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Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840.

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gefährliche Mittel, eine Einheit des Glaubens durch politische Mittel allmählich herbeizuführen, und dazu ist freilich eine strenge Absperrung gegen außen das erste Erforderniß. Daß das System zum mindesten eine lange Zeit einen günstigen Erfolg für sich haben wird, davon kann sich jeder überzeugen, der die Geschichte Rußlands vor Peter kennt, und zu dieser Kenntniß hat Ustrialow nicht wenig beigetragen, wenn er gleich, wie natürlich, Manches mit Stillschweigen übergehen oder nur mit halben Worten sagen muß.

Die czechoslavischen Dichter.

Hoher Beachtung werth ist das litterarische Streben, welches in unserer Zeit unter den österreichischen Slaven rege wird und wovon die Blätter der Allgemeinen Zeitung bereits einige Andeutungen mittheilten, in denen jedoch die neuere Poesie der Westslaven gänzlich außer Acht gelassen wurde. - Der Wissenschaft konnte es bisher, bei aller Aufopferung tüchtiger Männer, in geringerem Grade gelingen, Einfluß im Volke zu gewinnen; es fehlen die Vermittelungsglieder, die höhern Lehranstalten, deren sieben Millionen zur natürlichen nationalen Bildung ganz entbehren; desto empfänglicheren, durch den Geist der Zeit bearbeiteten Boden fand das Wort des Dichters, das die Leidenschaft, die Begeisterung, die Vaterlandsliebe, die Liebe zum Volke nähren und eine große Geschichtsepoche der thatlosen, unfreundlichen, den edlen Aufschwung tödtenden Gegenwart entgegen halten konnte. So erhielten die czechoslavischen Dichter eine sociale Bedeutung, und keiner unter ihnen eine größere als Johann Kollar. Wie dieser Mann für den größten Dichter der neuern czechischen Litteratur gilt, so ist er auch unstreitig der einflußreichste Slave Oesterreichs. Seine Ideen haben am tiefsten Wurzel gefaßt; sie vorzugsweise haben das slavische Bewußtseyn geweckt. Keiner hat männlicher, ausdauernder die Uebergriffe des Patriotismus der Race bekämpft; keiner härter die Schmach der Indolenz und den Abfall vom eigenen Blute gestraft. Kollar - evangelischer Prediger in Pesth - ist ein Gelehrter und hat dieß durch mehrere Werke dargethan, aber so gediegen diese, und überhaupt so ausgebreitet seine historischen und philologischen Kenntnisse sind, seinen Ruhm gründete sein lyrisch-episches Gedicht "die Tochter des Ruhms" (Slavy dcera). In Sonetten, die ein schöner, tief poetischer Gedanke, jener der Liebe, zu einem Ganzen verbindet, besingt er den Ruhm der Slaven und ihre tausendjährigen Leiden; sein Geist überblickt von hoher Karpathenkuppe die weiten Slavenländer der Wolga, Weichsel, Donau und Moldau, wo die Brüder wohnen; ihrem Leben, jeder ihrer schönen Thaten weiht er sein Lied; aber sein Geist schaudert zurück vor den Frevelthaten des Feindes; er sieht die mißhandelten, die gemordeten Geschlechter der Wenden, und kann sie nicht zählen; er sieht die Fremden auf den Trümmern von Arkona, auf den Gräbern der Brüder, die sie geknechtet. - Kollars Vers ist harmoniereich, seine Sprache wohlklingend, aber der Klang seines Reimes oft so weich und mild, daß er fast im Gegensatze steht zu seinem Stoff.

