[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.mühen wollen sie zu verdienen. Sie dürfen nicht dencken, Herr Lovelace, daß sie ein Mädchen vor sich haben, das nach ihnen seufzet, und das aus Schwachheit liebet, wo es keinen Grund zur Liebe hat. Die Fräulein Howe wird ihnen sagen kön- nen, daß ich die Fehler meiner Freunde nicht lie- be, und nie gewünschet habe, daß meine Freunde meine Fehler lieben möchten. Es ist ein Gesetz unter uns gewesen, daß wir einander nicht schonen wollten. Wie darf denn ein Mann, der aus lau- ter Fehlern zusammen gesetzt ist, (denn nennen sie mir einmahl ihre Tugenden) wie darf der hoffen, daß ich einige Werthachtung für ihn haben werde? Wenn ich einen solchen werth achten könnte, so verdiente ich von ihm selbst verachtet zu werden. Sie haben sich in der That nach diesen groß- Rath Vierter Theil. Q
muͤhen wollen ſie zu verdienen. Sie duͤrfen nicht dencken, Herr Lovelace, daß ſie ein Maͤdchen vor ſich haben, das nach ihnen ſeufzet, und das aus Schwachheit liebet, wo es keinen Grund zur Liebe hat. Die Fraͤulein Howe wird ihnen ſagen koͤn- nen, daß ich die Fehler meiner Freunde nicht lie- be, und nie gewuͤnſchet habe, daß meine Freunde meine Fehler lieben moͤchten. Es iſt ein Geſetz unter uns geweſen, daß wir einander nicht ſchonen wollten. Wie darf denn ein Mann, der aus lau- ter Fehlern zuſammen geſetzt iſt, (denn nennen ſie mir einmahl ihre Tugenden) wie darf der hoffen, daß ich einige Werthachtung fuͤr ihn haben werde? Wenn ich einen ſolchen werth achten koͤnnte, ſo verdiente ich von ihm ſelbſt verachtet zu werden. Sie haben ſich in der That nach dieſen groß- Rath Vierter Theil. Q
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muͤhen wollen ſie zu verdienen. Sie duͤrfen nicht
dencken, Herr Lovelace, daß ſie ein Maͤdchen vor
ſich haben, das nach ihnen ſeufzet, und das aus
Schwachheit liebet, wo es keinen Grund zur Liebe
hat. Die Fraͤulein Howe wird ihnen ſagen koͤn-
nen, daß ich die Fehler meiner Freunde nicht lie-
be, und nie gewuͤnſchet habe, daß meine Freunde
meine Fehler lieben moͤchten. Es iſt ein Geſetz
unter uns geweſen, daß wir einander nicht ſchonen
wollten. Wie darf denn ein Mann, der aus lau-
ter Fehlern zuſammen geſetzt iſt, (denn nennen ſie
mir einmahl ihre Tugenden) wie darf der hoffen,
daß ich einige Werthachtung fuͤr ihn haben werde?
Wenn ich einen ſolchen werth achten koͤnnte, ſo
verdiente ich von ihm ſelbſt verachtet zu werden.
Sie haben ſich in der That nach dieſen groß-
muͤthigen Gedancken gerichtet, meine liebe Fraͤu-
lein. Sie koͤnnen auſſer Sorgen ſeyn, daß der
Diener, den ſie vor ſich haben, ſie wegen einiger
Zeichen der Zaͤrtlichkeit oder der Guͤtigkeit verach-
ten werde. Sie haben ſich, wie ſie vielleicht
dencken werden, auf eine lobenswuͤrdige Weiſe
bemuͤhet, mir bey aller gegebenen und genomme-
nen Gelegenheit zu ſagen, daß ihnen aus eigener
Wahl nie der Gedancke in den Sinn gekommen
iſt, die Meinige zu werden. Jch wuͤrde mein
gantzes Hertz mit allen Fehlern, mit allen Wuͤn-
ſchen, mit allen Abſichten ihnen endeckt haben,
wenn ich nur ſo viel Vertrauen und Werthachtung
bey ihnen gefunden haͤtte, daß ſie nicht alles, was
ich ihnen offenbahrte, oder woruͤber ich ſie um
Rath
Vierter Theil. Q
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