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Allgemeine Zeitung. Nr. 150. Augsburg, 29. Mai 1840.

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und hat also nicht einmal die Entschuldigung der Unwissenheit, wenn er hinter dieser in altgermanischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit alle Gebiete menschlichen Wissens und Forschens umspannenden und immer neu gestaltenden Thatkraft und in ihrer Erscheinung nichts als einen unreifen Kitzel studentischer oder überreizter Eitelkeit, die sich gedruckt, genannt oder gelobt sehen will, und ein Bestreben sieht, die Fluth vorjähriger Schriften durch die Fluth dießjähriger zu verschwemmen. Wird in Deutschland viel geschrieben, so geschieht es, weil in Deutschland viel gedacht und viel gelesen wird, und was diesem Fremdling als eine Art von Landplage erscheint, es ist ein durch Geist und Lage der Nation gebotenes Bestreben, ihrem großen und weitverbreiteten litterarischen und wissenschaftlichen Bedürfniß durch eine seinem Umfang entsprechende schriftstellerische Thätigkeit in vollem Maaße zu genügen. Nur wenn dabei Anderes und Wichtigeres versäumt würde, hätte Hr. Marmier Recht uns darum zu tadeln oder als Träumer zu verspotten; aber er kann sich darüber beruhigen. Deutschland erfüllt ebenso seinen politischen und seinen industriellen wie seinen schriftstellerischen Beruf, und die allerdings erfreuliche litterarische Rührigkeit ist nur eine besondere Form der allgemeinen rüstigen Bewegung, die, trotz dem, was uns hemmt und was uns fehlt, alle Bedürfnisse und Interessen der Nation in gleicher Weise umspannt, die Waaren unserer materiellen und intellectuellen Betriebsamkeit in gleicher Fülle auf den großen Weltmarkt von Leipzig liefert und durch die reiche Befriedigung der an die eine wie an die andere gestellten Forderungen von ihrem eigenen Reichthum und ihrer Energie ein Zeugniß gibt, um welches uns besonnene Beobachter aus der Fremde beneiden und nur Thoren bemitleiden oder tadeln können.

Wird bei diesem allerdings fast unübersehbaren Betriebe in einzelnen Partien zu viel, in andern zu wenig gearbeitet, gehen hier litterarische Kaufhäuser durch Ueberzahl der Concurrenz oder schlechte Speculation zu Grunde, tritt auf andern Seiten Charlatanismus und Täuschung ein, so ist das die Bedingung eines jeden großen Betriebs, der mit dem höhern und ehrenhaften Bestreben auch die Habsucht, die Leidenschaft und den Trug in Bewegung setzt; es ist das allgemeine Loos des Welthandels, der hier zu viel, dort zu wenig thut, heute den Markt überführt, morgen es fehlen läßt, aber darum doch im Ganzen und Großen seinen Zwecken gewachsen, das Verfehlte oder Fehlende bald ausgleicht und am Ende seine Bestimmung würdig erfüllt. Es hier anders wollen, das was erzeugt werden soll, nach Elle und Pfund bestimmen, sich wundern, daß in einem großen und reichen Hause neben dem vielfachen Bedarf auch Ueberflüssiges gefunden wird, oder die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, wenn ein Zweig oder Stamm des gewaltigen Waldes inländischer Erzeugnisse von den andern erdrückt wird, wenn Anderes verkommt oder kraftlos bleibt, ist eben ein Beweis, daß man sich so wenig in die hier zu Grunde liegenden Triebkräfte und Mittel des Verkehrs, wie in seine Natur finden kann, vor Allem aber die Bedingungen der freien Concurrenz, des ungehemmten Wetteifers und der nur auf ihre eigene Kraft gewiesenen Thätigkeit in diesem großen, reichen und tiefbewegten Freistaate der deutschen Intelligenz zu fassen und zu würdigen außer Stande ist, und auch wohl außer Stande bleiben wird.

(Beschluß folgt.)

Frankreich.