Wie Kollar ist sein Landsmann Johann Holy ein ächter Dichter, doch ohne Kollars Gedankenreichthum und Lebensfrische. Ein milder, aber naturkräftiger Sinn, eine elegische Wehmuth, Keuschheit der Gesinnung und der That, eine volksthümliche Gedankenverbindung zeichnen die Schöpfungen Holy's aus, deren objective Darstellungsform jedoch eine gewisse epische Breite fast durchgehends charakterisirt. Er gab zuerst Uebersetzungen einiger Gedichte des Virgil, Theokrit, Homer, Ovid, Tyrtäus und Horaz (Tyrnau 1824), dann eine Uebersetzung der Aeneis (1828) heraus. Sein Geist wandte sich nun der vaterländischen Geschichte zu; er wählte aus der schönsten Periode der Slowaken, dem groß-mährischen Reiche, "Swatopluk" zum Helden eines großen epischen Gedichts (Swatopluk, ein Heldengedicht in zwölf Gesängen, Tyrnau 1833). In einem zweiten Epos ist es die Verbreitung der christlichen Lehre durch die griechischen Apostel Konstantin (Cyrill) und Method, und in einem dritten "Slaw," gedruckt in dem in Pesth erscheinenden Taschenbuche "Zora" auf 1838 - ist es der Heldensinn und der Kampf der Väter, die ihn zu Gesängen begeistern. In dem genannten Taschenbuche theilt er auch Elegien und in frühern Jahrgängen Idyllen mit, die zur Folie die einfache Lebensweise der Karpathensöhne haben.

Holy, katholischer Pfarrer zu Madunitz im Graner Erzbisthum, schreibt im slovenischen Dialekte, während Kollar, wie die ungarischen Protestanten überhaupt, sich der böhmischen Schriftsprache bedient. Es ist dieß ein Hinderniß einer größern Verbreitung seiner Werke, aber indem er ein urkräftiges, vom Einfluß des Fremden noch unberührtes Volkselement hervorhebt, und dieses, begünstigt durch den vorherrschenden Sinn nach engerer Vereinigung, sich im Laufe der Zeit mit der czechischen Schriftsprache zu amalgamiren hat, kann der Ausdruck und die Litteratur nur gewinnen.

Tiefer auf die Gesinnung wirkte der Augustinermönch und Professor der Philosophie zu Brünn, Matthäus Klacel. Das Erscheinen des ersten Bandes seiner lyrischen Gedichte, Brünn 1836, erregte eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Aber es war nicht sowohl der poetische Werth der Oden, die hier geboten wurden, als ihre sittliche Kraft, welche die Bewegung hervorbrachte. Mit Catonischer Strenge strebt er gegen das Böse, gegen die Schmach der Entartung; er warnt mit hohem Ernste die Jugend vor Verunreinigung ihres Blutes, das dem Vaterlande gehöre; dem Göttlichen, der Wahrheit sey die Seele zuzuwenden. Der zweite, später erschienene Band von diesen Gedichten scheint nicht dieselbe Aufnahme gefunden zu haben. Klacel ist ein Mann von scharfem Verstande, ein genialer Kopf voll Ideen, aber es fehlt ihm plastische Kraft und der Sinn für künstlerische Vollendung der Sprache. An die philosophische Gedankenbildung gewöhnt, treten seine Ideen, statt in Bildern, in Begriffen hervor.

Feiner gebildet, als Klacel, ohne dessen tiefen Ideengang, aber phantasie- und gemüthreicher, weicher, elastischer, erscheint uns J. Erasmus Wocel, dessen Hauptwerk "Premyslowci" (die Premysliden), ein episches Gedicht, im Jahr 1839 in Prag erschien. Böhmen hat auf engem Raum eine große Geschichte, reich an Gedanken, Thaten, Heldengröße. Und in der Auffassung und Darstellung dieses reichen Lebens beurkundet sich Wocel als edler Freund des Vaterlandes, des Volkes. Böhmen soll vorwärts schreiten in der nationalen Entwicklung; darum umfaßt ihn inmitten seines Gedichts - das im ernsten Balladenton erzählt von den Thaten der Premysliden und der großen czechischen Rittergeschlechter, der Sternberge, Waldsteine, Czernine, Kollowrate, Podubrade, von den Kämpfen in der Lombardei, von den Siegen über die Tartaren und Magyaren, von dem Zuge zum baltischen Meere - wehmuthsvoller Schmerz, und er trägt die Sehnsucht und das Leid der Gegenwart in seinen Gesang und leise tönt die Klage nach den Tagen des Ruhms. Aus der Periode, welche sich Wocel gewählt, hat er stets dichterische Momente erfaßt; er zeichnet in einzelnen Gedichten, woraus das Ganze besteht, und oft mit wechselndem Versmaaße, ein vollendetes Bild, das

