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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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29.
Da fieng der fromme Greis, mit mehr gerührtem ton
Als sonst, zu reden an, von diesem erdenleben
Als einem Traum, und vom hinüberschweben
Ins wahre Seyn -- Es war, als wehe schon
Ein hauch von himmelsluft zu ihm herüber,
Und trag ihn sanft empor indem er sprach.
Amanda fühlts; die augen gehn ihr über,
Ihr ist's, als sähe sie dem Halbverschwundnen nach.
30.
Mir, fuhr er fort, mir reichen sie die hände
Vom ufer jenseits schon -- Mein lauf ist bald zu ende;
Der Eurige beginnet kaum, und viel
Viel trübsal noch, auch viel der besten freuden,
(Oft sinds nur stärkungen auf neue größre leiden)
Erwarten euch, indeß ihr unvermerkt dem ziel
Euch nähert. Beydes geht vorüber,
Und wird zum traum, und nichts begleitet uns hinüber.
31.
Nichts als der gute schaz, den ihr in euer herz
Gesammelt, wahrheit, lieb, und innerlicher frieden,
Und die erinnerung, daß weder lust noch schmerz
Euch nie vom treuen hang an eure pflicht geschieden.
So sprach er vieles noch; und als sie endlich sich
Zur ruh begaben, drükt er, wie sie dünkte,
Sie wärmer an sein herz, und eine thräne blinkte
In seinem aug', indem er schnell von ihnen wich.
32. In
29.
Da fieng der fromme Greis, mit mehr geruͤhrtem ton
Als ſonſt, zu reden an, von dieſem erdenleben
Als einem Traum, und vom hinuͤberſchweben
Ins wahre Seyn — Es war, als wehe ſchon
Ein hauch von himmelsluft zu ihm heruͤber,
Und trag ihn ſanft empor indem er ſprach.
Amanda fuͤhlts; die augen gehn ihr uͤber,
Ihr iſt's, als ſaͤhe ſie dem Halbverſchwundnen nach.
30.
Mir, fuhr er fort, mir reichen ſie die haͤnde
Vom ufer jenſeits ſchon — Mein lauf iſt bald zu ende;
Der Eurige beginnet kaum, und viel
Viel truͤbſal noch, auch viel der beſten freuden,
(Oft ſinds nur ſtaͤrkungen auf neue groͤßre leiden)
Erwarten euch, indeß ihr unvermerkt dem ziel
Euch naͤhert. Beydes geht voruͤber,
Und wird zum traum, und nichts begleitet uns hinuͤber.
31.
Nichts als der gute ſchaz, den ihr in euer herz
Geſammelt, wahrheit, lieb, und innerlicher frieden,
Und die erinnerung, daß weder luſt noch ſchmerz
Euch nie vom treuen hang an eure pflicht geſchieden.
So ſprach er vieles noch; und als ſie endlich ſich
Zur ruh begaben, druͤkt er, wie ſie duͤnkte,
Sie waͤrmer an ſein herz, und eine thraͤne blinkte
In ſeinem aug', indem er ſchnell von ihnen wich.
32. In
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[0234] 29. Da fieng der fromme Greis, mit mehr geruͤhrtem ton Als ſonſt, zu reden an, von dieſem erdenleben Als einem Traum, und vom hinuͤberſchweben Ins wahre Seyn — Es war, als wehe ſchon Ein hauch von himmelsluft zu ihm heruͤber, Und trag ihn ſanft empor indem er ſprach. Amanda fuͤhlts; die augen gehn ihr uͤber, Ihr iſt's, als ſaͤhe ſie dem Halbverſchwundnen nach. 30. Mir, fuhr er fort, mir reichen ſie die haͤnde Vom ufer jenſeits ſchon — Mein lauf iſt bald zu ende; Der Eurige beginnet kaum, und viel Viel truͤbſal noch, auch viel der beſten freuden, (Oft ſinds nur ſtaͤrkungen auf neue groͤßre leiden) Erwarten euch, indeß ihr unvermerkt dem ziel Euch naͤhert. Beydes geht voruͤber, Und wird zum traum, und nichts begleitet uns hinuͤber. 31. Nichts als der gute ſchaz, den ihr in euer herz Geſammelt, wahrheit, lieb, und innerlicher frieden, Und die erinnerung, daß weder luſt noch ſchmerz Euch nie vom treuen hang an eure pflicht geſchieden. So ſprach er vieles noch; und als ſie endlich ſich Zur ruh begaben, druͤkt er, wie ſie duͤnkte, Sie waͤrmer an ſein herz, und eine thraͤne blinkte In ſeinem aug', indem er ſchnell von ihnen wich. 32. In

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/234>, abgerufen am 31.10.2024.