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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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machen und festhalten. Die Geschichte des Volkszählungswesens soll
nicht eine Geschichte der Ergebnisse desselben oder der Volkszählung sein,
sondern eine Geschichte der Auffassung und der Durchführung der Volks-
zählungen, insofern sie von den Bedürfnissen und von der Erkenntniß
der Verwaltungen ausgegangen und öffentlich rechtlich bestimmt
worden ist. Dieß nun ergibt sich wesentlich in Beziehung auf zwei
Punkte; zuerst in Beziehung auf das, was in die Volkszählung auf-
genommen wird, oder der Momente (Rubriken) der Zählung, und
zweitens auf das Verfahren bei derselben. Das erste zeigt uns näm-
lich, was die Verwaltung in den gegebenen Zeiten als wesentlichen
Inhalt des Lebens zu beachten verstand, das zweite, wie weit die Ver-
waltung dieß durch ihre Maßregeln zu gewinnen trachtete. Und hier
müssen wir gestehen, daß uns leider für die ältern Zeiten die Quellen ganz,
für die neuern zum Theil mangeln. Wir wollen jedoch versuchen, so weit
thunlich, ein Gesammtbild dieser administrativen Thätigkeit aufzustellen.

4) Die Schätzungen der Volkszahl.

(Wahrer Begriff der Schätzungen. Sie bilden die Vorläufer der Zählungen.
Süßmilchs hohe Bedeutung für die ganze Bevölkerungslehre.)

Daß schon die alte Welt Volkszählungen kannte, ist bekannt. Ganz
unbekannt aber ist das Verfahren dabei, namentlich die administrativen
Controlseinrichtungen. Objekt der Zählung scheint nichts als die gegebene
Zahl der Personen gewesen zu sein. Das Ganze hat trotz Huschke's
Forschung wenig Werth. Eben so wenig wissen wir von den Zählungen
des 17. Jahrhunderts. Es wird schon damals bei Betrachtung dieser
Versuche klar, daß in der That die Voraussetzung jeder werthvollen
Zählung nur in dem Zusammenwirken der wissenschaftlichen Bevöl-
kerungslehre und einer centralen Verwaltung liegen kann. Und
beide, und mit ihnen die wahre Geschichte der Zählungen, beginnen
erst mit dem achtzehnten Jahrhundert; denn wenn Bodinus, De re-
publica VI. 1.
und Vauban, Disme royale p. 215 sq. (Edit. des
Ec.)
die Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Zählungen aussprechen, so
ist das denn doch noch kein Anfang wirklicher Zählungen. Die geschicht-
liche Entwicklung der letztern muß vielmehr in zwei große Perioden und
Grundformen eingetheilt werden, die schon Justi in so klarer Weise
bezeichnet hat, daß wir kaum etwas hinzufügen können, nämlich die
Schätzungen und die Zählungen (Justi, Buch II. Hauptst. VI.
§. 216. 217). Der Unterschied und die historische Stellung beider For-
men ist auch Mohl nicht entgangen, obwohl er namentlich die Geschichte
der Schätzungen und das reiche Material derselben, das doch Süß-
milch
bietet, nicht kennt. Wir müssen uns hier mit kurzer Charakteristik

machen und feſthalten. Die Geſchichte des Volkszählungsweſens ſoll
nicht eine Geſchichte der Ergebniſſe deſſelben oder der Volkszählung ſein,
ſondern eine Geſchichte der Auffaſſung und der Durchführung der Volks-
zählungen, inſofern ſie von den Bedürfniſſen und von der Erkenntniß
der Verwaltungen ausgegangen und öffentlich rechtlich beſtimmt
worden iſt. Dieß nun ergibt ſich weſentlich in Beziehung auf zwei
Punkte; zuerſt in Beziehung auf das, was in die Volkszählung auf-
genommen wird, oder der Momente (Rubriken) der Zählung, und
zweitens auf das Verfahren bei derſelben. Das erſte zeigt uns näm-
lich, was die Verwaltung in den gegebenen Zeiten als weſentlichen
Inhalt des Lebens zu beachten verſtand, das zweite, wie weit die Ver-
waltung dieß durch ihre Maßregeln zu gewinnen trachtete. Und hier
müſſen wir geſtehen, daß uns leider für die ältern Zeiten die Quellen ganz,
für die neuern zum Theil mangeln. Wir wollen jedoch verſuchen, ſo weit
thunlich, ein Geſammtbild dieſer adminiſtrativen Thätigkeit aufzuſtellen.

4) Die Schätzungen der Volkszahl.

(Wahrer Begriff der Schätzungen. Sie bilden die Vorläufer der Zählungen.
Süßmilchs hohe Bedeutung für die ganze Bevölkerungslehre.)

