ihm gleiche Neigungen und Abneigungen zu haben ſuchen; und Jhre tugendhaf- te Geſellſchaft mit ſeinen laſterhaften Freunden ver- wechſeln: ja vielleicht macht ſein aͤrgerliches Leben, daß Sie ſich von Jhren ehemaligen Bekannten ver- laſſen ſehen. Koͤnnen Sie hoffen, daß Sie in dem taͤglichen Umgange mit einem ſolchen Manne Jhre jetzige Gemuͤths-Faſſung lange behalten werden? Koͤnnen Sie aber das nicht hoffen, ſo frage ich Sie, welchen guten Vorſatz, welches tugendhaſte Ver- gnuͤgen Sie ſo geringe achten, daß Sie es um ſeinet- willen fahren laſſen wollen? Welches unerlaubte Vergnuͤgen Sie mit ihm theilen wollen? Wie wer- den Sie ſich gewoͤhnen koͤnnen, in dem Guten zuruͤck zu gehen, darin Sie jetzt andern ein ſo loͤbliches Exempel geben? Wie koͤnnen Sie zum voraus wiſ- ſen, wie weit Sie von Jhrer jetzigen Bahn abwei- chen werden, wenn Sie einmal anfangen, davon abzuweichen? Wo werden Sie gleichſam Halte ma- chen koͤnnen? Jhr Bruder geſtehet ſelbſt, daß Herr Solmes ben
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Kummer machen: Sie werden bald um ſeinetwil-
len, bald Jhrer ſelbſt wegen in Sorgen ſeyn. Er
hat Gott und Menſchen getrotzt, und nicht aus Ue-
bereilung, ſondern recht mit Vorbedacht goͤttliche
und menſchliche Geſetze bey aller Gelegenheit uͤbertre-
ten. Wenn Sie ihm gefaͤllig ſeyn, und ſeine Zu-
neigung nicht verlieren wollen, ſo werden Sie ver-
muthlich allen Jhren loͤblichen Vorſaͤtzen entſagen
muͤſſen. Sie muͤſſen mit ihm gleiche Neigungen und
Abneigungen zu haben ſuchen; und Jhre tugendhaf-
te Geſellſchaft mit ſeinen laſterhaften Freunden ver-
wechſeln: ja vielleicht macht ſein aͤrgerliches Leben,
daß Sie ſich von Jhren ehemaligen Bekannten ver-
laſſen ſehen. Koͤnnen Sie hoffen, daß Sie in dem
taͤglichen Umgange mit einem ſolchen Manne Jhre
jetzige Gemuͤths-Faſſung lange behalten werden?
Koͤnnen Sie aber das nicht hoffen, ſo frage ich Sie,
welchen guten Vorſatz, welches tugendhaſte Ver-
gnuͤgen Sie ſo geringe achten, daß Sie es um ſeinet-
willen fahren laſſen wollen? Welches unerlaubte
Vergnuͤgen Sie mit ihm theilen wollen? Wie wer-
den Sie ſich gewoͤhnen koͤnnen, in dem Guten zuruͤck
zu gehen, darin Sie jetzt andern ein ſo loͤbliches
Exempel geben? Wie koͤnnen Sie zum voraus wiſ-
ſen, wie weit Sie von Jhrer jetzigen Bahn abwei-
chen werden, wenn Sie einmal anfangen, davon
abzuweichen? Wo werden Sie gleichſam Halte ma-
chen koͤnnen?
Jhr Bruder geſtehet ſelbſt, daß Herr Solmes
nicht voͤllig ſo gut ausſiehet, als Herr Lovelace.
Allein wird das Frauenzimmer, an welches zu ſchrei-
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Zitationshilfe: | [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/569>, abgerufen am 15.06.2024. |