Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

er hat einen scharlachrothen Rock und schwarze Unter-
kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der
Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und
zwar so sehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis
an's Wasser ging, wie ich jeden Abend thue; und wie
ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich
jemand Liebes dort hinbestellt hätte, so würd' ich wohl
nichts von Furcht gespürt haben; ich ging also noch
einmal und glücklich an dem Lumpengespenst vorbei,
denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die
stille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein,
über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die
wohl, als dem stillen, ruhigen Abend, in dem mein An-
denken ihm einen freundlichen Besuch macht, und er
sich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin-
dischen Gedanken bei ihm anlande; was ich in so ein-
samer Abendstunde, wo die Dämmerung mit der Nacht
tauscht, denke, das kann Sie sich am besten vorstellen,
da wir es tausendmal mit einander besprochen haben,
und haben so viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir
mit einander zu ihm gereist kämen, das denk' ich mir
immer noch aus. -- Damals hatte ich ihn noch nicht
gesehen, wie Sie meiner heißen Sehnsucht die Zeit da-
mit vertrieb, daß Sie mir seine freudige Überraschung

I. 4

er hat einen ſcharlachrothen Rock und ſchwarze Unter-
kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der
Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und
zwar ſo ſehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis
an's Waſſer ging, wie ich jeden Abend thue; und wie
ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich
jemand Liebes dort hinbeſtellt hätte, ſo würd' ich wohl
nichts von Furcht geſpürt haben; ich ging alſo noch
einmal und glücklich an dem Lumpengeſpenſt vorbei,
denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die
ſtille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein,
über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die
wohl, als dem ſtillen, ruhigen Abend, in dem mein An-
denken ihm einen freundlichen Beſuch macht, und er
ſich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin-
diſchen Gedanken bei ihm anlande; was ich in ſo ein-
ſamer Abendſtunde, wo die Dämmerung mit der Nacht
tauſcht, denke, das kann Sie ſich am beſten vorſtellen,
da wir es tauſendmal mit einander beſprochen haben,
und haben ſo viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir
mit einander zu ihm gereiſt kämen, das denk' ich mir
immer noch aus. — Damals hatte ich ihn noch nicht
geſehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit da-
mit vertrieb, daß Sie mir ſeine freudige Überraſchung

I. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="73"/>
er hat einen &#x017F;charlachrothen Rock und &#x017F;chwarze Unter-<lb/>
kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der<lb/>
Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und<lb/>
zwar &#x017F;o &#x017F;ehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis<lb/>
an's Wa&#x017F;&#x017F;er ging, wie ich jeden Abend thue; und wie<lb/>
ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich<lb/>
jemand Liebes dort hinbe&#x017F;tellt hätte, &#x017F;o würd' ich wohl<lb/>
nichts von Furcht ge&#x017F;pürt haben; ich ging al&#x017F;o noch<lb/>
einmal und glücklich an dem Lumpenge&#x017F;pen&#x017F;t vorbei,<lb/>
denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die<lb/>
&#x017F;tille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein,<lb/>
über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die<lb/>
wohl, als dem &#x017F;tillen, ruhigen Abend, in dem mein An-<lb/>
denken ihm einen freundlichen Be&#x017F;uch macht, und er<lb/>
&#x017F;ich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin-<lb/>
di&#x017F;chen Gedanken bei ihm anlande; was ich in &#x017F;o ein-<lb/>
&#x017F;amer Abend&#x017F;tunde, wo die Dämmerung mit der Nacht<lb/>
tau&#x017F;cht, denke, das kann Sie &#x017F;ich am be&#x017F;ten vor&#x017F;tellen,<lb/>
da wir es tau&#x017F;endmal mit einander be&#x017F;prochen haben,<lb/>
und haben &#x017F;o viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir<lb/>
mit einander zu ihm gerei&#x017F;t kämen, das denk' ich mir<lb/>
immer noch aus. &#x2014; Damals hatte ich ihn noch nicht<lb/>
ge&#x017F;ehen, wie Sie meiner heißen Sehn&#x017F;ucht die Zeit da-<lb/>
mit vertrieb, daß Sie mir &#x017F;eine freudige Überra&#x017F;chung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 4</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0105] er hat einen ſcharlachrothen Rock und ſchwarze Unter- kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und zwar ſo ſehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis an's Waſſer ging, wie ich jeden Abend thue; und wie ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich jemand Liebes dort hinbeſtellt hätte, ſo würd' ich wohl nichts von Furcht geſpürt haben; ich ging alſo noch einmal und glücklich an dem Lumpengeſpenſt vorbei, denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die ſtille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein, über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die wohl, als dem ſtillen, ruhigen Abend, in dem mein An- denken ihm einen freundlichen Beſuch macht, und er ſich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin- diſchen Gedanken bei ihm anlande; was ich in ſo ein- ſamer Abendſtunde, wo die Dämmerung mit der Nacht tauſcht, denke, das kann Sie ſich am beſten vorſtellen, da wir es tauſendmal mit einander beſprochen haben, und haben ſo viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir mit einander zu ihm gereiſt kämen, das denk' ich mir immer noch aus. — Damals hatte ich ihn noch nicht geſehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit da- mit vertrieb, daß Sie mir ſeine freudige Überraſchung I. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/105
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/105>, abgerufen am 26.04.2024.