ermattenden Süden als frisches Blut zuzusenden, wie sie auf ihrem physischen Gange das Meer über Hollands und Seelands Küsten wirft, um vielleicht eine Insel im fernen Amerika zu entblößen! Aber auch im Einzelnen und im Kleinen fehlt es an sol¬ chen Winken nicht ganz. Wie oft thut die Mäßig¬ keit eines Vaters, der längst nicht mehr ist, an einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt um eine Grabschrift zu verdienen, die in die Seele eines späten Nachkömmlings einen Feuerstral werfen soll! -- Weil vor Jahrhunderten ein verscheuchter Vogel auf seinem Fluge einige Saamenkörner da niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk auf einem wüsten Eyland eine Aerndte -- und ein moralischer Keim ging in einem so fruchtbaren Erdreich verloren!
O bester Prinz! Ihre Beredsamkeit begeistert mich zum Kampfe gegen Sie selber. So viel Vor¬ treflichkeit können Sie Ihrer fühllosen Nothwendig¬ keit gönnen, und wollen nicht lieber einen Gott da¬ mit glücklich machen? Sehen Sie in der ganzen Schöpfung umher. Wo irgend nur ein Genuß bereitet liegt, finden Sie ein genießendes Wesen -- und diesen unendlichen Genuß, dieses Mahl von Vollkommenheit, sollte durch die ganze Ewigkeit leer stehen?
"Sonderbar! sagte der Prinz nach einer tiefen Stille. Worauf Sie und Andere ihre Hoff¬ nungen gründen, eben das hat die meinigen umge¬
stürzt
d. Geisterseher. L
ermattenden Süden als friſches Blut zuzuſenden, wie ſie auf ihrem phyſiſchen Gange das Meer über Hollands und Seelands Küſten wirft, um vielleicht eine Inſel im fernen Amerika zu entblößen! Aber auch im Einzelnen und im Kleinen fehlt es an ſol¬ chen Winken nicht ganz. Wie oft thut die Mäßig¬ keit eines Vaters, der längſt nicht mehr iſt, an einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt um eine Grabſchrift zu verdienen, die in die Seele eines ſpäten Nachkömmlings einen Feuerſtral werfen ſoll! — Weil vor Jahrhunderten ein verſcheuchter Vogel auf ſeinem Fluge einige Saamenkörner da niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk auf einem wüſten Eyland eine Aerndte — und ein moraliſcher Keim ging in einem ſo fruchtbaren Erdreich verloren!
O beſter Prinz! Ihre Beredſamkeit begeiſtert mich zum Kampfe gegen Sie ſelber. So viel Vor¬ treflichkeit können Sie Ihrer fühlloſen Nothwendig¬ keit gönnen, und wollen nicht lieber einen Gott da¬ mit glücklich machen? Sehen Sie in der ganzen Schöpfung umher. Wo irgend nur ein Genuß bereitet liegt, finden Sie ein genießendes Weſen — und dieſen unendlichen Genuß, dieſes Mahl von Vollkommenheit, ſollte durch die ganze Ewigkeit leer ſtehen?
„Sonderbar! ſagte der Prinz nach einer tiefen Stille. Worauf Sie und Andere ihre Hoff¬ nungen gründen, eben das hat die meinigen umge¬
ſtürzt
d. Geiſterſeher. L
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0169"n="161"/>
ermattenden Süden als friſches Blut zuzuſenden,<lb/>
wie ſie auf ihrem phyſiſchen Gange das Meer über<lb/>
Hollands und Seelands Küſten wirft, um vielleicht<lb/>
eine Inſel im fernen Amerika zu entblößen! Aber<lb/>
auch im Einzelnen und im Kleinen fehlt es an ſol¬<lb/>
chen Winken nicht ganz. Wie oft thut die <hirendition="#g">Mäßig¬<lb/>
keit</hi> eines Vaters, der längſt nicht mehr iſt, an<lb/>
einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward<lb/>
ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt um eine<lb/>
Grabſchrift zu verdienen, die in die Seele eines<lb/>ſpäten Nachkömmlings einen Feuerſtral werfen<lb/>ſoll! — Weil vor Jahrhunderten ein verſcheuchter<lb/>
Vogel auf ſeinem Fluge einige Saamenkörner da<lb/>
niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk<lb/>
auf einem wüſten Eyland eine Aerndte — und<lb/>
ein moraliſcher Keim ging in einem ſo fruchtbaren<lb/>
Erdreich verloren!</p><lb/><p>O beſter Prinz! Ihre Beredſamkeit begeiſtert<lb/>
mich zum Kampfe gegen Sie ſelber. So viel Vor¬<lb/>
treflichkeit können Sie Ihrer fühlloſen Nothwendig¬<lb/>
keit gönnen, und wollen nicht lieber einen Gott da¬<lb/>
mit glücklich machen? Sehen Sie in der ganzen<lb/>
Schöpfung umher. Wo irgend nur ein Genuß<lb/>
bereitet liegt, finden Sie ein genießendes Weſen —<lb/>
und dieſen unendlichen Genuß, dieſes Mahl von<lb/>
Vollkommenheit, ſollte durch die ganze Ewigkeit<lb/>
leer ſtehen?</p><lb/><p>„Sonderbar! ſagte der Prinz nach einer tiefen<lb/>
Stille. Worauf <hirendition="#g">Sie</hi> und <hirendition="#g">Andere</hi> ihre Hoff¬<lb/>
nungen gründen, eben das hat die meinigen umge¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">d. Geiſterſeher. L<lb/></fw><fwplace="bottom"type="catch">ſtürzt<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[161/0169]
ermattenden Süden als friſches Blut zuzuſenden,
wie ſie auf ihrem phyſiſchen Gange das Meer über
Hollands und Seelands Küſten wirft, um vielleicht
eine Inſel im fernen Amerika zu entblößen! Aber
auch im Einzelnen und im Kleinen fehlt es an ſol¬
chen Winken nicht ganz. Wie oft thut die Mäßig¬
keit eines Vaters, der längſt nicht mehr iſt, an
einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward
ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt um eine
Grabſchrift zu verdienen, die in die Seele eines
ſpäten Nachkömmlings einen Feuerſtral werfen
ſoll! — Weil vor Jahrhunderten ein verſcheuchter
Vogel auf ſeinem Fluge einige Saamenkörner da
niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk
auf einem wüſten Eyland eine Aerndte — und
ein moraliſcher Keim ging in einem ſo fruchtbaren
Erdreich verloren!
O beſter Prinz! Ihre Beredſamkeit begeiſtert
mich zum Kampfe gegen Sie ſelber. So viel Vor¬
treflichkeit können Sie Ihrer fühlloſen Nothwendig¬
keit gönnen, und wollen nicht lieber einen Gott da¬
mit glücklich machen? Sehen Sie in der ganzen
Schöpfung umher. Wo irgend nur ein Genuß
bereitet liegt, finden Sie ein genießendes Weſen —
und dieſen unendlichen Genuß, dieſes Mahl von
Vollkommenheit, ſollte durch die ganze Ewigkeit
leer ſtehen?
„Sonderbar! ſagte der Prinz nach einer tiefen
Stille. Worauf Sie und Andere ihre Hoff¬
nungen gründen, eben das hat die meinigen umge¬
ſtürzt
d. Geiſterſeher. L
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/169>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.