Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
p1b_225.001
§ 69. Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen.

p1b_225.002
1. Jm Anfange des 13. Jahrh. und in der Folgezeit wurden p1b_225.003
Tonzeichen (zur Bezeichnung des Accents) immer seltener; sie fanden p1b_225.004
sich noch hie und da, um die tonliche Bevorzugung des Reims anzuzeigen. p1b_225.005
Der Quantität ließ man insofern noch eine (allmählich p1b_225.006
verschwindende) Rücksicht angedeihen, als man noch die Längen und p1b_225.007
die Diphthonge bezeichnete.

p1b_225.008
2. Mit der Herrschaft des Reims begründete sich zusehends die p1b_225.009
Herrschaft des Accents, besonders im christlichen Gedicht und Gesang p1b_225.010
wie im Volksliede.

p1b_225.011
1. Einige Proben mögen die Abnahme der Tonzeichen wie deren übrig p1b_225.012
gebliebene Verwendung beweisen:

p1b_225.013
a. aus dem Nibelungenepos.

p1b_225.014
Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedein, p1b_225.015
daz in allen landen niht schöners mohte sein, p1b_225.016
Kriemhilt geheizen, diu wart ein scoene weip; p1b_225.017
dar umbe muosen degene vil verliesen den leip. p1b_225.018
Jr pflagen dreie künege edel unde reich p1b_225.019
Gunther unde Gernot, die recken lobeleich u. s. w.

p1b_225.020
b. aus Walthers von der Vogelweide "Von Hochverte".

p1b_225.021
Hochvart, der helle künegein, p1b_225.022
diu wil bei allen liuten sein. p1b_225.023
swie biderbe oder böse er sei, p1b_225.024
sie lat eht niemens herze vrei. p1b_225.025
Hochvart, geitcheit (Geiz) unde neit (Neid) p1b_225.026
diu habent noch vaste (fest) ir ersten streit: p1b_225.027
daz schein et an Adame; p1b_225.028
sus (so) verdarp sin reiner same. p1b_225.029
Hochvart steiget manegen tac u. s. w.

p1b_225.030
c. aus Strickaeres "Kater freier".

p1b_225.031
Er sprach: der tohter muoz ich han; p1b_225.032
sie ist hoh und wol getan p1b_225.033
und hat so wünnecleichen schein, p1b_225.034
si mac wol vil edele sein. p1b_225.035
nu sage mir von der sunnen me:
p1b_225.001
§ 69. Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen.

p1b_225.002
1. Jm Anfange des 13. Jahrh. und in der Folgezeit wurden p1b_225.003
Tonzeichen (zur Bezeichnung des Accents) immer seltener; sie fanden p1b_225.004
sich noch hie und da, um die tonliche Bevorzugung des Reims anzuzeigen. p1b_225.005
Der Quantität ließ man insofern noch eine (allmählich p1b_225.006
verschwindende) Rücksicht angedeihen, als man noch die Längen und p1b_225.007
die Diphthonge bezeichnete.

p1b_225.008
2. Mit der Herrschaft des Reims begründete sich zusehends die p1b_225.009
Herrschaft des Accents, besonders im christlichen Gedicht und Gesang p1b_225.010
wie im Volksliede.

p1b_225.011
1. Einige Proben mögen die Abnahme der Tonzeichen wie deren übrig p1b_225.012
gebliebene Verwendung beweisen:

p1b_225.013
a. aus dem Nibelungenepos.

p1b_225.014
Ez wuohs in Burgonden ein vil édel magedîn, p1b_225.015
daz in allen landen niht schöners mohte sîn, p1b_225.016
Kriemhilt geheizen, diu wart ein scoene wîp; p1b_225.017
dar umbe muosen degene vil verlíesén den lîp. p1b_225.018
Jr pflâgen drîe künege edel unde rîch p1b_225.019
Gunther unde Gêrnôt, die recken lobelîch u. s. w.

p1b_225.020
b. aus Walthers von der VogelweideVon Hôchverte“.

p1b_225.021
Hôchvart, der helle künegîn, p1b_225.022
diu wil bî allen liuten sîn. p1b_225.023
swie biderbe oder böse er sî, p1b_225.024
sie lât eht niemens herze vrî. p1b_225.025
Hôchvart, gîtcheit (Geiz) unde nît (Neid) p1b_225.026
diu habent noch vaste (fest) ir êrsten strît: p1b_225.027
daz schein et an Adâme; p1b_225.028
sus (so) verdarp sin reiner sâme. p1b_225.029
Hôchvart stîget manegen tac u. s. w.

p1b_225.030
c. aus StrickaeresKater freier“.

