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Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840.

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Dsuch ungefähr in gleicher Form und Bedeutung in der Volkssprache des innern Tyrols bis auf den heutigen Tag lebendig erhalten hat. Was man anderswo unter Bube, Bursch, Kerl und Pallikar versteht, überhaupt die männliche Hälfte der Bevölkerung, mit dem Nebenbegriff von Derbheit und physischer Rüstigkeit, nennt der Inner-Tyroler heute noch Zoch oder Dsoch, plural Zochen oder Dsochen. In abgelegenen und städtischer Feinheit mehr entrückten Seitenthälern hört man sogar die Variante Dsuch, gerade wie es nach Sjögren im Tscherkessischen klingt. Nach Marigny rühmen sich aber auch die Circassier mit den Frengis oder Europäern Eines Stammes zu seyn. Zum Ruhme der Tyroler darf man wohl noch weiter gehen und sagen, daß dieses Bergvolk, außer dem Appellativ Zoch, vielleicht auch etwas von dem hochherzigen Sinn, von der Liebe zur Unabhängigkeit, vom religiösen Gefühl und Heldenmuth ihrer Namensvettern im Kaukasus besitze. Während sich die Völker der Ebene demüthig und gehorsam vor dem fremden Sieger beugten, erhoben die Tyroler Zochen den im Centrum Europa's vergessenen Ruf der Freiheit und protestirten, mit dem Feuerrohr in der Hand, unter den deutschen Völkern allein noch gegen die allgemeine Knechtschaft. Vielleicht hätten die Deutschen gerade jetzt vor allen Völkern des Continents, auf den Grund gewisser Befürchtungen hin, Ursache, sich an Sitte und Exempel der Circassier zu erwärmen.

(Beschluß folgt.)

Holländische Ansichten.

Es gibt Gemeinplätze in der Politik, die zu solchem Ansehen gelangen, daß der bescheidenste Zweifel paradox erscheint. So ist man seit zehn Jahren fast ganz darüber einig, die Verbindung von Holland mit Belgien, diese Hauptschöpfung des Wiener Congresses, sey an sich eine verkehrte Combination, eine politische Unmöglichkeit gewesen. Weil verschiedene Sprachen und Confessionen, verschiedene Gewohnheiten und Interessen in der neuen Monarchie einander entgegenstanden, stellen sich Viele die beiden Länder etwa so zusammengekoppelt vor, wie das Pärchen in Hogarths Heirath nach der Mode, das Lichtenberg mit einem kranken Seidenhasen und einem hitzigen Igelweibchen vergleicht. Es ist hier natürlich nicht von den Ansichten in den ersten Ranglogen die Rede, sondern nur vom Parterre und nur von den Zuschauern der andern Nationen. Die handelnden Parteien selbst mögen für die leidenschaftliche Scheidung einen rechtmäßigen Grund, oder einen Trost, oder eine Entschuldigung in jener Unverträglichkeit gesucht haben; aber die Zuschauer hätten heller sehen sollen. Bei den Engländern hat sich dem Irrthum offenbar etwas üble Laune beigemischt. Die Russen vermißten vielleicht die geeigneten Bindungsmittel für widerstrebende Nationalitäten, und sie sahen in dem Ereigniß zunächst nur die Beleidigung gegen eine Großfürstin. Dagegen im gelehrten Deutschland war man so glücklich, eine geschichts-philosophische Formel zu finden, und dadurch die apriorische Unmöglichkeit des gegenseitigen Durchdringens aufzuzeigen. Und wie sollte dieses Argument den Franzosen nicht gefallen haben? Es war ihnen sieben Festungen werth. Wäre es 1814 die Aufgabe gewesen, zweierlei Volk nach einerlei Schnitt zu uniformiren, so hätte jede Wahl ihre Härte gehabt. Aber die Verträge ließen es ja frei, die Holländer holländisch und die Wallonen wälsch, die Flamänder flämisch, die Luxemburger endlich deutsch zu behandeln. Wir wollen die Behauptung der unverträglichen Gegensätze nicht einmal an den fünf Großmächten auf die Probe stellen, deren jede doch ganz andere Gegensätze als zwischen Runkelrüben- und Colonialzucker zu vermitteln hat. Sehen wir nur, wohin die Consequenz bei den gegenwärtigen zwei niederländischen Reichen führen würde. Bleibt nicht innerhalb Hollands der Widerstreit beider fast gleichen Religionsparteien? Sind nicht die Interessen des Ackerbaues im Osten oft denen des Handels im Westen zuwiderlaufend? Und innerhalb Belgiens, welche fortwährende Verschiedenheit, schon allein der Nationalitäten! Von dem Wallonen und Nordfranzosen ist der Brabänter und der Flamänder wohl zu unterscheiden. Es wäre unbillig, der Regierung, die eine gleichartige Administration in beiden Ländern vorfand, den Fehler und den üblen Ausgang allein aufzubürden: die Napoleon'sche Centralisation schwebte fast allen Zeitgenossen als einziges Muster vor; beide Länder waren, durch Verlust ihres früheren selbstständigen Provincialismus, scheinbar ziemlich gleichartig geworden. Aber der größte Gegensatz zwischen Holland und Belgien lag in der innern Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Gliederung, in der ganz verschiedenen Abstufung der Stände. Holland ist eine höchst gleichartige bürgerliche Nation, die letzten Reste patricischer Oligarchie liegen in der französischen Revolution begraben, während in Belgien viel mannichfaltigere Elemente sich erhalten haben, besonders ein Adel, der, reich und unabhängig, zwar ohne ausgezeichnete Bildung, aber auch ohne zeitwidrige Privilegien, aus hundertjähriger Fremdherrschaft gelernt hat, zusammen mit der Geistlichkeit, zu dem Volke zu stehen. Hier war eine Klippe für die Verfassung, hier die Unmöglichkeit einer gleichförmigen Regierung. Doch wozu die späte Weisheit? Allem Bedauern, allen etwanigen Vorsätzen, es ein andermal anders zu machen, ja allen Wünschen ist durch einen völkerrechtlichen Vertrag Stillschweigen geboten. Von nun an haben wir es mit den Holländern allein zu thun, und die Wichtigkeit der gegenwärtigen Krisis wird eine Schilderung holländischer Ansichten über äußere und innere Politik, als Beitrag zur Statistik der Gesinnungen, willkommen erscheinen lassen.

