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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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schlauer Auswahl zusammengetragen und zu welcher sie noch eine
nicht unbeträchtliche Anzahl fremdsprachlicher Wörter hinzugefügt
hat, und trotz der absolutesten Willkür, mit welcher sie überdies
alle diese Wörter dialektisch verbildet und entstellt, genügt diese
bunte Mischung doch noch nicht dem Geist und Zweck des Gau-
nerthums. Mit unerhörter Gewalt und Frivolität haust dieser
Geist in der Masse umher, zersetzt sie und componirt sie wieder
in so toller Weise, daß hier die Kritik fast alle Macht verliert und
in der That Muth und Ausdauer genug dazu gehört, um den
verwegenen und halsbrechenden Sprüngen auf die schwindelnden
Höhen und Klippen zu folgen, wo recht eigentlich alles aufhört
und selbst die schulgerechteste Philologie vom gefährlichsten Wirbel-
wind gefaßt und ernstlich bedroht wird. Doch gilt es immerhin
den Versuch, um mindestens hier und da Fuß zu fassen und zu-
nächst die verschiedenen Compositionen zu betrachten, welche noch
einige Stetigkeit haben.

Zunächst findet sich schon im Liber Vagatorum das Wort
Fetzer in mannichfachen Compositionen, z. B.: Boßhartfetzer
(bosor, Fleisch), Schlächter, Fleischer; Briefelfetzer, Schreiber;
Claffotfetzer (keleph, Rinde, Hülle), Schneider; Fladerfetzer
(Flader,
Pflaster), Bader; Gliedenfetzer (Gliede, Hure, vgl.
die Ableitung Th. II, S. 330 und Th. III, S. 402), Hurenwirth;
Klingenfetzer, Musikant; Schecherfetzer (schochar, trinken),
Wirth. Der Ausdruck Fetzer ist, wie schon Th. II, S. 119 erwähnt,
in der heutigen Gaunersprache viel beschränkter und mit wenig Aus-
nahmen (z. B. Rollfetzer, Müller, wofür auch schon Roller und
Rollschütz gebräuchlicher) auf den Begriff des Lostrennens, Los-
schneidens einer Sache zu ihrer Bewältigung, Habhaftwerdung oder
Vernichtung eingeschränkt, also schneiden, stechen, abschneiden, zer-
schneiden, abthun, ermorden. Jnsofern würde fetzen auf das alte
fezzan, vezzan, Fetzen, engl. fitter, ital. fetta, fettucia, schweiz.
fätzen, fotzen, fotzeln, zerlumpt gekleidet sein, zurückgeführt werden
können. Doch ist nach der logischen Bedeutung der alten ange-
führten Compositionen die von Pott aufgestellte Ableitung vom
lat. facere kaum noch zweifelhaft, wie ja auch die portugiesische

ſchlauer Auswahl zuſammengetragen und zu welcher ſie noch eine
nicht unbeträchtliche Anzahl fremdſprachlicher Wörter hinzugefügt
hat, und trotz der abſoluteſten Willkür, mit welcher ſie überdies
alle dieſe Wörter dialektiſch verbildet und entſtellt, genügt dieſe
bunte Miſchung doch noch nicht dem Geiſt und Zweck des Gau-
nerthums. Mit unerhörter Gewalt und Frivolität hauſt dieſer
Geiſt in der Maſſe umher, zerſetzt ſie und componirt ſie wieder
in ſo toller Weiſe, daß hier die Kritik faſt alle Macht verliert und
in der That Muth und Ausdauer genug dazu gehört, um den
verwegenen und halsbrechenden Sprüngen auf die ſchwindelnden
Höhen und Klippen zu folgen, wo recht eigentlich alles aufhört
und ſelbſt die ſchulgerechteſte Philologie vom gefährlichſten Wirbel-
wind gefaßt und ernſtlich bedroht wird. Doch gilt es immerhin
den Verſuch, um mindeſtens hier und da Fuß zu faſſen und zu-
nächſt die verſchiedenen Compoſitionen zu betrachten, welche noch
einige Stetigkeit haben.

