Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.pba_465.001 Antigone: pba_465.002 pba_465.009So war denn Wonne selbst im Leide; pba_465.003 Freundlich erschien mir ja selbst Unfreundliches, pba_465.004 So lang ich ihn nur hielt in meinen Armen. pba_465.005 Vater, ins ewige pba_465.006 Dunkel der Erde gehüllt, o Geliebtester! pba_465.007 Ewig ja bleiben wir, ich und die Schwester, dir pba_465.008 Mit unsrer Liebe nahe! Chor: pba_465.010 pba_465.011Jhm wurde -- Antigone: pba_465.012 pba_465.013Jhm wurde, was sein Herz ersehnt. Chor: pba_465.014 pba_465.015Was ward ihm? Antigone: pba_465.016 Wie er sich's gewünscht, im fremden Land pba_465.017 Schied er, hat ewig sein pba_465.018 Wohlbeschattet Lager drunten, pba_465.019 Ließ zurück des Kummers Thränen. pba_465.020 pba_465.023 pba_465.001 Antigone: pba_465.002 pba_465.009So war denn Wonne selbst im Leide; pba_465.003 Freundlich erschien mir ja selbst Unfreundliches, pba_465.004 So lang ich ihn nur hielt in meinen Armen. pba_465.005 Vater, ins ewige pba_465.006 Dunkel der Erde gehüllt, o Geliebtester! pba_465.007 Ewig ja bleiben wir, ich und die Schwester, dir pba_465.008 Mit unsrer Liebe nahe! Chor: pba_465.010 pba_465.011Jhm wurde — Antigone: pba_465.012 pba_465.013Jhm wurde, was sein Herz ersehnt. Chor: pba_465.014 pba_465.015Was ward ihm? 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Nicht <lb n="pba_465.026"/> daß die erste der beiden Tragödien, um recht zu wirken, jener zweiten <lb n="pba_465.027"/> bedürfte — das wäre ein schlimmes Urteil über ihren Kunstwert; jede <lb n="pba_465.028"/> ist in sich vollendet, und ihrer unvergleichlichen Wirkung wird sich niemand <lb n="pba_465.029"/> entziehen können, jede enthält auch, so zu sagen, die sämtlichen, <lb n="pba_465.030"/> von der Theorie für diese Wirkung geforderten Jngredienzien. Aber <lb n="pba_465.031"/> während der „<hi rendition="#g">verwickelte</hi>“ Aufbau der ersten in typischer Weise die <lb n="pba_465.032"/> tragische „<hi rendition="#g">Peripetie</hi>“ und „<hi rendition="#g">Erkennung</hi>“ vor Augen führt, und es <lb n="pba_465.033"/> der gewaltigen Kunst eines Sophokles bedurfte, um aus dem Jammer <lb n="pba_465.034"/> und dem Grausen dieser Handlung den überwältigten Zuschauer zur <lb n="pba_465.035"/> Katharsis zu leiten: so stellt die zweite den „<hi rendition="#g">einfachen</hi>“ Verlauf einer <lb n="pba_465.036"/> Handlung dar, die im Grunde nur das „<hi rendition="#g">kathartisch</hi>“ wirkende Ende <lb n="pba_465.037"/> eines jammererfüllten Lebens enthält, und es mußte der ganze Reichtum <lb n="pba_465.038"/> sophokleischer Kunstbeherrschung zur Anwendung kommen, um <lb n="pba_465.039"/> diesen einfachen Handlungsabschluß mit der starken Bewegung der tragischen <lb n="pba_465.040"/> Affekte zu erfüllen. Die beiden Tragödien sind als geradezu <lb n="pba_465.041"/> symbolische Zeugnisse für das Wesen aller Grundbestandteile der tragischen <lb n="pba_465.042"/> Komposition zu betrachten.</p> </div> </body> </text> </TEI> [465/0483]
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Chor: pba_465.010
Jhm wurde —
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Jhm wurde, was sein Herz ersehnt.
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Antigone: pba_465.016
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Wohlbeschattet Lager drunten, pba_465.019
Ließ zurück des Kummers Thränen.
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Versöhnt mit den Rachegöttinnen ist er vom Lichte geschieden, und pba_465.021
dieser Sühne entspricht ein immerdauernder Segen für das Land, das pba_465.022
den heimatlos Jrrenden schützend aufnahm.
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Dieser mit geheimnisvollem Schauer tief ergreifende Schluß des pba_465.024
Ödipus Koloneus zeigt mit voller Klarheit die Wege zum in sich befriedigten pba_465.025
Verständnis auch der Rätsel des „König Ödipus“. Nicht pba_465.026
daß die erste der beiden Tragödien, um recht zu wirken, jener zweiten pba_465.027
bedürfte — das wäre ein schlimmes Urteil über ihren Kunstwert; jede pba_465.028
ist in sich vollendet, und ihrer unvergleichlichen Wirkung wird sich niemand pba_465.029
entziehen können, jede enthält auch, so zu sagen, die sämtlichen, pba_465.030
von der Theorie für diese Wirkung geforderten Jngredienzien. Aber pba_465.031
während der „verwickelte“ Aufbau der ersten in typischer Weise die pba_465.032
tragische „Peripetie“ und „Erkennung“ vor Augen führt, und es pba_465.033
der gewaltigen Kunst eines Sophokles bedurfte, um aus dem Jammer pba_465.034
und dem Grausen dieser Handlung den überwältigten Zuschauer zur pba_465.035
Katharsis zu leiten: so stellt die zweite den „einfachen“ Verlauf einer pba_465.036
Handlung dar, die im Grunde nur das „kathartisch“ wirkende Ende pba_465.037
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sophokleischer Kunstbeherrschung zur Anwendung kommen, um pba_465.039
diesen einfachen Handlungsabschluß mit der starken Bewegung der tragischen pba_465.040
Affekte zu erfüllen. Die beiden Tragödien sind als geradezu pba_465.041
symbolische Zeugnisse für das Wesen aller Grundbestandteile der tragischen pba_465.042
Komposition zu betrachten.
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