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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

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sehen in ihrem Wipfel Abends steigen und glaubtest es
säh es niemand -- nimm meinen Segen liebes Kind,
ich hab an Dich gedacht wie man sie trotz der schmerz¬
lichen Verletzung meiner Gefühle verstümmelte." -- Ich
wagte nicht zu fragen wer die Schuld trüge, denn das
wär zu kränkend für die Großmama gewesen und ich
wußte auch gleich daß nur aus grausenhaftem Phi¬
listersinn solche Unthat geschehen konnt, denn der ahnt
nicht die tiefsten Wunden, der hält alles für Empfin¬
delei was mit den geheimsten geistigen Bedürfnissen
zusammenhängt; -- wie könnte der eine wahrhafte
Liebe denken zu einem leblosen Ding, denn so nennt
der Philister die Pflanzen die Bäume die ganze Natur, --
wie könnte der ahnen daß ein höchst geistiger Umgang
mit ihren schönen untadeligen Erzeugnissen stattfinden
könne? -- Ein Wechseltausch von Empfindungen der
eine reine Leidenschaft zu ihr nährt und beglückt, -- wie
könnte dem je begreiflich werden daß ein innerliches
Dasein sich in sie überträgt, und daß während die ganze
Welt vergeblich unter Mitgeschöpfen herumschwärmt, von
Liebe von Freundschaft faselt, der beglückte Besitzer ei¬
nes Baumes der vor seiner Thür steht, in ihm den Freund
gefunden hat. --

Die alte hundertjährige Bas kam mir vor der

II. 2

ſehen in ihrem Wipfel Abends ſteigen und glaubteſt es
ſäh es niemand — nimm meinen Segen liebes Kind,
ich hab an Dich gedacht wie man ſie trotz der ſchmerz¬
lichen Verletzung meiner Gefühle verſtümmelte.“ — Ich
wagte nicht zu fragen wer die Schuld trüge, denn das
wär zu kränkend für die Großmama geweſen und ich
wußte auch gleich daß nur aus grauſenhaftem Phi¬
liſterſinn ſolche Unthat geſchehen konnt, denn der ahnt
nicht die tiefſten Wunden, der hält alles für Empfin¬
delei was mit den geheimſten geiſtigen Bedürfniſſen
zuſammenhängt; — wie könnte der eine wahrhafte
Liebe denken zu einem lebloſen Ding, denn ſo nennt
der Philiſter die Pflanzen die Bäume die ganze Natur, —
wie könnte der ahnen daß ein höchſt geiſtiger Umgang
mit ihren ſchönen untadeligen Erzeugniſſen ſtattfinden
könne? — Ein Wechſeltauſch von Empfindungen der
eine reine Leidenſchaft zu ihr nährt und beglückt, — wie
könnte dem je begreiflich werden daß ein innerliches
Daſein ſich in ſie überträgt, und daß während die ganze
Welt vergeblich unter Mitgeſchöpfen herumſchwärmt, von
Liebe von Freundſchaft faſelt, der beglückte Beſitzer ei¬
nes Baumes der vor ſeiner Thür ſteht, in ihm den Freund
gefunden hat. —

Die alte hundertjährige Bas kam mir vor der

II. 2
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[25/0039] ſehen in ihrem Wipfel Abends ſteigen und glaubteſt es ſäh es niemand — nimm meinen Segen liebes Kind, ich hab an Dich gedacht wie man ſie trotz der ſchmerz¬ lichen Verletzung meiner Gefühle verſtümmelte.“ — Ich wagte nicht zu fragen wer die Schuld trüge, denn das wär zu kränkend für die Großmama geweſen und ich wußte auch gleich daß nur aus grauſenhaftem Phi¬ liſterſinn ſolche Unthat geſchehen konnt, denn der ahnt nicht die tiefſten Wunden, der hält alles für Empfin¬ delei was mit den geheimſten geiſtigen Bedürfniſſen zuſammenhängt; — wie könnte der eine wahrhafte Liebe denken zu einem lebloſen Ding, denn ſo nennt der Philiſter die Pflanzen die Bäume die ganze Natur, — wie könnte der ahnen daß ein höchſt geiſtiger Umgang mit ihren ſchönen untadeligen Erzeugniſſen ſtattfinden könne? — Ein Wechſeltauſch von Empfindungen der eine reine Leidenſchaft zu ihr nährt und beglückt, — wie könnte dem je begreiflich werden daß ein innerliches Daſein ſich in ſie überträgt, und daß während die ganze Welt vergeblich unter Mitgeſchöpfen herumſchwärmt, von Liebe von Freundſchaft faſelt, der beglückte Beſitzer ei¬ nes Baumes der vor ſeiner Thür ſteht, in ihm den Freund gefunden hat. — Die alte hundertjährige Bas kam mir vor der II. 2

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/39>, abgerufen am 30.04.2024.