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Seidel, Samuel: Schlaf wohl!. 2. Aufl. Lauban, 1733.

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Bey Dir befürchtet ich auch nur bey Saltz und Brodt
Nichts, was der Mangel sonst für Harm und Sorgen droht:
Jch hatte GOTT und Dich, so hatt ich Hüll und Fülle.
Ach war ich nicht beglückt, ach war ich nicht fein stille!
Ach aber welch ein Schwall von Angst und Ungemach
Folgt meinem Wohlergehn itzt auf dem Fusse nach!
Welch ungeheurer Sturm hemmt meine Freuden-Fackeln,
Und zwingt den morschen Kahn auf einmahl abzudackeln!
Wir armen Sterblichen! Was sind wir doch? Ein Schaum.
Was ist die Lust um uns? Ein Schatten-voller Traum.
Wir bauen in die Lufft; doch sind die Zinnen alle,
So stürtzen sie und wir mit desto tieferm Falle.
Jch ärmster bin hiervon ein ängstlicher Beweiß:
Wie lange währt mein Glück, und dessen Flor und Preiß?
Wie lange kan die Lust auf ihre Dauer pochen?
Ach Himmel! leyder! nur sechs schnell verflogne Wochen;
So bin ich schon beym Schluß, so ist die Wohlfarth aus,
So knallt, so bricht, so sinkt der Hoffnung leimern Hans.
Auf jenen Abend-Wind entsteht ein Sturm aus Norden,
Und ich muß Wittber seyn, eh ich ein Eh-Mann worden.
Dis würkt Dein früher Tod, Du trautes Engels-Kind,
Was Du und ich gehofft verfleugt, verwelkt, zerrinnt,
Wie Spreu fürm Winde sonst, wie weg geworffne Rasen,
Und wie ein Regen-Bach voll dünner Wasser-Blasen.
Was hab ich doch nunmehr von meinem ersten Glück?
Nichts, als den mattesten, den jämmerlichsten Blick
Auf Deine Grabes-Ruh, auf Deine Leichen-Grube,
Nichts, als Dein todtes Bild auf meiner öden Stube.
Da sterb ich itzo fast für banger Einsamkeit,
Weil mich kein Blick von Dir, wie ehedem, erfreut
Jtzt scheint mir ohne Dich, für ängstlichem Gedränge,
Der engste Raum zu weit, das weiste Feld zu enge.
Jtzt denk, itzt fühl ich erst, wie lieb wir uns gehabt,
Da mir die Schickung nimmt, womit sie mich begabt,
Jtzt hab ich Tag und Nacht mit neuer Angst zu fechten,
Jtzt girr ich, Tauben gleich, die in betrübten Nächten
Den
Bey Dir befuͤrchtet ich auch nur bey Saltz und Brodt
Nichts, was der Mangel ſonſt fuͤr Harm und Sorgen droht:
Jch hatte GOTT und Dich, ſo hatt ich Huͤll und Fuͤlle.
Ach war ich nicht begluͤckt, ach war ich nicht fein ſtille!
Ach aber welch ein Schwall von Angſt und Ungemach
Folgt meinem Wohlergehn itzt auf dem Fuſſe nach!
Welch ungeheurer Sturm hemmt meine Freuden-Fackeln,
Und zwingt den morſchen Kahn auf einmahl abzudackeln!
Wir armen Sterblichen! Was ſind wir doch? Ein Schaum.
Was iſt die Luſt um uns? Ein Schatten-voller Traum.
Wir bauen in die Lufft; doch ſind die Zinnen alle,
So ſtuͤrtzen ſie und wir mit deſto tieferm Falle.
Jch aͤrmſter bin hiervon ein aͤngſtlicher Beweiß:
Wie lange waͤhrt mein Gluͤck, und deſſen Flor und Preiß?
Wie lange kan die Luſt auf ihre Dauer pochen?
Ach Himmel! leyder! nur ſechs ſchnell verflogne Wochen;
So bin ich ſchon beym Schluß, ſo iſt die Wohlfarth aus,
So knallt, ſo bricht, ſo ſinkt der Hoffnung leimern Hans.
Auf jenen Abend-Wind entſteht ein Sturm aus Norden,
Und ich muß Wittber ſeyn, eh ich ein Eh-Mann worden.