gefährliche Mittel, eine Einheit des Glaubens durch politische Mittel allmählich herbeizuführen, und dazu ist freilich eine strenge Absperrung gegen außen das erste Erforderniß. Daß das System zum mindesten eine lange Zeit einen günstigen Erfolg für sich haben wird, davon kann sich jeder überzeugen, der die Geschichte Rußlands vor Peter kennt, und zu dieser Kenntniß hat Ustrialow nicht wenig beigetragen, wenn er gleich, wie natürlich, Manches mit Stillschweigen übergehen oder nur mit halben Worten sagen muß.

Die czechoslavischen Dichter.

Hoher Beachtung werth ist das litterarische Streben, welches in unserer Zeit unter den österreichischen Slaven rege wird und wovon die Blätter der Allgemeinen Zeitung bereits einige Andeutungen mittheilten, in denen jedoch die neuere Poesie der Westslaven gänzlich außer Acht gelassen wurde. – Der Wissenschaft konnte es bisher, bei aller Aufopferung tüchtiger Männer, in geringerem Grade gelingen, Einfluß im Volke zu gewinnen; es fehlen die Vermittelungsglieder, die höhern Lehranstalten, deren sieben Millionen zur natürlichen nationalen Bildung ganz entbehren; desto empfänglicheren, durch den Geist der Zeit bearbeiteten Boden fand das Wort des Dichters, das die Leidenschaft, die Begeisterung, die Vaterlandsliebe, die Liebe zum Volke nähren und eine große Geschichtsepoche der thatlosen, unfreundlichen, den edlen Aufschwung tödtenden Gegenwart entgegen halten konnte. So erhielten die czechoslavischen Dichter eine sociale Bedeutung, und keiner unter ihnen eine größere als Johann Kollar. Wie dieser Mann für den größten Dichter der neuern czechischen Litteratur gilt, so ist er auch unstreitig der einflußreichste Slave Oesterreichs. Seine Ideen haben am tiefsten Wurzel gefaßt; sie vorzugsweise haben das slavische Bewußtseyn geweckt. Keiner hat männlicher, ausdauernder die Uebergriffe des Patriotismus der Race bekämpft; keiner härter die Schmach der Indolenz und den Abfall vom eigenen Blute gestraft. Kollar – evangelischer Prediger in Pesth – ist ein Gelehrter und hat dieß durch mehrere Werke dargethan, aber so gediegen diese, und überhaupt so ausgebreitet seine historischen und philologischen Kenntnisse sind, seinen Ruhm gründete sein lyrisch-episches Gedicht „die Tochter des Ruhms“ (Slavy dcera). In Sonetten, die ein schöner, tief poetischer Gedanke, jener der Liebe, zu einem Ganzen verbindet, besingt er den Ruhm der Slaven und ihre tausendjährigen Leiden; sein Geist überblickt von hoher Karpathenkuppe die weiten Slavenländer der Wolga, Weichsel, Donau und Moldau, wo die Brüder wohnen; ihrem Leben, jeder ihrer schönen Thaten weiht er sein Lied; aber sein Geist schaudert zurück vor den Frevelthaten des Feindes; er sieht die mißhandelten, die gemordeten Geschlechter der Wenden, und kann sie nicht zählen; er sieht die Fremden auf den Trümmern von Arkona, auf den Gräbern der Brüder, die sie geknechtet. – Kollars Vers ist harmoniereich, seine Sprache wohlklingend, aber der Klang seines Reimes oft so weich und mild, daß er fast im Gegensatze steht zu seinem Stoff.

