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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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I. Versuch. Ueber die Natur
XIV.
Ueber das Gesetz der Jdeen-Association. Dessen
eigentlicher Sinn. Jst nur ein Gesetz der
Phantasie bey der Reproduktion der Vorstel-
lungen. Jst kein Gesetz der Verbindungen der
Jdeen zu neuen Reihen.

Seitdem Locke das sogenannte Gesetz der Jdeenver-
knüpfung
nicht zwar zuerst entdecket, aber doch
deutlich wahrgenommen hat, ist dieß wie ein Grundge-
setz in der Psychologie angesehen worden. Man hat es
in allen seinen Anwendungen aufgespüret, und einen
Schlüssel zu dem geheimsten und innersten Gemächern in
der Seele darinn gefunden. Es ist in der That ein
wichtiger und fruchtbarer Grundsatz, wenn es auch das
nicht alles ist, wofür es von einigen gehalten wird.
Was so oft geschicht, daß ein Princip, woraus so vie-
les
erkläret werden kann, für das einzigste angesehen
wird, woraus alles soll erkläret werden; und daß eine
Ursache, die unter den übrigen mitwirkenden hervor-
sticht, allein die Aufmerksamkeit auf sich ziehet, und
deswegen die übrigen desto leichter übersehen läßt, das
hat sich wie es mir scheinet, auch hier zugetragen. Das
Gesetz der Association soll den Grund angeben, warum
auf die Jdee A in dem Kopf eines Menschen die Jdee B
hervortritt, wenn keine neue Empfindung die letztere
hineinschiebet; und diesen Grund von der Jdeenfolge
soll es völlig und bestimmt angeben. Dieß verdienet ei-
ne nähere Untersuchung. Hänget die Folge, in der die
Wiedervorstellungen auftreten, die Einmischung neuer
Empfindungen bey Seite gesetzet, allein von der Phan-
tasie ab? und in wie weit kann die Aehnlichkeit oder die
ehemalige unmittelbare Verbindung der Jdeen A und B
es bestimmen, daß auf A eben B, und nicht jede andere
wieder hervorgezogen wird?

Die
I. Verſuch. Ueber die Natur
XIV.
Ueber das Geſetz der Jdeen-Aſſociation. Deſſen
eigentlicher Sinn. Jſt nur ein Geſetz der
Phantaſie bey der Reproduktion der Vorſtel-
lungen. Jſt kein Geſetz der Verbindungen der
Jdeen zu neuen Reihen.

Seitdem Locke das ſogenannte Geſetz der Jdeenver-
knuͤpfung
nicht zwar zuerſt entdecket, aber doch
deutlich wahrgenommen hat, iſt dieß wie ein Grundge-
ſetz in der Pſychologie angeſehen worden. Man hat es
in allen ſeinen Anwendungen aufgeſpuͤret, und einen
Schluͤſſel zu dem geheimſten und innerſten Gemaͤchern in
der Seele darinn gefunden. Es iſt in der That ein
wichtiger und fruchtbarer Grundſatz, wenn es auch das
nicht alles iſt, wofuͤr es von einigen gehalten wird.
Was ſo oft geſchicht, daß ein Princip, woraus ſo vie-
les
erklaͤret werden kann, fuͤr das einzigſte angeſehen
wird, woraus alles ſoll erklaͤret werden; und daß eine
Urſache, die unter den uͤbrigen mitwirkenden hervor-
ſticht, allein die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehet, und
deswegen die uͤbrigen deſto leichter uͤberſehen laͤßt, das
hat ſich wie es mir ſcheinet, auch hier zugetragen. Das
Geſetz der Aſſociation ſoll den Grund angeben, warum
auf die Jdee A in dem Kopf eines Menſchen die Jdee B
hervortritt, wenn keine neue Empfindung die letztere
hineinſchiebet; und dieſen Grund von der Jdeenfolge
ſoll es voͤllig und beſtimmt angeben. Dieß verdienet ei-
ne naͤhere Unterſuchung. Haͤnget die Folge, in der die
Wiedervorſtellungen auftreten, die Einmiſchung neuer
Empfindungen bey Seite geſetzet, allein von der Phan-
taſie ab? und in wie weit kann die Aehnlichkeit oder die
ehemalige unmittelbare Verbindung der Jdeen A und B
es beſtimmen, daß auf A eben B, und nicht jede andere
wieder hervorgezogen wird?

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[108/0168] I. Verſuch. Ueber die Natur XIV. Ueber das Geſetz der Jdeen-Aſſociation. Deſſen eigentlicher Sinn. Jſt nur ein Geſetz der Phantaſie bey der Reproduktion der Vorſtel- lungen. Jſt kein Geſetz der Verbindungen der Jdeen zu neuen Reihen. Seitdem Locke das ſogenannte Geſetz der Jdeenver- knuͤpfung nicht zwar zuerſt entdecket, aber doch deutlich wahrgenommen hat, iſt dieß wie ein Grundge- ſetz in der Pſychologie angeſehen worden. Man hat es in allen ſeinen Anwendungen aufgeſpuͤret, und einen Schluͤſſel zu dem geheimſten und innerſten Gemaͤchern in der Seele darinn gefunden. Es iſt in der That ein wichtiger und fruchtbarer Grundſatz, wenn es auch das nicht alles iſt, wofuͤr es von einigen gehalten wird. Was ſo oft geſchicht, daß ein Princip, woraus ſo vie- les erklaͤret werden kann, fuͤr das einzigſte angeſehen wird, woraus alles ſoll erklaͤret werden; und daß eine Urſache, die unter den uͤbrigen mitwirkenden hervor- ſticht, allein die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehet, und deswegen die uͤbrigen deſto leichter uͤberſehen laͤßt, das hat ſich wie es mir ſcheinet, auch hier zugetragen. Das Geſetz der Aſſociation ſoll den Grund angeben, warum auf die Jdee A in dem Kopf eines Menſchen die Jdee B hervortritt, wenn keine neue Empfindung die letztere hineinſchiebet; und dieſen Grund von der Jdeenfolge ſoll es voͤllig und beſtimmt angeben. Dieß verdienet ei- ne naͤhere Unterſuchung. Haͤnget die Folge, in der die Wiedervorſtellungen auftreten, die Einmiſchung neuer Empfindungen bey Seite geſetzet, allein von der Phan- taſie ab? und in wie weit kann die Aehnlichkeit oder die ehemalige unmittelbare Verbindung der Jdeen A und B es beſtimmen, daß auf A eben B, und nicht jede andere wieder hervorgezogen wird? Die

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/168>, abgerufen am 26.04.2024.