Es ist billig, sich daran zu erinnern, daß Holland unter den europäischen Mächten noch vor wenigen Generationen - freilich in vorpentarchischen Zeiten - einen ehrenvollen Platz auf der ersten Bank eingenommen hatte. Es ist billig - von andern, aber nicht klug von den Holländern selbst, und nicht glücklich für sie. - Der ächte Holländer sieht fortwährend, fast nach alttestamentarischer Weise, sein Volk als das auserwählte an, sein Land als die Sonne, um welche sich von Rechtswegen alle andern Himmelskörper, groß und klein, zu drehen schuldig sind. Seine Geschichte ist recht eigentlich seine Poesie. Aber der abnehmenden Macht folgt auch Abnahme des Rangs; und wenn beide gar nur auf Unbeholfenheit, Armuth und vorübergehende Mißverhältnisse natürlich stärkerer Nachbarn gegründet und berechnet waren, so ist es weder billig noch klug, jene Nachbarn oft an den alten Mißstand zu erinnern, und über deren gegenwärtiges Gedeihen zu klagen. Es gibt noch eine Mitte zwischen feiger Nachgiebigkeit gegen augenblickliche Uebermacht, gegen fremde Bequemlichkeit, Grundsatzlosigkeit und Handwerksneid auf der einen Seite und zwischen hochtrabenden, übelgelaunten, zeitwidrigen Prätensionen auf der andern - eine Mitte von verständiger Anerkenntniß der Zeit, von würdevoller völkerrechtlicher Haltung, welche für kommende Gefahren auch die Sympathien anderer Nationen zu gewinnen fähig ist. Ohne letzteren Erfolg widerfährt den Berufungen auf eine bessere Vergangenheit und Zukunft dasselbe Schicksal bei den Diplomaten, wie dem heiligen Antonius bei den Fischen: "die Predigt hat gefallen - sie bleiben wie allen." Freilich ist das Zurückrufen verlorner Rechtszustände in Holland populäre Gesinnung; aber die Regierung durfte sie nicht, um populär zu