Eine eigene und entsetzliche Art von Verbrechen erregt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Strafgerichte. Nicht bloß Stiefmütter, sondern wirkliche Mütter sperren ihre Kinder in dunkle Behälter ihrer Wohnung, und mißhandeln sie durch Nahrungsabbruch und Schläge so grausam, daß die armen Geschöpfe, gelingt es der Behörde sie zu entdecken, kaum mehr ein menschliches Aussehen haben, und selten nur einige schwache Hoffnung der Genesung darbieten. Zwei neueste Fälle, der eine zu St. Denis, der andere zu Paris selbst, haben die Entrüstung des Publicums auf das höchste getrieben; sie werden nächstens von den Gerichten abgeurtheilt werden; ein Duzend andere sind schon von früher her in Untersuchung. Hoffentlich werden die Richter dießmal nicht mit derselben Nachsicht verfahren, die sie unlängst in einem ähnlichen Processe gezeigt haben. Das Gesetz erlaubt ihnen Strenge zu üben, und die öffentliche Moral wie das Unglück schutzloser Wesen erheischen sie von ihnen mit wahrem Jammergeschrei. - Ich habe Ihnen bisher nichts von dem furchtbaren dreifachen Morde geschrieben, dessen ein gewisser Elisabide, aus den Pyrenäen gebürtig, angeklagt und überwiesen, ja geständig ist. Ein junger Mann, der seine gewesene Geliebte, die Mutter seiner Kinder, und diese Kinder selbst, zwei an der Zahl, auf das grausamste mit Hammerschlägen und Messerstichen ermordet, damit die Unglücklichen ihm nicht zur Last seyn und ihn in seinen Heirathsplanen nicht stören mögen, der dieses Verbrechen während geraumer Zeit vorbereitet, und nach der Entdeckung sich wie ein Held des Melodrams gebärdet und an den Eindruck denkt, den seine Geschichte in den Journalen und im Publicum machen wird - ist das nicht ein Anblick, vor dem man sich das Haupt verhüllen, an der menschlichen Natur und ihrem göttlichen Ursprunge verzweifeln möchte? Wie einst bei Lacenaire, so hat sich auch bei Elisabide die schmählichste Speculation alsbald einen gewinnbringenden Punkt in der Sache ausersehen. Ein bekannter Maler, Clement Boulanger, hat das Bildniß des Elenden gefertigt, und ein Buchhändler hat ihm erboten die "Memoiren" herauszugeben, die er zu schreiben geneigt seyn möchte. Die "Memoiren" Elisabide's bestehen in der einfachen Thatsache seines Verbrechens, das er mit Umgehung einiger wenig bedeutenden Umstände auf das genaueste bekannt hat; was der scheußlichen Neugierde des Publicums geboten werden kann, ist daher ein Roman, den man mit diesen Thatsachen erst fertigen wird, und zu dessen glückbringenden Elementen natürlich ein sentimentales Interesse gehört, das man über dieses Ungeheuer verbreiten wird. Noch ist nicht entschieden, an welchem Orte die Anklage gegen Elisabide abgeurtheilt werden wird, ob zu Bordeaux oder zu Paris; wir wünschen, daß es zu Paris geschehe; die Oeffentlichkeit der Vorverhandlungen, in denen der Angeklagte eine Nahrung seiner Eitelkeit gefunden hat, würde wenigstens durch die große Oeffentlichkeit und allgemeinste Ueberwachung seiner Verurtheilung eine für das menschliche Gefühl beruhigende Ausgleichung erhalten.

Schweden.

Die Sachen nähern sich zwar einer Entscheidung, diese ist aber doch wohl nicht so ganz nahe. Hans Jansson ist am 6 Mai auf drei Wochen abgereist, was vermuthen läßt, daß er bis dahin keine besonders wichtigen Vorfälle vermuthet. Indeß hat er noch kurz vor seinem Abgang nicht bloß bei der Verhandlung über die Civilliste des Königs sich vernehmen lassen, sondern auch noch einige Tage vorher über die gewöhnlichen Staatsausgaben überhaupt, und zwar auf eine Weise, wie man sonst nur in Norwegen sich äußert; seine Rede war im Grunde nur eine Erneuerung seines frühern Vorschlags, nur die Hälfte der Steuern zu bewilligen,