Wie Kollar ist sein Landsmann Johann Holy ein ächter Dichter, doch ohne Kollars Gedankenreichthum und Lebensfrische. Ein milder, aber naturkräftiger Sinn, eine elegische Wehmuth, Keuschheit der Gesinnung und der That, eine volksthümliche Gedankenverbindung zeichnen die Schöpfungen Holy's aus, deren objective Darstellungsform jedoch eine gewisse epische Breite fast durchgehends charakterisirt. Er gab zuerst Uebersetzungen einiger Gedichte des Virgil, Theokrit, Homer, Ovid, Tyrtäus und Horaz (Tyrnau 1824), dann eine Uebersetzung der Aeneis (1828) heraus. Sein Geist wandte sich nun der vaterländischen Geschichte zu; er wählte aus der schönsten Periode der Slowaken, dem groß-mährischen Reiche, „Swatopluk“ zum Helden eines großen epischen Gedichts (Swatopluk, ein Heldengedicht in zwölf Gesängen, Tyrnau 1833). In einem zweiten Epos ist es die Verbreitung der christlichen Lehre durch die griechischen Apostel Konstantin (Cyrill) und Method, und in einem dritten „Slaw,“ gedruckt in dem in Pesth erscheinenden Taschenbuche „Zora“ auf 1838 – ist es der Heldensinn und der Kampf der Väter, die ihn zu Gesängen begeistern. In dem genannten Taschenbuche theilt er auch Elegien und in frühern Jahrgängen Idyllen mit, die zur Folie die einfache Lebensweise der Karpathensöhne haben.

Holy, katholischer Pfarrer zu Madunitz im Graner Erzbisthum, schreibt im slovenischen Dialekte, während Kollar, wie die ungarischen Protestanten überhaupt, sich der böhmischen Schriftsprache bedient. Es ist dieß ein Hinderniß einer größern Verbreitung seiner Werke, aber indem er ein urkräftiges, vom Einfluß des Fremden noch unberührtes Volkselement hervorhebt, und dieses, begünstigt durch den vorherrschenden Sinn nach engerer Vereinigung, sich im Laufe der Zeit mit der czechischen Schriftsprache zu amalgamiren hat, kann der Ausdruck und die Litteratur nur gewinnen.

Tiefer auf die Gesinnung wirkte der Augustinermönch und Professor der Philosophie zu Brünn, Matthäus Klácel. Das Erscheinen des ersten Bandes seiner lyrischen Gedichte, Brünn 1836, erregte eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Aber es war nicht sowohl der poetische Werth der Oden, die hier geboten wurden, als ihre sittliche Kraft, welche die Bewegung hervorbrachte. Mit Catonischer Strenge strebt er gegen das Böse, gegen die Schmach der Entartung; er warnt mit hohem Ernste die Jugend vor Verunreinigung ihres Blutes, das dem Vaterlande gehöre; dem Göttlichen, der Wahrheit sey die Seele zuzuwenden. Der zweite, später erschienene Band von diesen Gedichten scheint nicht dieselbe Aufnahme gefunden zu haben. Klácel ist ein Mann von scharfem Verstande, ein genialer Kopf voll Ideen, aber es fehlt ihm plastische Kraft und der Sinn für künstlerische Vollendung der Sprache. An die philosophische Gedankenbildung gewöhnt, treten seine Ideen, statt in Bildern, in Begriffen hervor.

