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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Thätigkeit, an Ort und Haus scheint kaum den Schluß auf eine
durch bestimmten Ton und Geist zusammengehaltene innige Ver-
bindung zuzulassen. Und doch ist schon das Ganze durch den
Geist des Gaunerthums in die weiteste allgemeine Verbindung
und zu einer socialpolitischen Bedeutsamkeit gebracht, so ver-
schiedenartig auch in einzelnen Ländern und Orten je nach der
vortretenden Färbung des Fremdenzugs im Aeußern die fremde
Eigenthümlichkeit copirt werden mag, was außer Kleidung und
Manieren besonders in der schlecht copirten Sprache der Frem-
den hervortritt. Die Nothwendigkeit der Verständigung mit fremd-
ländischen Reisenden hat auch die Kellner auf das linguistische
Gebiet geführt und Anlaß zur Erlernung fremder Sprachen ge-
geben, welche aus dem Munde eines aller bessern Schul- und
geistigen Bildung baren, meistens aus den Wohnungen und Schu-
len der städtischen oder ländlichen Armuth in das Gasthofsleben
der Stadt gezogenen und höchstens nach der "Kunst, in vierund-
zwanzig Stunden ein kleiner Däne, Schwede, Russe, Franzose,
Engländer u. s. w. zu werden" sprachmäßig (oft sogar autodidak-
tisch) unterrichteten Menschen, bei aller Beschränkung auf die
kümmerlichste conversationelle Phraseologie, wie eine ungeheure
Jronie klingen und die Kellnersprache zu einem modernen idio-
ten Rotwelsch
gemacht haben, in welchem jeder Tiefling origi-
nell ist. Während man in den Gasthöfen der Ostseehandelsplätze
ein vermöge der Sprachverwandtschaft mit den kühnsten nieder-
deutschen Wörtern und Redensarten durchsponnenes fürchterliches
Schwedisch und Dänisch, auch sogar Russisch hört, bildet gegen
das mit dieser Art Rotwelsch schwer heimgesuchte Lübeck das be-
nachbarte Hamburg die scharfe Grenze, wo der anglodeutsche
Kellnersprachgürtel beginnt und von da ab die Küsten der
Nordsee entlang, den Rhein hinauf in die Schweiz und von da
wieder nach Wien, Dresden u. s. w. hin sich verliert. Ein
ebenso wunderlicher frankodeutscher Kellnersprachgürtel zieht sich
von den Hauptpassagen über den Rhein besonders mitten durch
Deutschland nach Böhmen hinein.

Wenn nun diese tolle und rohe Sprachmengerei lediglich aus

Thätigkeit, an Ort und Haus ſcheint kaum den Schluß auf eine
durch beſtimmten Ton und Geiſt zuſammengehaltene innige Ver-
bindung zuzulaſſen. Und doch iſt ſchon das Ganze durch den
Geiſt des Gaunerthums in die weiteſte allgemeine Verbindung
und zu einer ſocialpolitiſchen Bedeutſamkeit gebracht, ſo ver-
ſchiedenartig auch in einzelnen Ländern und Orten je nach der
vortretenden Färbung des Fremdenzugs im Aeußern die fremde
Eigenthümlichkeit copirt werden mag, was außer Kleidung und
Manieren beſonders in der ſchlecht copirten Sprache der Frem-
den hervortritt. Die Nothwendigkeit der Verſtändigung mit fremd-
ländiſchen Reiſenden hat auch die Kellner auf das linguiſtiſche
Gebiet geführt und Anlaß zur Erlernung fremder Sprachen ge-
geben, welche aus dem Munde eines aller beſſern Schul- und
geiſtigen Bildung baren, meiſtens aus den Wohnungen und Schu-
len der ſtädtiſchen oder ländlichen Armuth in das Gaſthofsleben
der Stadt gezogenen und höchſtens nach der „Kunſt, in vierund-
zwanzig Stunden ein kleiner Däne, Schwede, Ruſſe, Franzoſe,
Engländer u. ſ. w. zu werden“ ſprachmäßig (oft ſogar autodidak-
tiſch) unterrichteten Menſchen, bei aller Beſchränkung auf die
kümmerlichſte converſationelle Phraſeologie, wie eine ungeheure
Jronie klingen und die Kellnerſprache zu einem modernen idio-
ten Rotwelſch
gemacht haben, in welchem jeder Tiefling origi-
nell iſt. Während man in den Gaſthöfen der Oſtſeehandelsplätze
ein vermöge der Sprachverwandtſchaft mit den kühnſten nieder-
deutſchen Wörtern und Redensarten durchſponnenes fürchterliches
Schwediſch und Däniſch, auch ſogar Ruſſiſch hört, bildet gegen
das mit dieſer Art Rotwelſch ſchwer heimgeſuchte Lübeck das be-
nachbarte Hamburg die ſcharfe Grenze, wo der anglodeutſche
Kellnerſprachgürtel beginnt und von da ab die Küſten der
Nordſee entlang, den Rhein hinauf in die Schweiz und von da
wieder nach Wien, Dresden u. ſ. w. hin ſich verliert. Ein
ebenſo wunderlicher frankodeutſcher Kellnerſprachgürtel zieht ſich
von den Hauptpaſſagen über den Rhein beſonders mitten durch
Deutſchland nach Böhmen hinein.