Daß ſchon die alte Welt Volkszählungen kannte, iſt bekannt. Ganz
unbekannt aber iſt das Verfahren dabei, namentlich die adminiſtrativen
Controlseinrichtungen. Objekt der Zählung ſcheint nichts als die gegebene
Zahl der Perſonen geweſen zu ſein. Das Ganze hat trotz Huſchke’s
Forſchung wenig Werth. Eben ſo wenig wiſſen wir von den Zählungen
des 17. Jahrhunderts. Es wird ſchon damals bei Betrachtung dieſer
Verſuche klar, daß in der That die Vorausſetzung jeder werthvollen
Zählung nur in dem Zuſammenwirken der wiſſenſchaftlichen Bevöl-
kerungslehre und einer centralen Verwaltung liegen kann. Und
beide, und mit ihnen die wahre Geſchichte der Zählungen, beginnen
erſt mit dem achtzehnten Jahrhundert; denn wenn Bodinus, De re-
publica VI. 1.
und Vauban, Disme royale p. 215 sq. (Edit. des
Éc.)
die Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Zählungen ausſprechen, ſo
iſt das denn doch noch kein Anfang wirklicher Zählungen. Die geſchicht-
liche Entwicklung der letztern muß vielmehr in zwei große Perioden und
Grundformen eingetheilt werden, die ſchon Juſti in ſo klarer Weiſe
bezeichnet hat, daß wir kaum etwas hinzufügen können, nämlich die
Schätzungen und die Zählungen (Juſti, Buch II. Hauptſt. VI.
§. 216. 217). Der Unterſchied und die hiſtoriſche Stellung beider For-
men iſt auch Mohl nicht entgangen, obwohl er namentlich die Geſchichte
der Schätzungen und das reiche Material derſelben, das doch Süß-
milch
bietet, nicht kennt. Wir müſſen uns hier mit kurzer Charakteriſtik

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[217/0239] machen und feſthalten. Die Geſchichte des Volkszählungsweſens ſoll nicht eine Geſchichte der Ergebniſſe deſſelben oder der Volkszählung ſein, ſondern eine Geſchichte der Auffaſſung und der Durchführung der Volks- zählungen, inſofern ſie von den Bedürfniſſen und von der Erkenntniß der Verwaltungen ausgegangen und öffentlich rechtlich beſtimmt worden iſt. Dieß nun ergibt ſich weſentlich in Beziehung auf zwei Punkte; zuerſt in Beziehung auf das, was in die Volkszählung auf- genommen wird, oder der Momente (Rubriken) der Zählung, und zweitens auf das Verfahren bei derſelben. Das erſte zeigt uns näm- lich, was die Verwaltung in den gegebenen Zeiten als weſentlichen Inhalt des Lebens zu beachten verſtand, das zweite, wie weit die Ver- waltung dieß durch ihre Maßregeln zu gewinnen trachtete. Und hier müſſen wir geſtehen, daß uns leider für die ältern Zeiten die Quellen ganz, für die neuern zum Theil mangeln. Wir wollen jedoch verſuchen, ſo weit thunlich, ein Geſammtbild dieſer adminiſtrativen Thätigkeit aufzuſtellen. 4) Die Schätzungen der Volkszahl. (Wahrer Begriff der Schätzungen. Sie bilden die Vorläufer der Zählungen. Süßmilchs hohe Bedeutung für die ganze Bevölkerungslehre.) Daß ſchon die alte Welt Volkszählungen kannte, iſt bekannt. Ganz unbekannt aber iſt das Verfahren dabei, namentlich die adminiſtrativen Controlseinrichtungen. Objekt der Zählung ſcheint nichts als die gegebene Zahl der Perſonen geweſen zu ſein. Das Ganze hat trotz Huſchke’s Forſchung wenig Werth. Eben ſo wenig wiſſen wir von den Zählungen des 17. Jahrhunderts. Es wird ſchon damals bei Betrachtung dieſer Verſuche klar, daß in der That die Vorausſetzung jeder werthvollen Zählung nur in dem Zuſammenwirken der wiſſenſchaftlichen Bevöl- kerungslehre und einer centralen Verwaltung liegen kann. Und beide, und mit ihnen die wahre Geſchichte der Zählungen, beginnen erſt mit dem achtzehnten Jahrhundert; denn wenn Bodinus, De re- publica VI. 1. und Vauban, Disme royale p. 215 sq. (Edit. des Éc.) die Wichtigkeit und Nothwendigkeit der Zählungen ausſprechen, ſo iſt das denn doch noch kein Anfang wirklicher Zählungen. Die geſchicht- liche Entwicklung der letztern muß vielmehr in zwei große Perioden und Grundformen eingetheilt werden, die ſchon Juſti in ſo klarer Weiſe bezeichnet hat, daß wir kaum etwas hinzufügen können, nämlich die Schätzungen und die Zählungen (Juſti, Buch II. Hauptſt. VI. §. 216. 217). Der Unterſchied und die hiſtoriſche Stellung beider For- men iſt auch Mohl nicht entgangen, obwohl er namentlich die Geſchichte der Schätzungen und das reiche Material derſelben, das doch Süß- milch bietet, nicht kennt. Wir müſſen uns hier mit kurzer Charakteriſtik

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/239>, abgerufen am 19.03.2024.