Dsuch ungefähr in gleicher Form und Bedeutung in der Volkssprache des innern Tyrols bis auf den heutigen Tag lebendig erhalten hat. Was man anderswo unter Bube, Bursch, Kerl und Pallikar versteht, überhaupt die männliche Hälfte der Bevölkerung, mit dem Nebenbegriff von Derbheit und physischer Rüstigkeit, nennt der Inner-Tyroler heute noch Zoch oder Dsoch, plural Zochen oder Dsochen. In abgelegenen und städtischer Feinheit mehr entrückten Seitenthälern hört man sogar die Variante Dsuch, gerade wie es nach Sjögren im Tscherkessischen klingt. Nach Marigny rühmen sich aber auch die Circassier mit den Frengis oder Europäern Eines Stammes zu seyn. Zum Ruhme der Tyroler darf man wohl noch weiter gehen und sagen, daß dieses Bergvolk, außer dem Appellativ Zoch, vielleicht auch etwas von dem hochherzigen Sinn, von der Liebe zur Unabhängigkeit, vom religiösen Gefühl und Heldenmuth ihrer Namensvettern im Kaukasus besitze. Während sich die Völker der Ebene demüthig und gehorsam vor dem fremden Sieger beugten, erhoben die Tyroler Zochen den im Centrum Europa's vergessenen Ruf der Freiheit und protestirten, mit dem Feuerrohr in der Hand, unter den deutschen Völkern allein noch gegen die allgemeine Knechtschaft. Vielleicht hätten die Deutschen gerade jetzt vor allen Völkern des Continents, auf den Grund gewisser Befürchtungen hin, Ursache, sich an Sitte und Exempel der Circassier zu erwärmen.

(Beschluß folgt.)

Holländische Ansichten.

Es gibt Gemeinplätze in der Politik, die zu solchem Ansehen gelangen, daß der bescheidenste Zweifel paradox erscheint. So ist man seit zehn Jahren fast ganz darüber einig, die Verbindung von Holland mit Belgien, diese Hauptschöpfung des Wiener Congresses, sey an sich eine verkehrte Combination, eine politische Unmöglichkeit gewesen. Weil verschiedene Sprachen und Confessionen, verschiedene Gewohnheiten und Interessen in der neuen Monarchie einander entgegenstanden, stellen sich Viele die beiden Länder etwa so zusammengekoppelt vor, wie das Pärchen in Hogarths Heirath nach der Mode, das Lichtenberg mit einem kranken Seidenhasen und einem hitzigen Igelweibchen vergleicht. Es ist hier natürlich nicht von den Ansichten in den ersten Ranglogen die Rede, sondern nur vom Parterre und nur von den Zuschauern der andern Nationen. Die handelnden Parteien selbst mögen für die leidenschaftliche Scheidung einen rechtmäßigen Grund, oder einen Trost, oder eine Entschuldigung in jener Unverträglichkeit gesucht haben; aber die Zuschauer hätten heller sehen sollen. Bei den Engländern hat sich dem Irrthum offenbar etwas üble Laune beigemischt. Die Russen vermißten vielleicht die geeigneten Bindungsmittel für widerstrebende Nationalitäten, und sie sahen in dem Ereigniß zunächst nur die Beleidigung gegen eine Großfürstin. Dagegen im gelehrten Deutschland war man so glücklich, eine geschichts-philosophische Formel zu finden, und dadurch die apriorische Unmöglichkeit des gegenseitigen Durchdringens aufzuzeigen. Und wie sollte dieses Argument den Franzosen nicht gefallen haben? Es war ihnen sieben Festungen werth. Wäre es 1814 die Aufgabe gewesen, zweierlei Volk nach einerlei Schnitt zu uniformiren, so hätte jede Wahl ihre Härte gehabt. Aber die Verträge ließen es ja frei, die Holländer holländisch und die Wallonen wälsch, die Flamänder flämisch, die Luxemburger endlich deutsch zu behandeln. Wir wollen die Behauptung der unverträglichen Gegensätze nicht einmal an den fünf Großmächten auf die Probe stellen, deren jede doch ganz andere Gegensätze als zwischen Runkelrüben- und Colonialzucker zu vermitteln hat. Sehen wir nur, wohin die Consequenz bei den gegenwärtigen zwei niederländischen Reichen führen würde. Bleibt nicht innerhalb Hollands der Widerstreit beider fast gleichen Religionsparteien? Sind nicht die Interessen des Ackerbaues im Osten oft denen des Handels im Westen zuwiderlaufend? Und innerhalb Belgiens, welche fortwährende Verschiedenheit, schon allein der Nationalitäten! Von dem Wallonen und Nordfranzosen ist der Brabänter und der Flamänder wohl zu unterscheiden. Es wäre unbillig, der Regierung, die eine gleichartige Administration in beiden Ländern vorfand, den Fehler und den üblen Ausgang allein aufzubürden: die Napoleon'sche Centralisation schwebte fast allen Zeitgenossen als einziges Muster vor; beide Länder waren, durch Verlust ihres früheren selbstständigen Provincialismus, scheinbar ziemlich gleichartig geworden. Aber der größte Gegensatz zwischen Holland und Belgien lag in der innern Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Gliederung, in der ganz verschiedenen Abstufung der Stände. Holland ist eine höchst gleichartige bürgerliche Nation, die letzten Reste patricischer Oligarchie liegen in der französischen Revolution begraben, während in Belgien viel mannichfaltigere Elemente sich erhalten haben, besonders ein Adel, der, reich und unabhängig, zwar ohne ausgezeichnete Bildung, aber auch ohne zeitwidrige Privilegien, aus hundertjähriger Fremdherrschaft gelernt hat, zusammen mit der Geistlichkeit, zu dem Volke zu stehen. Hier war eine Klippe für die Verfassung, hier die Unmöglichkeit einer gleichförmigen Regierung. Doch wozu die späte Weisheit? Allem Bedauern, allen etwanigen Vorsätzen, es ein andermal anders zu machen, ja allen Wünschen ist durch einen völkerrechtlichen Vertrag Stillschweigen geboten. Von nun an haben wir es mit den Holländern allein zu thun, und die Wichtigkeit der gegenwärtigen Krisis wird eine Schilderung holländischer Ansichten über äußere und innere Politik, als Beitrag zur Statistik der Gesinnungen, willkommen erscheinen lassen.

