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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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schlage eines Feindes gewärtig sein müssen und dann ihr
einziges Heil in der Verborgenheit finden.

Nun dunkelte der Abend herein, und vor uns auf
der Ebene sahen wir vielleicht dreißig Häuser zerstreut
liegen. Es war das kleine Dorf Tiah, wo wir zu über-
nachten dachten. Wie der Empfang sein würde, das
wußten wir allerdings noch nicht.

Man hatte uns von weitem erblickt, und eine Anzahl
von Männern war zu Pferde gestiegen, um uns entweder
als Feind zurückzuweisen, oder als Freund zu empfangen.
Eine Strecke von ungefähr zweitausend Schritten vor dem
Dorfe hielten sie an, um uns zu erwarten.

"Bleibt ein wenig zurück!" sagte ich und ritt voran.

Ich sah, wie sie bei dem Anblick meines Pferdes
einander die Köpfe zukehrten, und so stolz mich diese Be-
wunderung machte, so bedenklich mußte sie mir auch sein.
Ein gutes Pferd, schöne Waffen und Geld: -- wer eines
von diesen drei Dingen besitzt, der ist bei diesen räuberi-
schen Völkerschaften nie sicher, es zu verlieren und das
Leben dazu.

Einer von ihnen ritt einige Schritte vor.

"Ivari 'l ther -- guten Abend!" grüßte ich ihn.

Nachdem er gedankt hatte, ließ er seinen Blick von
meinem Turban bis zu den Hufen meines Pferdes herab-
gleiten und begann ein Verhör.

"Woher kommst du?"

"Von Amadijah."

"Wohin willst du?"

"Nach Kalah Gumri."

"Was bist du? Ein Türke oder Araber?"

"Nein, ich bin -- -- --"

"Schweig!" gebot er mir. "Ich frage dich, und du
antwortest! Du redest Kurdisch, aber ein Kurde bist du

ſchlage eines Feindes gewärtig ſein müſſen und dann ihr
einziges Heil in der Verborgenheit finden.

Nun dunkelte der Abend herein, und vor uns auf
der Ebene ſahen wir vielleicht dreißig Häuſer zerſtreut
liegen. Es war das kleine Dorf Tiah, wo wir zu über-
nachten dachten. Wie der Empfang ſein würde, das
wußten wir allerdings noch nicht.

Man hatte uns von weitem erblickt, und eine Anzahl
von Männern war zu Pferde geſtiegen, um uns entweder
als Feind zurückzuweiſen, oder als Freund zu empfangen.
Eine Strecke von ungefähr zweitauſend Schritten vor dem
Dorfe hielten ſie an, um uns zu erwarten.

„Bleibt ein wenig zurück!“ ſagte ich und ritt voran.

Ich ſah, wie ſie bei dem Anblick meines Pferdes
einander die Köpfe zukehrten, und ſo ſtolz mich dieſe Be-
wunderung machte, ſo bedenklich mußte ſie mir auch ſein.
Ein gutes Pferd, ſchöne Waffen und Geld: — wer eines
von dieſen drei Dingen beſitzt, der iſt bei dieſen räuberi-
ſchen Völkerſchaften nie ſicher, es zu verlieren und das
Leben dazu.

Einer von ihnen ritt einige Schritte vor.

„Ivari 'l ther — guten Abend!“ grüßte ich ihn.

Nachdem er gedankt hatte, ließ er ſeinen Blick von
meinem Turban bis zu den Hufen meines Pferdes herab-
gleiten und begann ein Verhör.

„Woher kommſt du?“

„Von Amadijah.“

„Wohin willſt du?“

„Nach Kalah Gumri.“

„Was biſt du? Ein Türke oder Araber?“

„Nein, ich bin — — —“

„Schweig!“ gebot er mir. „Ich frage dich, und du
antworteſt! Du redeſt Kurdiſch, aber ein Kurde biſt du

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[374/0388] ſchlage eines Feindes gewärtig ſein müſſen und dann ihr einziges Heil in der Verborgenheit finden. Nun dunkelte der Abend herein, und vor uns auf der Ebene ſahen wir vielleicht dreißig Häuſer zerſtreut liegen. Es war das kleine Dorf Tiah, wo wir zu über- nachten dachten. Wie der Empfang ſein würde, das wußten wir allerdings noch nicht. Man hatte uns von weitem erblickt, und eine Anzahl von Männern war zu Pferde geſtiegen, um uns entweder als Feind zurückzuweiſen, oder als Freund zu empfangen. Eine Strecke von ungefähr zweitauſend Schritten vor dem Dorfe hielten ſie an, um uns zu erwarten. „Bleibt ein wenig zurück!“ ſagte ich und ritt voran. Ich ſah, wie ſie bei dem Anblick meines Pferdes einander die Köpfe zukehrten, und ſo ſtolz mich dieſe Be- wunderung machte, ſo bedenklich mußte ſie mir auch ſein. Ein gutes Pferd, ſchöne Waffen und Geld: — wer eines von dieſen drei Dingen beſitzt, der iſt bei dieſen räuberi- ſchen Völkerſchaften nie ſicher, es zu verlieren und das Leben dazu. Einer von ihnen ritt einige Schritte vor. „Ivari 'l ther — guten Abend!“ grüßte ich ihn. Nachdem er gedankt hatte, ließ er ſeinen Blick von meinem Turban bis zu den Hufen meines Pferdes herab- gleiten und begann ein Verhör. „Woher kommſt du?“ „Von Amadijah.“ „Wohin willſt du?“ „Nach Kalah Gumri.“ „Was biſt du? Ein Türke oder Araber?“ „Nein, ich bin — — —“ „Schweig!“ gebot er mir. „Ich frage dich, und du antworteſt! Du redeſt Kurdiſch, aber ein Kurde biſt du

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/388>, abgerufen am 26.04.2024.