Dis wuͤrkt Dein fruͤher Tod, Du trautes Engels-Kind,
Was Du und ich gehofft verfleugt, verwelkt, zerrinnt,
Wie Spreu fuͤrm Winde ſonſt, wie weg geworffne Raſen,
Und wie ein Regen-Bach voll duͤnner Waſſer-Blaſen.
Was hab ich doch nunmehr von meinem erſten Gluͤck?
Nichts, als den matteſten, den jaͤmmerlichſten Blick
Auf Deine Grabes-Ruh, auf Deine Leichen-Grube,
Nichts, als Dein todtes Bild auf meiner oͤden Stube.
Da ſterb ich itzo faſt fuͤr banger Einſamkeit,
Weil mich kein Blick von Dir, wie ehedem, erfreut
Jtzt ſcheint mir ohne Dich, fuͤr aͤngſtlichem Gedraͤnge,
Der engſte Raum zu weit, das weiſte Feld zu enge.
Jtzt denk, itzt fuͤhl ich erſt, wie lieb wir uns gehabt,
Da mir die Schickung nimmt, womit ſie mich begabt,
Jtzt hab ich Tag und Nacht mit neuer Angſt zu fechten,
Jtzt girr ich, Tauben gleich, die in betruͤbten Naͤchten
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[[12]/0012] Bey Dir befuͤrchtet ich auch nur bey Saltz und Brodt Nichts, was der Mangel ſonſt fuͤr Harm und Sorgen droht: Jch hatte GOTT und Dich, ſo hatt ich Huͤll und Fuͤlle. Ach war ich nicht begluͤckt, ach war ich nicht fein ſtille! Ach aber welch ein Schwall von Angſt und Ungemach Folgt meinem Wohlergehn itzt auf dem Fuſſe nach! Welch ungeheurer Sturm hemmt meine Freuden-Fackeln, Und zwingt den morſchen Kahn auf einmahl abzudackeln! Wir armen Sterblichen! Was ſind wir doch? Ein Schaum. Was iſt die Luſt um uns? Ein Schatten-voller Traum. Wir bauen in die Lufft; doch ſind die Zinnen alle, So ſtuͤrtzen ſie und wir mit deſto tieferm Falle. Jch aͤrmſter bin hiervon ein aͤngſtlicher Beweiß: Wie lange waͤhrt mein Gluͤck, und deſſen Flor und Preiß? Wie lange kan die Luſt auf ihre Dauer pochen? Ach Himmel! leyder! nur ſechs ſchnell verflogne Wochen; So bin ich ſchon beym Schluß, ſo iſt die Wohlfarth aus, So knallt, ſo bricht, ſo ſinkt der Hoffnung leimern Hans. Auf jenen Abend-Wind entſteht ein Sturm aus Norden, Und ich muß Wittber ſeyn, eh ich ein Eh-Mann worden. Dis wuͤrkt Dein fruͤher Tod, Du trautes Engels-Kind, Was Du und ich gehofft verfleugt, verwelkt, zerrinnt, Wie Spreu fuͤrm Winde ſonſt, wie weg geworffne Raſen, Und wie ein Regen-Bach voll duͤnner Waſſer-Blaſen. Was hab ich doch nunmehr von meinem erſten Gluͤck? Nichts, als den matteſten, den jaͤmmerlichſten Blick Auf Deine Grabes-Ruh, auf Deine Leichen-Grube, Nichts, als Dein todtes Bild auf meiner oͤden Stube. Da ſterb ich itzo faſt fuͤr banger Einſamkeit, Weil mich kein Blick von Dir, wie ehedem, erfreut Jtzt ſcheint mir ohne Dich, fuͤr aͤngſtlichem Gedraͤnge, Der engſte Raum zu weit, das weiſte Feld zu enge. Jtzt denk, itzt fuͤhl ich erſt, wie lieb wir uns gehabt, Da mir die Schickung nimmt, womit ſie mich begabt, Jtzt hab ich Tag und Nacht mit neuer Angſt zu fechten, Jtzt girr ich, Tauben gleich, die in betruͤbten Naͤchten Den

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Zitationshilfe: Seidel, Samuel: Schlaf wohl!. 2. Aufl. Lauban, 1733, S. [12]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/542452/12>, abgerufen am 29.04.2024.