p1b_225.031
Er sprach: der tohter muoz ich hân; p1b_225.032
sie ist hôh und wol getân p1b_225.033
und hât sô wünneclîchen schîn, p1b_225.034
si mac wol vil edele sîn. p1b_225.035
nu sage mir von der sunnen mê:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0259" n="225"/>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="p1b_225.001"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 69. Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen.</hi> </head>
            <p><lb n="p1b_225.002"/>
1. Jm Anfange des 13. Jahrh. und in der Folgezeit wurden <lb n="p1b_225.003"/>
Tonzeichen (zur Bezeichnung des Accents) immer seltener; sie fanden <lb n="p1b_225.004"/>
sich noch hie und da, um die tonliche Bevorzugung des Reims anzuzeigen. <lb n="p1b_225.005"/>
Der Quantität ließ man insofern noch eine (allmählich <lb n="p1b_225.006"/>
verschwindende) Rücksicht angedeihen, als man noch die Längen und <lb n="p1b_225.007"/>
die Diphthonge bezeichnete.</p>
            <p><lb n="p1b_225.008"/>
2. Mit der Herrschaft des Reims begründete sich zusehends die <lb n="p1b_225.009"/>
Herrschaft des Accents, besonders im christlichen Gedicht und Gesang <lb n="p1b_225.010"/>
wie im Volksliede.</p>
            <p><lb n="p1b_225.011"/>
1. Einige Proben mögen die Abnahme der Tonzeichen wie deren übrig <lb n="p1b_225.012"/>
gebliebene Verwendung beweisen:</p>
            <p><lb n="p1b_225.013"/><hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">aus dem Nibelungenepos.</hi></p>
            <lb n="p1b_225.014"/>
            <lg>
              <l>Ez wuohs in Burgonden ein vil édel magedîn,</l>
              <lb n="p1b_225.015"/>
              <l>daz in allen landen niht schöners mohte sîn,</l>
              <lb n="p1b_225.016"/>
              <l>Kriemhilt geheizen, diu wart ein scoene wîp;</l>
              <lb n="p1b_225.017"/>
              <l>dar umbe muosen degene vil verlíesén den lîp.</l>
              <lb n="p1b_225.018"/>
              <l> Jr pflâgen drîe künege edel unde rîch</l>
              <lb n="p1b_225.019"/>
              <l>Gunther unde Gêrnôt, die recken lobelîch u. s. w.</l>
            </lg>
            <p><lb n="p1b_225.020"/><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">aus Walthers von der Vogelweide</hi> &#x201E;<hi rendition="#g">Von Hôchverte</hi>&#x201C;.</p>
            <lb n="p1b_225.021"/>
            <lg>
              <l>Hôchvart, der helle künegîn,</l>
              <lb n="p1b_225.022"/>
              <l>diu wil bî allen liuten sîn.</l>
              <lb n="p1b_225.023"/>
              <l>swie biderbe oder böse er sî,</l>
              <lb n="p1b_225.024"/>
              <l>sie lât eht niemens herze vrî.</l>
              <lb n="p1b_225.025"/>
              <l>Hôchvart, gîtcheit (Geiz) unde nît (Neid)</l>
              <lb n="p1b_225.026"/>
              <l>diu habent noch vaste (fest) ir êrsten strît:</l>
              <lb n="p1b_225.027"/>
              <l>daz schein et an Adâme;</l>
              <lb n="p1b_225.028"/>
              <l>sus (so) verdarp sin reiner sâme.</l>
              <lb n="p1b_225.029"/>
              <l>Hôchvart stîget manegen tac u. s. w.</l>
            </lg>
            <p><lb n="p1b_225.030"/><hi rendition="#aq">c</hi>. <hi rendition="#g">aus Strickaeres</hi> &#x201E;<hi rendition="#g">Kater freier</hi>&#x201C;.</p>
            <lb n="p1b_225.031"/>
            <lg>
              <l>Er sprach: der tohter muoz ich hân;</l>
              <lb n="p1b_225.032"/>
              <l>sie ist hôh und wol getân</l>
              <lb n="p1b_225.033"/>
              <l>und hât sô wünneclîchen schîn,</l>
              <lb n="p1b_225.034"/>
              <l>si mac wol vil edele sîn.</l>
              <lb n="p1b_225.035"/>
              <l>nu sage mir von der sunnen mê:</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0259] p1b_225.001 § 69. Accent und Quantität im Mittelhochdeutschen. p1b_225.002 1. Jm Anfange des 13. Jahrh. und in der Folgezeit wurden p1b_225.003 Tonzeichen (zur Bezeichnung des Accents) immer seltener; sie fanden p1b_225.004 sich noch hie und da, um die tonliche Bevorzugung des Reims anzuzeigen. p1b_225.005 Der Quantität ließ man insofern noch eine (allmählich p1b_225.006 verschwindende) Rücksicht angedeihen, als man noch die Längen und p1b_225.007 die Diphthonge bezeichnete. p1b_225.008 2. Mit der Herrschaft des Reims begründete sich zusehends die p1b_225.009 Herrschaft des Accents, besonders im christlichen Gedicht und Gesang p1b_225.010 wie im Volksliede. p1b_225.011 1. Einige Proben mögen die Abnahme der Tonzeichen wie deren übrig p1b_225.012 gebliebene Verwendung beweisen: p1b_225.013 a. aus dem Nibelungenepos. p1b_225.014 Ez wuohs in Burgonden ein vil édel magedîn, p1b_225.015 daz in allen landen niht schöners mohte sîn, p1b_225.016 Kriemhilt geheizen, diu wart ein scoene wîp; p1b_225.017 dar umbe muosen degene vil verlíesén den lîp. p1b_225.018 Jr pflâgen drîe künege edel unde rîch p1b_225.019 Gunther unde Gêrnôt, die recken lobelîch u. s. w. p1b_225.020 b. aus Walthers von der Vogelweide „Von Hôchverte“. p1b_225.021 Hôchvart, der helle künegîn, p1b_225.022 diu wil bî allen liuten sîn. p1b_225.023 swie biderbe oder böse er sî, p1b_225.024 sie lât eht niemens herze vrî. p1b_225.025 Hôchvart, gîtcheit (Geiz) unde nît (Neid) p1b_225.026 diu habent noch vaste (fest) ir êrsten strît: p1b_225.027 daz schein et an Adâme; p1b_225.028 sus (so) verdarp sin reiner sâme. p1b_225.029 Hôchvart stîget manegen tac u. s. w. p1b_225.030 c. aus Strickaeres „Kater freier“. p1b_225.031 Er sprach: der tohter muoz ich hân; p1b_225.032 sie ist hôh und wol getân p1b_225.033 und hât sô wünneclîchen schîn, p1b_225.034 si mac wol vil edele sîn. p1b_225.035 nu sage mir von der sunnen mê:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/259
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/259>, abgerufen am 15.05.2024.