Zunächſt findet ſich ſchon im Liber Vagatorum das Wort
Fetzer in mannichfachen Compoſitionen, z. B.: Boßhartfetzer
(bosor, Fleiſch), Schlächter, Fleiſcher; Briefelfetzer, Schreiber;
Claffotfetzer (keleph, Rinde, Hülle), Schneider; Fladerfetzer
(Flader,
Pflaſter), Bader; Gliedenfetzer (Gliede, Hure, vgl.
die Ableitung Th. II, S. 330 und Th. III, S. 402), Hurenwirth;
Klingenfetzer, Muſikant; Schecherfetzer (schochar, trinken),
Wirth. Der Ausdruck Fetzer iſt, wie ſchon Th. II, S. 119 erwähnt,
in der heutigen Gaunerſprache viel beſchränkter und mit wenig Aus-
nahmen (z. B. Rollfetzer, Müller, wofür auch ſchon Roller und
Rollſchütz gebräuchlicher) auf den Begriff des Lostrennens, Los-
ſchneidens einer Sache zu ihrer Bewältigung, Habhaftwerdung oder
Vernichtung eingeſchränkt, alſo ſchneiden, ſtechen, abſchneiden, zer-
ſchneiden, abthun, ermorden. Jnſofern würde fetzen auf das alte
fezzan, vezzan, Fetzen, engl. fitter, ital. fetta, fettucia, ſchweiz.
fätzen, fotzen, fotzeln, zerlumpt gekleidet ſein, zurückgeführt werden
können. Doch iſt nach der logiſchen Bedeutung der alten ange-
führten Compoſitionen die von Pott aufgeſtellte Ableitung vom
lat. facere kaum noch zweifelhaft, wie ja auch die portugieſiſche

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[286/0298] ſchlauer Auswahl zuſammengetragen und zu welcher ſie noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl fremdſprachlicher Wörter hinzugefügt hat, und trotz der abſoluteſten Willkür, mit welcher ſie überdies alle dieſe Wörter dialektiſch verbildet und entſtellt, genügt dieſe bunte Miſchung doch noch nicht dem Geiſt und Zweck des Gau- nerthums. Mit unerhörter Gewalt und Frivolität hauſt dieſer Geiſt in der Maſſe umher, zerſetzt ſie und componirt ſie wieder in ſo toller Weiſe, daß hier die Kritik faſt alle Macht verliert und in der That Muth und Ausdauer genug dazu gehört, um den verwegenen und halsbrechenden Sprüngen auf die ſchwindelnden Höhen und Klippen zu folgen, wo recht eigentlich alles aufhört und ſelbſt die ſchulgerechteſte Philologie vom gefährlichſten Wirbel- wind gefaßt und ernſtlich bedroht wird. Doch gilt es immerhin den Verſuch, um mindeſtens hier und da Fuß zu faſſen und zu- nächſt die verſchiedenen Compoſitionen zu betrachten, welche noch einige Stetigkeit haben. Zunächſt findet ſich ſchon im Liber Vagatorum das Wort Fetzer in mannichfachen Compoſitionen, z. B.: Boßhartfetzer (bosor, Fleiſch), Schlächter, Fleiſcher; Briefelfetzer, Schreiber; Claffotfetzer (keleph, Rinde, Hülle), Schneider; Fladerfetzer (Flader, Pflaſter), Bader; Gliedenfetzer (Gliede, Hure, vgl. die Ableitung Th. II, S. 330 und Th. III, S. 402), Hurenwirth; Klingenfetzer, Muſikant; Schecherfetzer (schochar, trinken), Wirth. Der Ausdruck Fetzer iſt, wie ſchon Th. II, S. 119 erwähnt, in der heutigen Gaunerſprache viel beſchränkter und mit wenig Aus- nahmen (z. B. Rollfetzer, Müller, wofür auch ſchon Roller und Rollſchütz gebräuchlicher) auf den Begriff des Lostrennens, Los- ſchneidens einer Sache zu ihrer Bewältigung, Habhaftwerdung oder Vernichtung eingeſchränkt, alſo ſchneiden, ſtechen, abſchneiden, zer- ſchneiden, abthun, ermorden. Jnſofern würde fetzen auf das alte fezzan, vezzan, Fetzen, engl. fitter, ital. fetta, fettucia, ſchweiz. fätzen, fotzen, fotzeln, zerlumpt gekleidet ſein, zurückgeführt werden können. Doch iſt nach der logiſchen Bedeutung der alten ange- führten Compoſitionen die von Pott aufgeſtellte Ableitung vom lat. facere kaum noch zweifelhaft, wie ja auch die portugieſiſche

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/298>, abgerufen am 29.04.2024.