Wenn nun dieſe tolle und rohe Sprachmengerei lediglich aus

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[133/0167] Thätigkeit, an Ort und Haus ſcheint kaum den Schluß auf eine durch beſtimmten Ton und Geiſt zuſammengehaltene innige Ver- bindung zuzulaſſen. Und doch iſt ſchon das Ganze durch den Geiſt des Gaunerthums in die weiteſte allgemeine Verbindung und zu einer ſocialpolitiſchen Bedeutſamkeit gebracht, ſo ver- ſchiedenartig auch in einzelnen Ländern und Orten je nach der vortretenden Färbung des Fremdenzugs im Aeußern die fremde Eigenthümlichkeit copirt werden mag, was außer Kleidung und Manieren beſonders in der ſchlecht copirten Sprache der Frem- den hervortritt. Die Nothwendigkeit der Verſtändigung mit fremd- ländiſchen Reiſenden hat auch die Kellner auf das linguiſtiſche Gebiet geführt und Anlaß zur Erlernung fremder Sprachen ge- geben, welche aus dem Munde eines aller beſſern Schul- und geiſtigen Bildung baren, meiſtens aus den Wohnungen und Schu- len der ſtädtiſchen oder ländlichen Armuth in das Gaſthofsleben der Stadt gezogenen und höchſtens nach der „Kunſt, in vierund- zwanzig Stunden ein kleiner Däne, Schwede, Ruſſe, Franzoſe, Engländer u. ſ. w. zu werden“ ſprachmäßig (oft ſogar autodidak- tiſch) unterrichteten Menſchen, bei aller Beſchränkung auf die kümmerlichſte converſationelle Phraſeologie, wie eine ungeheure Jronie klingen und die Kellnerſprache zu einem modernen idio- ten Rotwelſch gemacht haben, in welchem jeder Tiefling origi- nell iſt. Während man in den Gaſthöfen der Oſtſeehandelsplätze ein vermöge der Sprachverwandtſchaft mit den kühnſten nieder- deutſchen Wörtern und Redensarten durchſponnenes fürchterliches Schwediſch und Däniſch, auch ſogar Ruſſiſch hört, bildet gegen das mit dieſer Art Rotwelſch ſchwer heimgeſuchte Lübeck das be- nachbarte Hamburg die ſcharfe Grenze, wo der anglodeutſche Kellnerſprachgürtel beginnt und von da ab die Küſten der Nordſee entlang, den Rhein hinauf in die Schweiz und von da wieder nach Wien, Dresden u. ſ. w. hin ſich verliert. Ein ebenſo wunderlicher frankodeutſcher Kellnerſprachgürtel zieht ſich von den Hauptpaſſagen über den Rhein beſonders mitten durch Deutſchland nach Böhmen hinein. Wenn nun dieſe tolle und rohe Sprachmengerei lediglich aus

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/167>, abgerufen am 28.04.2024.