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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Prädicat von dem logischen abweichen, was die Unabhängigkeit
der Grammatik von der Logik beweist.

§. 79. Das allein oder absolut stehende Prädicat. Der Existentialsatz.
Das Sein und die Copula.

Der einzige Stütz- und Beweispunkt, welchen Trendelen-
burg für seine Ansicht von der Entwickelung des Urtheils und
des Begriffs in der Sprache fand, war das sogenannte unpersön-
liche Verbum, z. B. es blitzt, worin er den Ausdruck der abso-
luten, der gestaltenden Thätigkeit, des primitiven Urtheils, fand.
Dieser Punkt führt uns auf die Betrachtung der Copula. Es
ist zunächst interessant zu sehen, wie rücksichtlich dieses Fal-
les, des unpersönlichen Verbums, die formale und die metaphy-
sische Logik einen extremen Gegensatz bilden. Was Trende-
lenburg für das Primitivste nimmt, das entwickelt Herbart (Ein-
leitung §. 63.) durch mancherlei Verhältnisse der Begriffe im Ur-
theile hindurch als das Letzte. Herbart bemerkt, "daß in jedem
Urtheil das Prädicat nur in beschränktem Sinne vorkomme,
nämlich in Beziehung auf sein Subject. Bei dem Satze: das
Wasser verdunstet,
denkt man an Verdunsten nur, insofern
dies Merkmal im Begriff des Wassers vorkommt; man denkt
nicht an wohlriechende Dünste u. s. w. Diese Beschränkung des
Prädicats richtet sich ganz nach dem Subject; sie muß mit ihm
wachsen und abnehmen. Setzt man im obigen Beispiele statt
Wasser vielmehr heißes Wasser, oder noch bestimmter kochen-
des Wasser,
so verengt sich die Bedeutung des Prädicats. Setzt
man Flüssigkeit überhaupt, so wächst die Sphäre, innerhalb de-
ren die Verdunstung gedacht wird. Die freie Stellung des Prä-
dicats im Urtheile muß ihr Maximum erreichen, wenn der In-
halt des Subjectbegriffes verschwindet. Im Beispiele, wenn gar
nicht angegeben wird, was das Verdunstende sei. In diesem
Falle scheint nun das Urtheil ganz zerstört, weil sein wesent-
licher Bestandtheil, das Subject, nicht vorhanden ist. Und al-
lerdings kann kein gewöhnliches Urtheil mehr übrig, es muß
aber etwas anderes an dessen Platz getreten sein, da die Be-
deutung des Prädicats bis zu diesem Punkte nicht ab-, sondern
vielmehr zugenommen hat. Das Prädicat nämlich wird jetzt
unbeschränkt, unbedingt aufgestellt; nicht als ein Begriff, der
an einen andern solle angelehnt werden, wie zuvor, da es noch
ein Subject hatte; auch nicht, als ob es einen andern Begriff
erwartete, welchem es selbst zur Stütze dienen sollte; sonst

Prädicat von dem logischen abweichen, was die Unabhängigkeit
der Grammatik von der Logik beweist.

§. 79. Das allein oder absolut stehende Prädicat. Der Existentialsatz.
Das Sein und die Copula.