und hat also nicht einmal die Entschuldigung der Unwissenheit, wenn er hinter dieser in altgermanischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit alle Gebiete menschlichen Wissens und Forschens umspannenden und immer neu gestaltenden Thatkraft und in ihrer Erscheinung nichts als einen unreifen Kitzel studentischer oder überreizter Eitelkeit, die sich gedruckt, genannt oder gelobt sehen will, und ein Bestreben sieht, die Fluth vorjähriger Schriften durch die Fluth dießjähriger zu verschwemmen. Wird in Deutschland viel geschrieben, so geschieht es, weil in Deutschland viel gedacht und viel gelesen wird, und was diesem Fremdling als eine Art von Landplage erscheint, es ist ein durch Geist und Lage der Nation gebotenes Bestreben, ihrem großen und weitverbreiteten litterarischen und wissenschaftlichen Bedürfniß durch eine seinem Umfang entsprechende schriftstellerische Thätigkeit in vollem Maaße zu genügen. Nur wenn dabei Anderes und Wichtigeres versäumt würde, hätte Hr. Marmier Recht uns darum zu tadeln oder als Träumer zu verspotten; aber er kann sich darüber beruhigen. Deutschland erfüllt ebenso seinen politischen und seinen industriellen wie seinen schriftstellerischen Beruf, und die allerdings erfreuliche litterarische Rührigkeit ist nur eine besondere Form der allgemeinen rüstigen Bewegung, die, trotz dem, was uns hemmt und was uns fehlt, alle Bedürfnisse und Interessen der Nation in gleicher Weise umspannt, die Waaren unserer materiellen und intellectuellen Betriebsamkeit in gleicher Fülle auf den großen Weltmarkt von Leipzig liefert und durch die reiche Befriedigung der an die eine wie an die andere gestellten Forderungen von ihrem eigenen Reichthum und ihrer Energie ein Zeugniß gibt, um welches uns besonnene Beobachter aus der Fremde beneiden und nur Thoren bemitleiden oder tadeln können.

Wird bei diesem allerdings fast unübersehbaren Betriebe in einzelnen Partien zu viel, in andern zu wenig gearbeitet, gehen hier litterarische Kaufhäuser durch Ueberzahl der Concurrenz oder schlechte Speculation zu Grunde, tritt auf andern Seiten Charlatanismus und Täuschung ein, so ist das die Bedingung eines jeden großen Betriebs, der mit dem höhern und ehrenhaften Bestreben auch die Habsucht, die Leidenschaft und den Trug in Bewegung setzt; es ist das allgemeine Loos des Welthandels, der hier zu viel, dort zu wenig thut, heute den Markt überführt, morgen es fehlen läßt, aber darum doch im Ganzen und Großen seinen Zwecken gewachsen, das Verfehlte oder Fehlende bald ausgleicht und am Ende seine Bestimmung würdig erfüllt. Es hier anders wollen, das was erzeugt werden soll, nach Elle und Pfund bestimmen, sich wundern, daß in einem großen und reichen Hause neben dem vielfachen Bedarf auch Ueberflüssiges gefunden wird, oder die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, wenn ein Zweig oder Stamm des gewaltigen Waldes inländischer Erzeugnisse von den andern erdrückt wird, wenn Anderes verkommt oder kraftlos bleibt, ist eben ein Beweis, daß man sich so wenig in die hier zu Grunde liegenden Triebkräfte und Mittel des Verkehrs, wie in seine Natur finden kann, vor Allem aber die Bedingungen der freien Concurrenz, des ungehemmten Wetteifers und der nur auf ihre eigene Kraft gewiesenen Thätigkeit in diesem großen, reichen und tiefbewegten Freistaate der deutschen Intelligenz zu fassen und zu würdigen außer Stande ist, und auch wohl außer Stande bleiben wird.

(Beschluß folgt.)

Frankreich.

