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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Boden stehen; die Abweichungen im Einzelnen sind nicht von großer
Bedeutung, und je länger und je fester das Princip der verfassungs-
mäßigen Verwaltung sich herausarbeitet, um so klarer wird dieß richtige
Institut seine Stellung finden.

Was nun schließlich die Zusammensetzung und Organisation
des Staatsrathes betrifft, so gelten für die erstere zwei Grundsätze:
erstlich, daß der König die Mitglieder desselben frei wählt; zweitens
daß die Minister in den Berathungen zugegen sein können. Die Form
und das Recht dieses letztern Punktes ist wieder verschieden; jedenfalls
müssen sie eine entscheidende und nicht bloß berathende Stimme haben.
Die Organisation des Staatsrathes dagegen ist durchaus davon
abhängig, ob man ihn als das Haupt der verordnenden Gewalt, oder
bloß als Rath des Monarchen betrachtet. Im ersten Falle muß er
die ganze Verwaltung umfassen, und die Eintheilung in Sektionen,
welche dem Gebiete der letztern entsprechen, ist nach französischem Muster
die Folge dieses Grundsatzes; im zweiten Falle wird er stets ein ein-
heitliches Collegium bilden. Die positiven Gesetze über die Bildung,
Competenz und Organisation des Staatsrathes müssen von diesen Stand-
punkten aus betrachtet werden; es ist ein eigenes Studium, jeden
Staatsrath aus den obigen Gesichtspunkten in seiner Entstehung und
seiner Geschichte zu verfolgen.

Schließlich ist das sogenannte Geheime Cabinet gar nicht als
ein verfassungsmäßiges, sondern rein als ein zum persönlichen Dienste
des Monarchen bestimmtes Hofamt zu betrachten, soweit es nicht, wie
in einigen Staaten, gewissermaßen der Staatsrath in Militärsachen ist.

Der Charakter des Staatsraths, wie er sich auf dieser Grundlage in den
Hauptstaaten ausgebildet hat, ist nun im Wesentlichen folgender.

England.

In England ist der Sieg der gesellschaftlichen Elemente über die Krone
formell schon seit Wilhelm III., materiell eigentlich erst seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts definitiv entschieden. Die Vertreter der gesellschaftlichen
Herrschaft über die Staatsgewalt, die herrschende Partei in den Häusern, läßt
daher eine von ihr unabhängige vollziehende Gewalt nicht zu, und es entsteht
dort daher das Verhältniß, welches den englischen Staatsrath, das Council, so
wesentlich vom Staatsrath auf dem Continent unterscheidet. Die Krone hat
nämlich hier materiell gar nicht jene Selbständigkeit gegenüber der Gesetzgebung
oder Verwaltung, welche ihre Sanktion noch als einen freien persönlichen Ent-
schluß erscheinen läßt. In England ist die vollziehende Gewalt vollständig von
der gesetzgebenden beherrscht, und ein von der letztern und ihrer Parteiregierung
unabhängiger, die Krone in ihrer Selbständigkeit unterstützender Staatsrath
außerhalb der Ministerien ist hier daher gar nicht denkbar. Es erscheint dieser

Stein, die Verwaltungslehre. I. 18

Boden ſtehen; die Abweichungen im Einzelnen ſind nicht von großer
Bedeutung, und je länger und je feſter das Princip der verfaſſungs-
mäßigen Verwaltung ſich herausarbeitet, um ſo klarer wird dieß richtige
Inſtitut ſeine Stellung finden.

Was nun ſchließlich die Zuſammenſetzung und Organiſation
des Staatsrathes betrifft, ſo gelten für die erſtere zwei Grundſätze:
erſtlich, daß der König die Mitglieder deſſelben frei wählt; zweitens
daß die Miniſter in den Berathungen zugegen ſein können. Die Form
und das Recht dieſes letztern Punktes iſt wieder verſchieden; jedenfalls
müſſen ſie eine entſcheidende und nicht bloß berathende Stimme haben.
Die Organiſation des Staatsrathes dagegen iſt durchaus davon
abhängig, ob man ihn als das Haupt der verordnenden Gewalt, oder
bloß als Rath des Monarchen betrachtet. Im erſten Falle muß er
die ganze Verwaltung umfaſſen, und die Eintheilung in Sektionen,
welche dem Gebiete der letztern entſprechen, iſt nach franzöſiſchem Muſter
die Folge dieſes Grundſatzes; im zweiten Falle wird er ſtets ein ein-
heitliches Collegium bilden. Die poſitiven Geſetze über die Bildung,
Competenz und Organiſation des Staatsrathes müſſen von dieſen Stand-
punkten aus betrachtet werden; es iſt ein eigenes Studium, jeden
Staatsrath aus den obigen Geſichtspunkten in ſeiner Entſtehung und
ſeiner Geſchichte zu verfolgen.

Schließlich iſt das ſogenannte Geheime Cabinet gar nicht als
ein verfaſſungsmäßiges, ſondern rein als ein zum perſönlichen Dienſte
des Monarchen beſtimmtes Hofamt zu betrachten, ſoweit es nicht, wie
in einigen Staaten, gewiſſermaßen der Staatsrath in Militärſachen iſt.