Feiner gebildet, als Klácel, ohne dessen tiefen Ideengang, aber phantasie- und gemüthreicher, weicher, elastischer, erscheint uns J. Erasmus Wocel, dessen Hauptwerk „Prèmyslowci“ (die Premysliden), ein episches Gedicht, im Jahr 1839 in Prag erschien. Böhmen hat auf engem Raum eine große Geschichte, reich an Gedanken, Thaten, Heldengröße. Und in der Auffassung und Darstellung dieses reichen Lebens beurkundet sich Wocel als edler Freund des Vaterlandes, des Volkes. Böhmen soll vorwärts schreiten in der nationalen Entwicklung; darum umfaßt ihn inmitten seines Gedichts – das im ernsten Balladenton erzählt von den Thaten der Premysliden und der großen czechischen Rittergeschlechter, der Sternberge, Waldsteine, Czernine, Kollowrate, Podubrade, von den Kämpfen in der Lombardei, von den Siegen über die Tartaren und Magyaren, von dem Zuge zum baltischen Meere – wehmuthsvoller Schmerz, und er trägt die Sehnsucht und das Leid der Gegenwart in seinen Gesang und leise tönt die Klage nach den Tagen des Ruhms. Aus der Periode, welche sich Wocel gewählt, hat er stets dichterische Momente erfaßt; er zeichnet in einzelnen Gedichten, woraus das Ganze besteht, und oft mit wechselndem Versmaaße, ein vollendetes Bild, das