Es ist billig, sich daran zu erinnern, daß Holland unter den europäischen Mächten noch vor wenigen Generationen – freilich in vorpentarchischen Zeiten – einen ehrenvollen Platz auf der ersten Bank eingenommen hatte. Es ist billig – von andern, aber nicht klug von den Holländern selbst, und nicht glücklich für sie. – Der ächte Holländer sieht fortwährend, fast nach alttestamentarischer Weise, sein Volk als das auserwählte an, sein Land als die Sonne, um welche sich von Rechtswegen alle andern Himmelskörper, groß und klein, zu drehen schuldig sind. Seine Geschichte ist recht eigentlich seine Poesie. Aber der abnehmenden Macht folgt auch Abnahme des Rangs; und wenn beide gar nur auf Unbeholfenheit, Armuth und vorübergehende Mißverhältnisse natürlich stärkerer Nachbarn gegründet und berechnet waren, so ist es weder billig noch klug, jene Nachbarn oft an den alten Mißstand zu erinnern, und über deren gegenwärtiges Gedeihen zu klagen. Es gibt noch eine Mitte zwischen feiger Nachgiebigkeit gegen augenblickliche Uebermacht, gegen fremde Bequemlichkeit, Grundsatzlosigkeit und Handwerksneid auf der einen Seite und zwischen hochtrabenden, übelgelaunten, zeitwidrigen Prätensionen auf der andern – eine Mitte von verständiger Anerkenntniß der Zeit, von würdevoller völkerrechtlicher Haltung, welche für kommende Gefahren auch die Sympathien anderer Nationen zu gewinnen fähig ist. Ohne letzteren Erfolg widerfährt den Berufungen auf eine bessere Vergangenheit und Zukunft dasselbe Schicksal bei den Diplomaten, wie dem heiligen Antonius bei den Fischen: „die Predigt hat gefallen – sie bleiben wie allen.“ Freilich ist das Zurückrufen verlorner Rechtszustände in Holland populäre Gesinnung; aber die Regierung durfte sie nicht, um populär zu