Der Charakter des Staatsraths, wie er ſich auf dieſer Grundlage in den
Hauptſtaaten ausgebildet hat, iſt nun im Weſentlichen folgender.

England.

In England iſt der Sieg der geſellſchaftlichen Elemente über die Krone
formell ſchon ſeit Wilhelm III., materiell eigentlich erſt ſeit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts definitiv entſchieden. Die Vertreter der geſellſchaftlichen
Herrſchaft über die Staatsgewalt, die herrſchende Partei in den Häuſern, läßt
daher eine von ihr unabhängige vollziehende Gewalt nicht zu, und es entſteht
dort daher das Verhältniß, welches den engliſchen Staatsrath, das Council, ſo
weſentlich vom Staatsrath auf dem Continent unterſcheidet. Die Krone hat
nämlich hier materiell gar nicht jene Selbſtändigkeit gegenüber der Geſetzgebung
oder Verwaltung, welche ihre Sanktion noch als einen freien perſönlichen Ent-
ſchluß erſcheinen läßt. In England iſt die vollziehende Gewalt vollſtändig von
der geſetzgebenden beherrſcht, und ein von der letztern und ihrer Parteiregierung
unabhängiger, die Krone in ihrer Selbſtändigkeit unterſtützender Staatsrath
außerhalb der Miniſterien iſt hier daher gar nicht denkbar. Es erſcheint dieſer

Stein, die Verwaltungslehre. I. 18
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[273/0297] Boden ſtehen; die Abweichungen im Einzelnen ſind nicht von großer Bedeutung, und je länger und je feſter das Princip der verfaſſungs- mäßigen Verwaltung ſich herausarbeitet, um ſo klarer wird dieß richtige Inſtitut ſeine Stellung finden. Was nun ſchließlich die Zuſammenſetzung und Organiſation des Staatsrathes betrifft, ſo gelten für die erſtere zwei Grundſätze: erſtlich, daß der König die Mitglieder deſſelben frei wählt; zweitens daß die Miniſter in den Berathungen zugegen ſein können. Die Form und das Recht dieſes letztern Punktes iſt wieder verſchieden; jedenfalls müſſen ſie eine entſcheidende und nicht bloß berathende Stimme haben. Die Organiſation des Staatsrathes dagegen iſt durchaus davon abhängig, ob man ihn als das Haupt der verordnenden Gewalt, oder bloß als Rath des Monarchen betrachtet. Im erſten Falle muß er die ganze Verwaltung umfaſſen, und die Eintheilung in Sektionen, welche dem Gebiete der letztern entſprechen, iſt nach franzöſiſchem Muſter die Folge dieſes Grundſatzes; im zweiten Falle wird er ſtets ein ein- heitliches Collegium bilden. Die poſitiven Geſetze über die Bildung, Competenz und Organiſation des Staatsrathes müſſen von dieſen Stand- punkten aus betrachtet werden; es iſt ein eigenes Studium, jeden Staatsrath aus den obigen Geſichtspunkten in ſeiner Entſtehung und ſeiner Geſchichte zu verfolgen. Schließlich iſt das ſogenannte Geheime Cabinet gar nicht als ein verfaſſungsmäßiges, ſondern rein als ein zum perſönlichen Dienſte des Monarchen beſtimmtes Hofamt zu betrachten, ſoweit es nicht, wie in einigen Staaten, gewiſſermaßen der Staatsrath in Militärſachen iſt. Der Charakter des Staatsraths, wie er ſich auf dieſer Grundlage in den Hauptſtaaten ausgebildet hat, iſt nun im Weſentlichen folgender. England. In England iſt der Sieg der geſellſchaftlichen Elemente über die Krone formell ſchon ſeit Wilhelm III., materiell eigentlich erſt ſeit der Mitte des vorigen Jahrhunderts definitiv entſchieden. Die Vertreter der geſellſchaftlichen Herrſchaft über die Staatsgewalt, die herrſchende Partei in den Häuſern, läßt daher eine von ihr unabhängige vollziehende Gewalt nicht zu, und es entſteht dort daher das Verhältniß, welches den engliſchen Staatsrath, das Council, ſo weſentlich vom Staatsrath auf dem Continent unterſcheidet. Die Krone hat nämlich hier materiell gar nicht jene Selbſtändigkeit gegenüber der Geſetzgebung oder Verwaltung, welche ihre Sanktion noch als einen freien perſönlichen Ent- ſchluß erſcheinen läßt. In England iſt die vollziehende Gewalt vollſtändig von der geſetzgebenden beherrſcht, und ein von der letztern und ihrer Parteiregierung unabhängiger, die Krone in ihrer Selbſtändigkeit unterſtützender Staatsrath außerhalb der Miniſterien iſt hier daher gar nicht denkbar. Es erſcheint dieſer Stein, die Verwaltungslehre. I. 18

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/297>, abgerufen am 30.04.2024.