Der einzige Stütz- und Beweispunkt, welchen Trendelen-
burg für seine Ansicht von der Entwickelung des Urtheils und
des Begriffs in der Sprache fand, war das sogenannte unpersön-
liche Verbum, z. B. es blitzt, worin er den Ausdruck der abso-
luten, der gestaltenden Thätigkeit, des primitiven Urtheils, fand.
Dieser Punkt führt uns auf die Betrachtung der Copula. Es
ist zunächst interessant zu sehen, wie rücksichtlich dieses Fal-
les, des unpersönlichen Verbums, die formale und die metaphy-
sische Logik einen extremen Gegensatz bilden. Was Trende-
lenburg für das Primitivste nimmt, das entwickelt Herbart (Ein-
leitung §. 63.) durch mancherlei Verhältnisse der Begriffe im Ur-
theile hindurch als das Letzte. Herbart bemerkt, „daß in jedem
Urtheil das Prädicat nur in beschränktem Sinne vorkomme,
nämlich in Beziehung auf sein Subject. Bei dem Satze: das
Wasser verdunstet,
denkt man an Verdunsten nur, insofern
dies Merkmal im Begriff des Wassers vorkommt; man denkt
nicht an wohlriechende Dünste u. s. w. Diese Beschränkung des
Prädicats richtet sich ganz nach dem Subject; sie muß mit ihm
wachsen und abnehmen. Setzt man im obigen Beispiele statt
Wasser vielmehr heißes Wasser, oder noch bestimmter kochen-
des Wasser,
so verengt sich die Bedeutung des Prädicats. Setzt
man Flüssigkeit überhaupt, so wächst die Sphäre, innerhalb de-
ren die Verdunstung gedacht wird. Die freie Stellung des Prä-
dicats im Urtheile muß ihr Maximum erreichen, wenn der In-
halt des Subjectbegriffes verschwindet. Im Beispiele, wenn gar
nicht angegeben wird, was das Verdunstende sei. In diesem
Falle scheint nun das Urtheil ganz zerstört, weil sein wesent-
licher Bestandtheil, das Subject, nicht vorhanden ist. Und al-
lerdings kann kein gewöhnliches Urtheil mehr übrig, es muß
aber etwas anderes an dessen Platz getreten sein, da die Be-
deutung des Prädicats bis zu diesem Punkte nicht ab-, sondern
vielmehr zugenommen hat. Das Prädicat nämlich wird jetzt
unbeschränkt, unbedingt aufgestellt; nicht als ein Begriff, der
an einen andern solle angelehnt werden, wie zuvor, da es noch
ein Subject hatte; auch nicht, als ob es einen andern Begriff
erwartete, welchem es selbst zur Stütze dienen sollte; sonst

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[200/0238] Prädicat von dem logischen abweichen, was die Unabhängigkeit der Grammatik von der Logik beweist. §. 79. Das allein oder absolut stehende Prädicat. Der Existentialsatz. Das Sein und die Copula. Der einzige Stütz- und Beweispunkt, welchen Trendelen- burg für seine Ansicht von der Entwickelung des Urtheils und des Begriffs in der Sprache fand, war das sogenannte unpersön- liche Verbum, z. B. es blitzt, worin er den Ausdruck der abso- luten, der gestaltenden Thätigkeit, des primitiven Urtheils, fand. Dieser Punkt führt uns auf die Betrachtung der Copula. Es ist zunächst interessant zu sehen, wie rücksichtlich dieses Fal- les, des unpersönlichen Verbums, die formale und die metaphy- sische Logik einen extremen Gegensatz bilden. Was Trende- lenburg für das Primitivste nimmt, das entwickelt Herbart (Ein- leitung §. 63.) durch mancherlei Verhältnisse der Begriffe im Ur- theile hindurch als das Letzte. Herbart bemerkt, „daß in jedem Urtheil das Prädicat nur in beschränktem Sinne vorkomme, nämlich in Beziehung auf sein Subject. Bei dem Satze: das Wasser verdunstet, denkt man an Verdunsten nur, insofern dies Merkmal im Begriff des Wassers vorkommt; man denkt nicht an wohlriechende Dünste u. s. w. Diese Beschränkung des Prädicats richtet sich ganz nach dem Subject; sie muß mit ihm wachsen und abnehmen. Setzt man im obigen Beispiele statt Wasser vielmehr heißes Wasser, oder noch bestimmter kochen- des Wasser, so verengt sich die Bedeutung des Prädicats. Setzt man Flüssigkeit überhaupt, so wächst die Sphäre, innerhalb de- ren die Verdunstung gedacht wird. Die freie Stellung des Prä- dicats im Urtheile muß ihr Maximum erreichen, wenn der In- halt des Subjectbegriffes verschwindet. Im Beispiele, wenn gar nicht angegeben wird, was das Verdunstende sei. In diesem Falle scheint nun das Urtheil ganz zerstört, weil sein wesent- licher Bestandtheil, das Subject, nicht vorhanden ist. Und al- lerdings kann kein gewöhnliches Urtheil mehr übrig, es muß aber etwas anderes an dessen Platz getreten sein, da die Be- deutung des Prädicats bis zu diesem Punkte nicht ab-, sondern vielmehr zugenommen hat. Das Prädicat nämlich wird jetzt unbeschränkt, unbedingt aufgestellt; nicht als ein Begriff, der an einen andern solle angelehnt werden, wie zuvor, da es noch ein Subject hatte; auch nicht, als ob es einen andern Begriff erwartete, welchem es selbst zur Stütze dienen sollte; sonst

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/238>, abgerufen am 30.04.2024.