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[1155/0011] Dsuch ungefähr in gleicher Form und Bedeutung in der Volkssprache des innern Tyrols bis auf den heutigen Tag lebendig erhalten hat. Was man anderswo unter Bube, Bursch, Kerl und Pallikar versteht, überhaupt die männliche Hälfte der Bevölkerung, mit dem Nebenbegriff von Derbheit und physischer Rüstigkeit, nennt der Inner-Tyroler heute noch Zoch oder Dsoch, plural Zochen oder Dsochen. In abgelegenen und städtischer Feinheit mehr entrückten Seitenthälern hört man sogar die Variante Dsuch, gerade wie es nach Sjögren im Tscherkessischen klingt. Nach Marigny rühmen sich aber auch die Circassier mit den Frengis oder Europäern Eines Stammes zu seyn. Zum Ruhme der Tyroler darf man wohl noch weiter gehen und sagen, daß dieses Bergvolk, außer dem Appellativ Zoch, vielleicht auch etwas von dem hochherzigen Sinn, von der Liebe zur Unabhängigkeit, vom religiösen Gefühl und Heldenmuth ihrer Namensvettern im Kaukasus besitze. Während sich die Völker der Ebene demüthig und gehorsam vor dem fremden Sieger beugten, erhoben die Tyroler Zochen den im Centrum Europa's vergessenen Ruf der Freiheit und protestirten, mit dem Feuerrohr in der Hand, unter den deutschen Völkern allein noch gegen die allgemeine Knechtschaft. Vielleicht hätten die Deutschen gerade jetzt vor allen Völkern des Continents, auf den Grund gewisser Befürchtungen hin, Ursache, sich an Sitte und Exempel der Circassier zu erwärmen. (Beschluß folgt.) Holländische Ansichten. Es gibt Gemeinplätze in der Politik, die zu solchem Ansehen gelangen, daß der bescheidenste Zweifel paradox erscheint. So ist man seit zehn Jahren fast ganz darüber einig, die Verbindung von Holland mit Belgien, diese Hauptschöpfung des Wiener Congresses, sey an sich eine verkehrte Combination, eine politische Unmöglichkeit gewesen. Weil verschiedene Sprachen und Confessionen, verschiedene Gewohnheiten und Interessen in der neuen Monarchie einander entgegenstanden, stellen sich Viele die beiden Länder etwa so zusammengekoppelt vor, wie das Pärchen in Hogarths Heirath nach der Mode, das Lichtenberg mit einem kranken Seidenhasen und einem hitzigen Igelweibchen vergleicht. Es ist hier natürlich nicht von den Ansichten in den ersten Ranglogen die Rede, sondern nur vom Parterre und nur von den Zuschauern der andern Nationen. Die handelnden Parteien selbst mögen für die leidenschaftliche Scheidung einen rechtmäßigen Grund, oder einen Trost, oder eine Entschuldigung in jener Unverträglichkeit gesucht haben; aber die Zuschauer hätten heller sehen sollen. Bei den Engländern hat sich dem Irrthum offenbar etwas üble Laune beigemischt. Die Russen vermißten vielleicht die geeigneten Bindungsmittel für widerstrebende Nationalitäten, und sie sahen in dem Ereigniß zunächst nur die Beleidigung gegen eine Großfürstin. Dagegen im gelehrten Deutschland war man so glücklich, eine geschichts-philosophische Formel zu finden, und dadurch die apriorische Unmöglichkeit des gegenseitigen Durchdringens aufzuzeigen. Und wie sollte dieses Argument den Franzosen nicht gefallen haben? Es war ihnen sieben Festungen werth. Wäre es 1814 die Aufgabe gewesen, zweierlei Volk nach einerlei Schnitt zu uniformiren, so hätte jede Wahl ihre Härte gehabt. Aber die Verträge ließen es ja frei, die Holländer holländisch und die Wallonen wälsch, die Flamänder flämisch, die Luxemburger endlich deutsch zu behandeln. Wir wollen die Behauptung der unverträglichen Gegensätze nicht einmal an den fünf Großmächten auf die Probe stellen, deren jede doch ganz andere Gegensätze als zwischen Runkelrüben- und Colonialzucker zu vermitteln hat. Sehen wir nur, wohin die Consequenz bei den gegenwärtigen zwei niederländischen Reichen führen würde. Bleibt nicht innerhalb Hollands der Widerstreit beider fast