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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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seiner neuh. Metr. (S. 11. ff.), "daß sich im Deutschen eine verschiedene p1b_254.002
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vielmehr die schwächer betonte Silbe gleich lang sei, wie die p1b_254.004
stärker betonte,
" weshalb er das Taktmaß ein gleichzeitiges nennt.

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Auch Heinr. Schmidt ist in seinem Leitfaden der Rhythmik und Metrik p1b_254.006
der Ansicht, daß fast alle deutschen Silben als Längen zu betrachten seien, p1b_254.007
und bezeichnet so:

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während doch jeder Mensch mit einigermaßen gebildetem Gehör lesen wird:

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Zur besseren Veranschaulichung versuche der Lernende folgende Wörter p1b_254.012
im gleichmäßigen Dreschertempo zu lesen:

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"na3chtsze4it" mehr Zeit braucht, als zu den eingradigen Silben "li1ge1" und p1b_254.016
"li1che1", und daß man also höchstens so lesen könnte:

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[Musik]

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Will man dem Sprachgefühl und Sprachgebrauch gemäß lesen, die beide p1b_254.019
jeglicher Monotonie feind sind, so wird die Bezeichnung folgendermaßen sich p1b_254.020
gestalten:

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[Musik] p1b_254.022

(Grillparzer.)

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Diese Beispiele mögen für viele den Nachweis liefern, daß der Accent p1b_254.025
die Arsissilbe verlängert, und daß mitteltonige Silben in der Thesis eine p1b_254.026
untergeordnete Verlängerung erfahren, während unbetonte, leichte Silben unbedingt p1b_254.027
kurz sind. (Vgl. § 81. S. 256 d. B.)

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Unser deutsches Quantitätsgesetz wird demnach so zu abstrahieren p1b_254.029
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(vgl. oben): Schwere, d. h. 5= und 4gradige Silben

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/288>, abgerufen am 15.05.2024.