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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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ist es eine Sirene, der kein Mensch widerstehen
kann.

Gegen mich war er gleich sehr offen. Er ge¬
stand mir mit der angenehmsten Treuherzigkeit, daß
er nicht am besten bey seinem Oncle angeschrieben
stehe, und es auch wohl verdient haben möge.
Er sey aber ernstlich entschlossen, sich zu bessern,
und das Verdienst davon würde ganz dem Prinzen
zufallen. Zugleich hoffe er, durch diesen mit sei¬
nem Oncle wieder ausgesöhnt zu werden, weil der
Prinz alles über den Kardinal vermöge. Es habe
ihm bis jezt nur an einem Freunde und Führer ge¬
fehlt, und beydes hoffe er, sich in dem Prinzen zu
erwerben.

Der Prinz bedient sich auch aller Rechte eines
Führers gegen ihn, und behandelt ihn mit der
Wachsamkeit und Strenge eines Mentors. Aber
eben dieses Verhältniß giebt ihm auch gewisse Rech¬
te an den Prinzen, die er sehr gut geltend zu ma¬
chen weiß. Er kommt ihm nicht mehr von der
Seite, er ist bey allen Parthien, an denen der
Prinz Theil nimmt, für den Bucentauro ist er --
und das ist sein Glück! bis jezt nur zu jung gewe¬
sen. Ueberall, wo er sich mit dem Prinzen ein¬
findet, entführt er diesen der Gesellschaft, durch
die feine Art, womit er ihn zu beschäftigen und
auf sich zu ziehen weiß. Niemand, sagen sie, ha¬
be ihn bändigen können, und der Prinz verdiene
eine Legende, wenn ihm dieses Riesenwerk aufbehal¬
ten sey. Ich fürchte aber sehr, das Blatt möch¬

te

iſt es eine Sirene, der kein Menſch widerſtehen
kann.

Gegen mich war er gleich ſehr offen. Er ge¬
ſtand mir mit der angenehmſten Treuherzigkeit, daß
er nicht am beſten bey ſeinem Oncle angeſchrieben
ſtehe, und es auch wohl verdient haben möge.
Er ſey aber ernſtlich entſchloſſen, ſich zu beſſern,
und das Verdienſt davon würde ganz dem Prinzen
zufallen. Zugleich hoffe er, durch dieſen mit ſei¬
nem Oncle wieder ausgeſöhnt zu werden, weil der
Prinz alles über den Kardinal vermöge. Es habe
ihm bis jezt nur an einem Freunde und Führer ge¬
fehlt, und beydes hoffe er, ſich in dem Prinzen zu
erwerben.

Der Prinz bedient ſich auch aller Rechte eines
Führers gegen ihn, und behandelt ihn mit der
Wachſamkeit und Strenge eines Mentors. Aber
eben dieſes Verhältniß giebt ihm auch gewiſſe Rech¬
te an den Prinzen, die er ſehr gut geltend zu ma¬
chen weiß. Er kommt ihm nicht mehr von der
Seite, er iſt bey allen Parthien, an denen der
Prinz Theil nimmt, für den Bucentauro iſt er —
und das iſt ſein Glück! bis jezt nur zu jung gewe¬
ſen. Ueberall, wo er ſich mit dem Prinzen ein¬
findet, entführt er dieſen der Geſellſchaft, durch
die feine Art, womit er ihn zu beſchäftigen und
auf ſich zu ziehen weiß. Niemand, ſagen ſie, ha¬
be ihn bändigen können, und der Prinz verdiene
eine Legende, wenn ihm dieſes Rieſenwerk aufbehal¬
ten ſey. Ich fürchte aber ſehr, das Blatt möch¬

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[118/0126] iſt es eine Sirene, der kein Menſch widerſtehen kann. Gegen mich war er gleich ſehr offen. Er ge¬ ſtand mir mit der angenehmſten Treuherzigkeit, daß er nicht am beſten bey ſeinem Oncle angeſchrieben ſtehe, und es auch wohl verdient haben möge. Er ſey aber ernſtlich entſchloſſen, ſich zu beſſern, und das Verdienſt davon würde ganz dem Prinzen zufallen. Zugleich hoffe er, durch dieſen mit ſei¬ nem Oncle wieder ausgeſöhnt zu werden, weil der Prinz alles über den Kardinal vermöge. Es habe ihm bis jezt nur an einem Freunde und Führer ge¬ fehlt, und beydes hoffe er, ſich in dem Prinzen zu erwerben. Der Prinz bedient ſich auch aller Rechte eines Führers gegen ihn, und behandelt ihn mit der Wachſamkeit und Strenge eines Mentors. Aber eben dieſes Verhältniß giebt ihm auch gewiſſe Rech¬ te an den Prinzen, die er ſehr gut geltend zu ma¬ chen weiß. Er kommt ihm nicht mehr von der Seite, er iſt bey allen Parthien, an denen der Prinz Theil nimmt, für den Bucentauro iſt er — und das iſt ſein Glück! bis jezt nur zu jung gewe¬ ſen. Ueberall, wo er ſich mit dem Prinzen ein¬ findet, entführt er dieſen der Geſellſchaft, durch die feine Art, womit er ihn zu beſchäftigen und auf ſich zu ziehen weiß. Niemand, ſagen ſie, ha¬ be ihn bändigen können, und der Prinz verdiene eine Legende, wenn ihm dieſes Rieſenwerk aufbehal¬ ten ſey. Ich fürchte aber ſehr, das Blatt möch¬ te

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/126>, abgerufen am 30.04.2024.