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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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sultation zu ziehen gewußt, daß er die Verlegenheit
der Geheimräthin nicht merkte!

Wie gesagt, es war alles ausgeglichen, -- zwischen
ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn.
Noch heut verrieth sie den Riß in der Brust.

"Ich werde gar keine Gesellschaften mehr geben,"
hatte sie gesagt.

"Gott sei Dank!" sagte er.

"Warum?"

"Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen,
daß man das für die Menschheit sich opfern den
Narren überlassen muß."

"Sie meinen doch nur für die reale Menschheit,
die in ihren Flitterkleidern ihre Armseligkeit zu ver¬
bergen sucht."

"Und was ist die nicht reale Menschheit? Sollen
wir uns für den Begriff begeistern, der zwischen Adam
und dem jüngsten Wiegenkinde liegt?"

"Aber was ist der Mensch, der sich für nichts
interessirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer
fähig sein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier
zurück."

"Physiologen behaupten, daß jedes Menschen¬
gesicht eine Aehnlichkeit mit einer Espece derselben hat."

"So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchen
wir Verwandschaft haben. Und wenn wir's wissen,
sind wir am Rande unsrer Erkenntniß."

"Moralisten behaupten, daß es alsdann unsre
Aufgabe sei, dieses Thier zu bekämpfen."

ſultation zu ziehen gewußt, daß er die Verlegenheit
der Geheimräthin nicht merkte!

Wie geſagt, es war alles ausgeglichen, — zwiſchen
ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn.
Noch heut verrieth ſie den Riß in der Bruſt.

„Ich werde gar keine Geſellſchaften mehr geben,“
hatte ſie geſagt.

„Gott ſei Dank!“ ſagte er.

„Warum?“

„Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen,
daß man das für die Menſchheit ſich opfern den
Narren überlaſſen muß.“

„Sie meinen doch nur für die reale Menſchheit,
die in ihren Flitterkleidern ihre Armſeligkeit zu ver¬
bergen ſucht.“

„Und was iſt die nicht reale Menſchheit? Sollen
wir uns für den Begriff begeiſtern, der zwiſchen Adam
und dem jüngſten Wiegenkinde liegt?“

„Aber was iſt der Menſch, der ſich für nichts
intereſſirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer
fähig ſein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier
zurück.“

„Phyſiologen behaupten, daß jedes Menſchen¬
geſicht eine Aehnlichkeit mit einer Espeçe derſelben hat.“

„So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchen
wir Verwandſchaft haben. Und wenn wir's wiſſen,
ſind wir am Rande unſrer Erkenntniß.“

„Moraliſten behaupten, daß es alsdann unſre
Aufgabe ſei, dieſes Thier zu bekämpfen.“

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[235/0245] ſultation zu ziehen gewußt, daß er die Verlegenheit der Geheimräthin nicht merkte! Wie geſagt, es war alles ausgeglichen, — zwiſchen ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn. Noch heut verrieth ſie den Riß in der Bruſt. „Ich werde gar keine Geſellſchaften mehr geben,“ hatte ſie geſagt. „Gott ſei Dank!“ ſagte er. „Warum?“ „Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen, daß man das für die Menſchheit ſich opfern den Narren überlaſſen muß.“ „Sie meinen doch nur für die reale Menſchheit, die in ihren Flitterkleidern ihre Armſeligkeit zu ver¬ bergen ſucht.“ „Und was iſt die nicht reale Menſchheit? Sollen wir uns für den Begriff begeiſtern, der zwiſchen Adam und dem jüngſten Wiegenkinde liegt?“ „Aber was iſt der Menſch, der ſich für nichts intereſſirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer fähig ſein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier zurück.“ „Phyſiologen behaupten, daß jedes Menſchen¬ geſicht eine Aehnlichkeit mit einer Espeçe derſelben hat.“ „So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchen wir Verwandſchaft haben. Und wenn wir's wiſſen, ſind wir am Rande unſrer Erkenntniß.“ „Moraliſten behaupten, daß es alsdann unſre Aufgabe ſei, dieſes Thier zu bekämpfen.“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/245>, abgerufen am 30.04.2024.