Eine eigene und entsetzliche Art von Verbrechen erregt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Strafgerichte. Nicht bloß Stiefmütter, sondern wirkliche Mütter sperren ihre Kinder in dunkle Behälter ihrer Wohnung, und mißhandeln sie durch Nahrungsabbruch und Schläge so grausam, daß die armen Geschöpfe, gelingt es der Behörde sie zu entdecken, kaum mehr ein menschliches Aussehen haben, und selten nur einige schwache Hoffnung der Genesung darbieten. Zwei neueste Fälle, der eine zu St. Denis, der andere zu Paris selbst, haben die Entrüstung des Publicums auf das höchste getrieben; sie werden nächstens von den Gerichten abgeurtheilt werden; ein Duzend andere sind schon von früher her in Untersuchung. Hoffentlich werden die Richter dießmal nicht mit derselben Nachsicht verfahren, die sie unlängst in einem ähnlichen Processe gezeigt haben. Das Gesetz erlaubt ihnen Strenge zu üben, und die öffentliche Moral wie das Unglück schutzloser Wesen erheischen sie von ihnen mit wahrem Jammergeschrei. – Ich habe Ihnen bisher nichts von dem furchtbaren dreifachen Morde geschrieben, dessen ein gewisser Elisabide, aus den Pyrenäen gebürtig, angeklagt und überwiesen, ja geständig ist. Ein junger Mann, der seine gewesene Geliebte, die Mutter seiner Kinder, und diese Kinder selbst, zwei an der Zahl, auf das grausamste mit Hammerschlägen und Messerstichen ermordet, damit die Unglücklichen ihm nicht zur Last seyn und ihn in seinen Heirathsplanen nicht stören mögen, der dieses Verbrechen während geraumer Zeit vorbereitet, und nach der Entdeckung sich wie ein Held des Melodrams gebärdet und an den Eindruck denkt, den seine Geschichte in den Journalen und im Publicum machen wird – ist das nicht ein Anblick, vor dem man sich das Haupt verhüllen, an der menschlichen Natur und ihrem göttlichen Ursprunge verzweifeln möchte? Wie einst bei Lacenaire, so hat sich auch bei Elisabide die schmählichste Speculation alsbald einen gewinnbringenden Punkt in der Sache ausersehen. Ein bekannter Maler, Clement Boulanger, hat das Bildniß des Elenden gefertigt, und ein Buchhändler hat ihm erboten die „Memoiren“ herauszugeben, die er zu schreiben geneigt seyn möchte. Die „Memoiren“ Elisabide's bestehen in der einfachen Thatsache seines Verbrechens, das er mit Umgehung einiger wenig bedeutenden Umstände auf das genaueste bekannt hat; was der scheußlichen Neugierde des Publicums geboten werden kann, ist daher ein Roman, den man mit diesen Thatsachen erst fertigen wird, und zu dessen glückbringenden Elementen natürlich ein sentimentales Interesse gehört, das man über dieses Ungeheuer verbreiten wird. Noch ist nicht entschieden, an welchem Orte die Anklage gegen Elisabide abgeurtheilt werden wird, ob zu Bordeaux oder zu Paris; wir wünschen, daß es zu Paris geschehe; die Oeffentlichkeit der Vorverhandlungen, in denen der Angeklagte eine Nahrung seiner Eitelkeit gefunden hat, würde wenigstens durch die große Oeffentlichkeit und allgemeinste Ueberwachung seiner Verurtheilung eine für das menschliche Gefühl beruhigende Ausgleichung erhalten.

Schweden.

Die Sachen nähern sich zwar einer Entscheidung, diese ist aber doch wohl nicht so ganz nahe. Hans Jansson ist am 6 Mai auf drei Wochen abgereist, was vermuthen läßt, daß er bis dahin keine besonders wichtigen Vorfälle vermuthet. Indeß hat er noch kurz vor seinem Abgang nicht bloß bei der Verhandlung über die Civilliste des Königs sich vernehmen lassen, sondern auch noch einige Tage vorher über die gewöhnlichen Staatsausgaben überhaupt, und zwar auf eine Weise, wie man sonst nur in Norwegen sich äußert; seine Rede war im Grunde nur eine Erneuerung seines frühern Vorschlags, nur die Hälfte der Steuern zu bewilligen,

