Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.21. Amanda, deren ziel nun immer näher rükt,Sucht gern die einsamkeit, sucht stille dunkle steige Im hayn sich aus, und dichtgewölbte zweige. Da lehnt sie oft, von ahnungen gedrükt, An einem blühnden baum, und freuet sich des webens Und sumsens und gedrängs und allgemeinen lebens In seinem schoos -- und drükt mit vorempfundner lust Ein lieblich Kind im geist an ihre brust. 22. Ein lieblich kind, das ihre mutterliebeMit jedem süßen reiz verschwenderisch begabt, Sich schon voraus an jedem zarten triebe, Der ihm entkeimt, sich schon am ersten lächeln labt, Womit es ihr die leiden alle danket Die sie so gern um seinetwillen trug; Sich labt an jedem schönen zug Worinn des vaters bild sanft zwischen ihrem schwanket. 23. Allmählich wird der wonnigliche traumVon schüchternen beängstigungen Und stillem gram, den sie vor Hüon kaum Verbergen kann und doch verbergen will, verdrungen. O Fatme, denkt sie oft, und thränen stehen ihr Im auge, wärest du in dieser noth bey mir! Getrost, o Rezia! Das schiksal das dich leitet Hat dir zu helfen längst die wege vorbereitet! 24. Ti- O
21. Amanda, deren ziel nun immer naͤher ruͤkt,Sucht gern die einſamkeit, ſucht ſtille dunkle ſteige Im hayn ſich aus, und dichtgewoͤlbte zweige. Da lehnt ſie oft, von ahnungen gedruͤkt, An einem bluͤhnden baum, und freuet ſich des webens Und ſumſens und gedraͤngs und allgemeinen lebens In ſeinem ſchoos — und druͤkt mit vorempfundner luſt Ein lieblich Kind im geiſt an ihre bruſt. 22. Ein lieblich kind, das ihre mutterliebeMit jedem ſuͤßen reiz verſchwenderiſch begabt, Sich ſchon voraus an jedem zarten triebe, Der ihm entkeimt, ſich ſchon am erſten laͤcheln labt, Womit es ihr die leiden alle danket Die ſie ſo gern um ſeinetwillen trug; Sich labt an jedem ſchoͤnen zug Worinn des vaters bild ſanft zwiſchen ihrem ſchwanket. 23. Allmaͤhlich wird der wonnigliche traumVon ſchuͤchternen beaͤngſtigungen Und ſtillem gram, den ſie vor Huͤon kaum Verbergen kann und doch verbergen will, verdrungen. O Fatme, denkt ſie oft, und thraͤnen ſtehen ihr Im auge, waͤreſt du in dieſer noth bey mir! Getroſt, o Rezia! Das ſchikſal das dich leitet Hat dir zu helfen laͤngſt die wege vorbereitet! 24. Ti- O
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21.
Amanda, deren ziel nun immer naͤher ruͤkt,
Sucht gern die einſamkeit, ſucht ſtille dunkle ſteige
Im hayn ſich aus, und dichtgewoͤlbte zweige.
Da lehnt ſie oft, von ahnungen gedruͤkt,
An einem bluͤhnden baum, und freuet ſich des webens
Und ſumſens und gedraͤngs und allgemeinen lebens
In ſeinem ſchoos — und druͤkt mit vorempfundner luſt
Ein lieblich Kind im geiſt an ihre bruſt.
22.
Ein lieblich kind, das ihre mutterliebe
Mit jedem ſuͤßen reiz verſchwenderiſch begabt,
Sich ſchon voraus an jedem zarten triebe,
Der ihm entkeimt, ſich ſchon am erſten laͤcheln labt,
Womit es ihr die leiden alle danket
Die ſie ſo gern um ſeinetwillen trug;
Sich labt an jedem ſchoͤnen zug
Worinn des vaters bild ſanft zwiſchen ihrem ſchwanket.
23.
Allmaͤhlich wird der wonnigliche traum
Von ſchuͤchternen beaͤngſtigungen
Und ſtillem gram, den ſie vor Huͤon kaum
Verbergen kann und doch verbergen will, verdrungen.
O Fatme, denkt ſie oft, und thraͤnen ſtehen ihr
Im auge, waͤreſt du in dieſer noth bey mir!
Getroſt, o Rezia! Das ſchikſal das dich leitet
Hat dir zu helfen laͤngſt die wege vorbereitet!
24. Ti-
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