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Hoher Beachtung werth ist das litterarische Streben, welches in unserer Zeit unter den österreichischen Slaven rege wird und wovon die Blätter der Allgemeinen Zeitung bereits einige Andeutungen mittheilten, in denen jedoch die neuere Poesie der Westslaven gänzlich außer Acht gelassen wurde. – Der Wissenschaft konnte es bisher, bei aller Aufopferung tüchtiger Männer, in geringerem Grade gelingen, Einfluß im Volke zu gewinnen; es fehlen die Vermittelungsglieder, die höhern Lehranstalten, deren sieben Millionen zur natürlichen nationalen Bildung ganz entbehren; desto empfänglicheren, durch den Geist der Zeit bearbeiteten Boden fand das Wort des Dichters, das die Leidenschaft, die Begeisterung, die Vaterlandsliebe, die Liebe zum Volke nähren und eine große Geschichtsepoche der thatlosen, unfreundlichen, den edlen Aufschwung tödtenden Gegenwart entgegen halten konnte. So erhielten die czechoslavischen Dichter eine sociale Bedeutung, und keiner unter ihnen eine größere als Johann Kollar. Wie dieser Mann für den größten Dichter der neuern czechischen Litteratur gilt, so ist er auch unstreitig der einflußreichste Slave Oesterreichs. Seine Ideen haben am tiefsten Wurzel gefaßt; sie vorzugsweise haben das slavische Bewußtseyn geweckt. Keiner hat männlicher, ausdauernder die Uebergriffe des Patriotismus der Race bekämpft; keiner härter die Schmach der Indolenz und den Abfall vom eigenen Blute gestraft. Kollar – evangelischer Prediger in Pesth – ist ein Gelehrter und hat dieß durch mehrere Werke dargethan, aber so gediegen diese, und überhaupt so ausgebreitet seine historischen und philologischen Kenntnisse sind, seinen Ruhm gründete sein lyrisch-episches Gedicht „die Tochter des Ruhms“ (Slavy dcera). In Sonetten, die ein schöner, tief poetischer Gedanke, jener der Liebe, zu einem Ganzen verbindet, besingt er den Ruhm der Slaven und ihre tausendjährigen Leiden; sein Geist überblickt von hoher Karpathenkuppe die weiten Slavenländer der Wolga, Weichsel, Donau und Moldau, wo die Brüder wohnen; ihrem Leben, jeder ihrer schönen Thaten weiht er sein Lied; aber sein Geist schaudert zurück vor den Frevelthaten des Feindes; er sieht die mißhandelten, die gemordeten Geschlechter der Wenden, und kann sie nicht zählen; er sieht die Fremden auf den Trümmern von Arkona, auf den Gräbern der Brüder, die sie geknechtet. – Kollars Vers ist harmoniereich, seine Sprache wohlklingend, aber der Klang seines Reimes oft so weich und mild, daß er fast im Gegensatze steht zu seinem Stoff. Wie Kollar ist sein Landsmann Johann Holy ein ächter Dichter, doch ohne Kollars Gedankenreichthum und Lebensfrische. 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In einem zweiten Epos ist es die Verbreitung der christlichen Lehre durch die griechischen Apostel Konstantin (Cyrill) und Method, und in einem dritten „Slaw,“ gedruckt in dem in Pesth erscheinenden Taschenbuche „Zora“ auf 1838 – ist es der Heldensinn und der Kampf der Väter, die ihn zu Gesängen begeistern. In dem genannten Taschenbuche theilt er auch Elegien und in frühern Jahrgängen Idyllen mit, die zur Folie die einfache Lebensweise der Karpathensöhne haben. Holy, katholischer Pfarrer zu Madunitz im Graner Erzbisthum, schreibt im slovenischen Dialekte, während Kollar, wie die ungarischen Protestanten überhaupt, sich der böhmischen Schriftsprache bedient. Es ist dieß ein Hinderniß einer größern Verbreitung seiner Werke, aber indem er ein urkräftiges, vom Einfluß des Fremden noch unberührtes Volkselement hervorhebt, und dieses, begünstigt durch den vorherrschenden Sinn nach engerer Vereinigung, sich im Laufe der Zeit mit der czechischen Schriftsprache zu amalgamiren hat, kann der Ausdruck und die Litteratur nur gewinnen. Tiefer auf die Gesinnung wirkte der Augustinermönch und Professor der Philosophie zu Brünn, Matthäus Klácel. Das Erscheinen des ersten Bandes seiner lyrischen Gedichte, Brünn 1836, erregte eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Aber es war nicht sowohl der poetische Werth der Oden, die hier geboten wurden, als ihre sittliche Kraft, welche die Bewegung hervorbrachte. Mit Catonischer Strenge strebt er gegen das Böse, gegen die Schmach der Entartung; er warnt mit hohem Ernste die Jugend vor Verunreinigung ihres Blutes, das dem Vaterlande gehöre; dem Göttlichen, der Wahrheit sey die Seele zuzuwenden. Der zweite, später erschienene Band von diesen Gedichten scheint nicht dieselbe Aufnahme gefunden zu haben. Klácel ist ein Mann von scharfem Verstande, ein genialer Kopf voll Ideen, aber es fehlt ihm plastische Kraft und der Sinn für künstlerische Vollendung der Sprache. An die philosophische Gedankenbildung gewöhnt, treten seine Ideen, statt in Bildern, in Begriffen hervor. Feiner gebildet, als Klácel, ohne dessen tiefen Ideengang, aber phantasie- und gemüthreicher, weicher, elastischer, erscheint uns J. Erasmus Wocel, dessen Hauptwerk „Prèmyslowci“ (die Premysliden), ein episches Gedicht, im Jahr 1839 in Prag erschien. Böhmen hat auf engem Raum eine große Geschichte, reich an Gedanken, Thaten, Heldengröße. Und in der Auffassung und Darstellung dieses reichen Lebens beurkundet sich Wocel als edler Freund des Vaterlandes, des Volkes. Böhmen soll vorwärts schreiten in der nationalen Entwicklung; darum umfaßt ihn inmitten seines Gedichts – das im ernsten Balladenton erzählt von den Thaten der Premysliden und der großen czechischen Rittergeschlechter, der Sternberge, Waldsteine, Czernine, Kollowrate, Podubrade, von den Kämpfen in der Lombardei, von den Siegen über die Tartaren und Magyaren, von dem Zuge zum baltischen Meere – wehmuthsvoller Schmerz, und er trägt die Sehnsucht und das Leid der Gegenwart in seinen Gesang und leise tönt die Klage nach den Tagen des Ruhms. Aus der Periode, welche sich Wocel gewählt, hat er stets dichterische Momente erfaßt; er zeichnet in einzelnen Gedichten, woraus das Ganze besteht, und oft mit wechselndem Versmaaße, ein vollendetes Bild, das

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 121. Augsburg, 30. April 1840, S. 0963. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_121_18400430/11>, abgerufen am 29.04.2024.