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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
rin, Callias, fragte Danae den Agathon, welcher nur
mittelmäßig aufmerksam auf dieses Spiel zu seyn schien,
und der einzige war, der nicht beobachtete, daß die
Tänzerin von ungemeiner Schönheit, und eben so wie
Cyane, kaum mit etwas mehr als gewebter Luft um-
hüllt war. Mich däucht, versezte Agathon, der izt
erst anfieng sie aufmerksamer anzusehen, mich däucht,
daß sie, vielleichk aus allzugrosser Begierde zu gefallen,
den Character verläßt den fie vorstellen soll. Warum
sieht sie sich im Fliehen um? Und mit einem Blik, der
es ihrem Verfolger zu verweisen scheint, daß er nicht
schneller ist als sie? -- Gut, sehr gut! (fuhr er fort,
wie die Stelle kam, wo Daphne den Flußgott um
Hülfe anruft,) unverbesserlich! Wie sie mitten in ih-
rem Gebet sich verwandelt! Wie sie erbleicht! Wie sie
schauert! Jhre Füsse wurzeln mitten in einer schrek-
haften Bewegung ein; umsonst will sie ihre ausgebrei-
teten Arme zurükziehen. -- Aber warum dieser zärlich-
bange Blik auf ihren Liebhaber? Warum diese Thräne,
die in ihrem Auge zu erstarren scheint? -- Ein allge-
meines Lächeln beantwortete die Frage Agathons. Du
tadelst gerade, versezte zulezt einer von den Gästen,
was wir am meisten bewundern. Eine gewöhnliche
Tänzerin würde nicht fähig gewesen seyn, deinen Tadel
zu verdienen. Es ist unmöglich mehr Geist, mehr Fein-
heit und einen schönern Contrast in diese Rolle zu bringen,
als die kleine Psyche, (so hieß die Tänzerin) ge-
than hat. Daphne selbst war nicht bestürzter gewesen,
da sie sich verwandelt fühlte, als Agathon in dem Au-

genblik,

Agathon.
rin, Callias, fragte Danae den Agathon, welcher nur
mittelmaͤßig aufmerkſam auf dieſes Spiel zu ſeyn ſchien,
und der einzige war, der nicht beobachtete, daß die
Taͤnzerin von ungemeiner Schoͤnheit, und eben ſo wie
Cyane, kaum mit etwas mehr als gewebter Luft um-
huͤllt war. Mich daͤucht, verſezte Agathon, der izt
erſt anfieng ſie aufmerkſamer anzuſehen, mich daͤucht,
daß ſie, vielleichk aus allzugroſſer Begierde zu gefallen,
den Character verlaͤßt den fie vorſtellen ſoll. Warum
ſieht ſie ſich im Fliehen um? Und mit einem Blik, der
es ihrem Verfolger zu verweiſen ſcheint, daß er nicht
ſchneller iſt als ſie? ‒‒ Gut, ſehr gut! (fuhr er fort,
wie die Stelle kam, wo Daphne den Flußgott um
Huͤlfe anruft,) unverbeſſerlich! Wie ſie mitten in ih-
rem Gebet ſich verwandelt! Wie ſie erbleicht! Wie ſie
ſchauert! Jhre Fuͤſſe wurzeln mitten in einer ſchrek-
haften Bewegung ein; umſonſt will ſie ihre ausgebrei-
teten Arme zuruͤkziehen. ‒‒ Aber warum dieſer zaͤrlich-
bange Blik auf ihren Liebhaber? Warum dieſe Thraͤne,
die in ihrem Auge zu erſtarren ſcheint? ‒‒ Ein allge-
meines Laͤcheln beantwortete die Frage Agathons. Du
tadelſt gerade, verſezte zulezt einer von den Gaͤſten,
was wir am meiſten bewundern. Eine gewoͤhnliche
Taͤnzerin wuͤrde nicht faͤhig geweſen ſeyn, deinen Tadel
zu verdienen. Es iſt unmoͤglich mehr Geiſt, mehr Fein-
heit und einen ſchoͤnern Contraſt in dieſe Rolle zu bringen,
als die kleine Pſyche, (ſo hieß die Taͤnzerin) ge-
than hat. Daphne ſelbſt war nicht beſtuͤrzter geweſen,
da ſie ſich verwandelt fuͤhlte, als Agathon in dem Au-

genblik,
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[156/0178] Agathon. rin, Callias, fragte Danae den Agathon, welcher nur mittelmaͤßig aufmerkſam auf dieſes Spiel zu ſeyn ſchien, und der einzige war, der nicht beobachtete, daß die Taͤnzerin von ungemeiner Schoͤnheit, und eben ſo wie Cyane, kaum mit etwas mehr als gewebter Luft um- huͤllt war. Mich daͤucht, verſezte Agathon, der izt erſt anfieng ſie aufmerkſamer anzuſehen, mich daͤucht, daß ſie, vielleichk aus allzugroſſer Begierde zu gefallen, den Character verlaͤßt den fie vorſtellen ſoll. Warum ſieht ſie ſich im Fliehen um? Und mit einem Blik, der es ihrem Verfolger zu verweiſen ſcheint, daß er nicht ſchneller iſt als ſie? ‒‒ Gut, ſehr gut! (fuhr er fort, wie die Stelle kam, wo Daphne den Flußgott um Huͤlfe anruft,) unverbeſſerlich! Wie ſie mitten in ih- rem Gebet ſich verwandelt! Wie ſie erbleicht! Wie ſie ſchauert! Jhre Fuͤſſe wurzeln mitten in einer ſchrek- haften Bewegung ein; umſonſt will ſie ihre ausgebrei- teten Arme zuruͤkziehen. ‒‒ Aber warum dieſer zaͤrlich- bange Blik auf ihren Liebhaber? Warum dieſe Thraͤne, die in ihrem Auge zu erſtarren ſcheint? ‒‒ Ein allge- meines Laͤcheln beantwortete die Frage Agathons. Du tadelſt gerade, verſezte zulezt einer von den Gaͤſten, was wir am meiſten bewundern. Eine gewoͤhnliche Taͤnzerin wuͤrde nicht faͤhig geweſen ſeyn, deinen Tadel zu verdienen. Es iſt unmoͤglich mehr Geiſt, mehr Fein- heit und einen ſchoͤnern Contraſt in dieſe Rolle zu bringen, als die kleine Pſyche, (ſo hieß die Taͤnzerin) ge- than hat. Daphne ſelbſt war nicht beſtuͤrzter geweſen, da ſie ſich verwandelt fuͤhlte, als Agathon in dem Au- genblik,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/178>, abgerufen am 30.04.2024.