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[1196/0012] und hat also nicht einmal die Entschuldigung der Unwissenheit, wenn er hinter dieser in altgermanischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit alle Gebiete menschlichen Wissens und Forschens umspannenden und immer neu gestaltenden Thatkraft und in ihrer Erscheinung nichts als einen unreifen Kitzel studentischer oder überreizter Eitelkeit, die sich gedruckt, genannt oder gelobt sehen will, und ein Bestreben sieht, die Fluth vorjähriger Schriften durch die Fluth dießjähriger zu verschwemmen. Wird in Deutschland viel geschrieben, so geschieht es, weil in Deutschland viel gedacht und viel gelesen wird, und was diesem Fremdling als eine Art von Landplage erscheint, es ist ein durch Geist und Lage der Nation gebotenes Bestreben, ihrem großen und weitverbreiteten litterarischen und wissenschaftlichen Bedürfniß durch eine seinem Umfang entsprechende schriftstellerische Thätigkeit in vollem Maaße zu genügen. Nur wenn dabei Anderes und Wichtigeres versäumt würde, hätte Hr. Marmier Recht uns darum zu tadeln oder als Träumer zu verspotten; aber er kann sich darüber beruhigen. Deutschland erfüllt ebenso seinen politischen und seinen industriellen wie seinen schriftstellerischen Beruf, und die allerdings erfreuliche litterarische Rührigkeit ist nur eine besondere Form der allgemeinen rüstigen Bewegung, die, trotz dem, was uns hemmt und was uns fehlt, alle Bedürfnisse und Interessen der Nation in gleicher Weise umspannt, die Waaren unserer materiellen und intellectuellen Betriebsamkeit in gleicher Fülle auf den großen Weltmarkt von Leipzig liefert und durch die reiche Befriedigung der an die eine wie an die andere gestellten Forderungen von ihrem eigenen Reichthum und ihrer Energie ein Zeugniß gibt, um welches uns besonnene Beobachter aus der Fremde beneiden und nur Thoren bemitleiden oder tadeln können. Wird bei diesem allerdings fast unübersehbaren Betriebe in einzelnen Partien zu viel, in andern zu wenig gearbeitet, gehen hier litterarische Kaufhäuser durch Ueberzahl der Concurrenz oder schlechte Speculation zu Grunde, tritt auf andern Seiten Charlatanismus und Täuschung ein, so ist das die Bedingung eines jeden großen Betriebs, der mit dem höhern und ehrenhaften Bestreben auch die Habsucht, die Leidenschaft und den Trug in Bewegung setzt; es ist das allgemeine Loos des Welthandels, der hier zu viel, dort zu wenig thut, heute den Markt überführt, morgen es fehlen läßt, aber darum doch im Ganzen und Großen seinen Zwecken gewachsen, das Verfehlte oder Fehlende bald ausgleicht und am Ende seine Bestimmung würdig erfüllt. Es hier anders wollen, das was erzeugt werden soll, nach Elle und Pfund bestimmen, sich wundern, daß in einem großen und reichen Hause neben dem vielfachen Bedarf auch Ueberflüssiges gefunden wird, oder die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, wenn ein Zweig oder Stamm des gewaltigen Waldes inländischer Erzeugnisse von den andern erdrückt wird, wenn Anderes verkommt oder kraftlos bleibt, ist eben ein Beweis, daß man sich so wenig in die hier zu Grunde liegenden Triebkräfte und Mittel des Verkehrs, wie in seine Natur finden kann, vor Allem aber die Bedingungen der freien Concurrenz, des ungehemmten Wetteifers und der nur auf ihre eigene Kraft gewiesenen Thätigkeit in diesem großen, reichen und tiefbewegten Freistaate der deutschen Intelligenz zu fassen und zu würdigen außer Stande ist, und auch wohl außer Stande bleiben wird. (Beschluß folgt.) Frankreich. _ Paris, 22 Mai. Eine eigene und entsetzliche Art von Verbrechen erregt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Strafgerichte. Nicht bloß Stiefmütter, sondern wirkliche Mütter sperren