gleichen Religionsparteien? Sind nicht die Interessen des Ackerbaues im Osten oft denen des Handels im Westen zuwiderlaufend? Und innerhalb Belgiens, welche fortwährende Verschiedenheit, schon allein der Nationalitäten! Von dem Wallonen und Nordfranzosen ist der Brabänter und der Flamänder wohl zu unterscheiden. Es wäre unbillig, der Regierung, die eine gleichartige Administration in beiden Ländern vorfand, den Fehler und den üblen Ausgang allein aufzubürden: die Napoleon'sche Centralisation schwebte fast allen Zeitgenossen als einziges Muster vor; beide Länder waren, durch Verlust ihres früheren selbstständigen Provincialismus, scheinbar ziemlich gleichartig geworden. Aber der größte Gegensatz zwischen Holland und Belgien lag in der innern Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen Gliederung, in der ganz verschiedenen Abstufung der Stände. Holland ist eine höchst gleichartige bürgerliche Nation, die letzten Reste patricischer Oligarchie liegen in der französischen Revolution begraben, während in Belgien viel mannichfaltigere Elemente sich erhalten haben, besonders ein Adel, der, reich und unabhängig, zwar ohne ausgezeichnete Bildung, aber auch ohne zeitwidrige Privilegien, aus hundertjähriger Fremdherrschaft gelernt hat, zusammen mit der Geistlichkeit, zu dem Volke zu stehen. Hier war eine Klippe für die Verfassung, hier die Unmöglichkeit einer gleichförmigen Regierung. Doch wozu die späte Weisheit? Allem Bedauern, allen etwanigen Vorsätzen, es ein andermal anders zu machen, ja allen Wünschen ist durch einen völkerrechtlichen Vertrag Stillschweigen geboten. Von nun an haben wir es mit den Holländern allein zu thun, und die Wichtigkeit der gegenwärtigen Krisis wird eine Schilderung holländischer Ansichten über äußere und innere Politik, als Beitrag zur Statistik der Gesinnungen, willkommen erscheinen lassen. Es ist billig, sich daran zu erinnern, daß Holland unter den europäischen Mächten noch vor wenigen Generationen – freilich in vorpentarchischen Zeiten – einen ehrenvollen Platz auf der ersten Bank eingenommen hatte. Es ist billig – von andern, aber nicht klug von den Holländern selbst, und nicht glücklich für sie. – Der ächte Holländer sieht fortwährend, fast nach alttestamentarischer Weise, sein Volk als das auserwählte an, sein Land als die Sonne, um welche sich von Rechtswegen alle andern Himmelskörper, groß und klein, zu drehen schuldig sind. Seine Geschichte ist recht eigentlich seine Poesie. Aber der abnehmenden Macht folgt auch Abnahme des Rangs; und wenn beide gar nur auf Unbeholfenheit, Armuth und vorübergehende Mißverhältnisse natürlich stärkerer Nachbarn gegründet und berechnet waren, so ist es weder billig noch klug, jene Nachbarn oft an den alten Mißstand zu erinnern, und über deren gegenwärtiges Gedeihen zu klagen. Es gibt noch eine Mitte zwischen feiger Nachgiebigkeit gegen augenblickliche Uebermacht, gegen fremde Bequemlichkeit, Grundsatzlosigkeit und Handwerksneid auf der einen Seite und zwischen hochtrabenden, übelgelaunten, zeitwidrigen Prätensionen auf der andern – eine Mitte von verständiger Anerkenntniß der Zeit, von würdevoller völkerrechtlicher Haltung, welche für kommende Gefahren auch die Sympathien anderer Nationen zu gewinnen fähig ist. Ohne letzteren Erfolg widerfährt den Berufungen auf eine bessere Vergangenheit und Zukunft dasselbe Schicksal bei den Diplomaten, wie dem heiligen Antonius bei den Fischen: „die Predigt hat gefallen – sie bleiben wie allen.“ Freilich ist das Zurückrufen verlorner Rechtszustände in Holland populäre Gesinnung; aber die Regierung durfte sie nicht, um populär zu

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 145. Augsburg, 24. Mai 1840, S. 1155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_145_18400524/11>, abgerufen am 27.04.2024.