ihre Kinder in dunkle Behälter ihrer Wohnung, und mißhandeln sie durch Nahrungsabbruch und Schläge so grausam, daß die armen Geschöpfe, gelingt es der Behörde sie zu entdecken, kaum mehr ein menschliches Aussehen haben, und selten nur einige schwache Hoffnung der Genesung darbieten. Zwei neueste Fälle, der eine zu St. Denis, der andere zu Paris selbst, haben die Entrüstung des Publicums auf das höchste getrieben; sie werden nächstens von den Gerichten abgeurtheilt werden; ein Duzend andere sind schon von früher her in Untersuchung. Hoffentlich werden die Richter dießmal nicht mit derselben Nachsicht verfahren, die sie unlängst in einem ähnlichen Processe gezeigt haben. Das Gesetz erlaubt ihnen Strenge zu üben, und die öffentliche Moral wie das Unglück schutzloser Wesen erheischen sie von ihnen mit wahrem Jammergeschrei. – Ich habe Ihnen bisher nichts von dem furchtbaren dreifachen Morde geschrieben, dessen ein gewisser Elisabide, aus den Pyrenäen gebürtig, angeklagt und überwiesen, ja geständig ist. Ein junger Mann, der seine gewesene Geliebte, die Mutter seiner Kinder, und diese Kinder selbst, zwei an der Zahl, auf das grausamste mit Hammerschlägen und Messerstichen ermordet, damit die Unglücklichen ihm nicht zur Last seyn und ihn in seinen Heirathsplanen nicht stören mögen, der dieses Verbrechen während geraumer Zeit vorbereitet, und nach der Entdeckung sich wie ein Held des Melodrams gebärdet und an den Eindruck denkt, den seine Geschichte in den Journalen und im Publicum machen wird – ist das nicht ein Anblick, vor dem man sich das Haupt verhüllen, an der menschlichen Natur und ihrem göttlichen Ursprunge verzweifeln möchte? Wie einst bei Lacenaire, so hat sich auch bei Elisabide die schmählichste Speculation alsbald einen gewinnbringenden Punkt in der Sache ausersehen. Ein bekannter Maler, Clement Boulanger, hat das Bildniß des Elenden gefertigt, und ein Buchhändler hat ihm erboten die „Memoiren“ herauszugeben, die er zu schreiben geneigt seyn möchte. Die „Memoiren“ Elisabide's bestehen in der einfachen Thatsache seines Verbrechens, das er mit Umgehung einiger wenig bedeutenden Umstände auf das genaueste bekannt hat; was der scheußlichen Neugierde des Publicums geboten werden kann, ist daher ein Roman, den man mit diesen Thatsachen erst fertigen wird, und zu dessen glückbringenden Elementen natürlich ein sentimentales Interesse gehört, das man über dieses Ungeheuer verbreiten wird. Noch ist nicht entschieden, an welchem Orte die Anklage gegen Elisabide abgeurtheilt werden wird, ob zu Bordeaux oder zu Paris; wir wünschen, daß es zu Paris geschehe; die Oeffentlichkeit der Vorverhandlungen, in denen der Angeklagte eine Nahrung seiner Eitelkeit gefunden hat, würde wenigstens durch die große Oeffentlichkeit und allgemeinste Ueberwachung seiner Verurtheilung eine für das menschliche Gefühl beruhigende Ausgleichung erhalten. Schweden. _ Stockholm, 12 Mai. Die Sachen nähern sich zwar einer Entscheidung, diese ist aber doch wohl nicht so ganz nahe. Hans Jansson ist am 6 Mai auf drei Wochen abgereist, was vermuthen läßt, daß er bis dahin keine besonders wichtigen Vorfälle vermuthet. Indeß hat er noch kurz vor seinem Abgang nicht bloß bei der Verhandlung über die Civilliste des Königs sich vernehmen lassen, sondern auch noch einige Tage vorher über die gewöhnlichen Staatsausgaben überhaupt, und zwar auf eine Weise, wie man sonst nur in Norwegen sich äußert; seine Rede war im Grunde nur eine Erneuerung seines frühern Vorschlags, nur die Hälfte der Steuern zu bewilligen,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 150. Augsburg, 29. Mai 1840, S. 1196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_150_18400529/12>, abgerufen am 27.04.2024.