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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Gegenstand einen geistlichen wählte. Beispiele haben wir in § 57 d. Bds. p2b_194.002
genügend aufgezählt. Weitere Proben finden sich in Wackernagels Kirchenliede.

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2. Der Geist der ernsten Parodien ist dem Geiste des Urbilds verwandt, p2b_194.004
wie dies unsere erste Probe von Bretschneider beweist und wie dies viele p2b_194.005
bekannte Parodien zu Schillers "Hektors Abschied" und "Worte des Glaubens" p2b_194.006
darthun. Vgl. auch die Beispiele in § 57 d. Bds.

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Die komische Parodie verkehrt den Geist des Urbilds in's Komische. Sie p2b_194.008
wird durch den Kontrast zu einer Art Travestie. Vgl. jenes allbekannte Kaffeegedicht, p2b_194.009
durch welches Schillers Lied von der Glocke parodiert ist, sowie die p2b_194.010
gelungene Rüpelkomödie in Shakespeares Sommernachtstraum, die mit ihrem p2b_194.011
Pathos den tragischen Ton damaliger Poeten verhöhnt.

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Berechtigt erscheint die Parodie nur dann, wenn sie eine schiefe Richtung p2b_194.013
des Geistes lächerlich macht, also satirisch ist und didaktische Tendenz hat.

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Beispiele der Parodie.

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[Beginn Spaltensatz] Originalgedicht: Mignon von p2b_194.016
Goethe.
p2b_194.017

Kennst du das Land? wo die Citronen blühn, p2b_194.018
Jm dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, p2b_194.019
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, p2b_194.020
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, p2b_194.021
Kennst du es wohl? - - Dahin! Dahin p2b_194.022
Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
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Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, p2b_194.024
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, p2b_194.025
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: p2b_194.026
Was hat man dir, du armes Kind, gethan? p2b_194.027
Kennst du es wohl? - - Dahin! Dahin p2b_194.028
Möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
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Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? p2b_194.030
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg; p2b_194.031
Jn Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; p2b_194.032
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut. p2b_194.033
Kennst du ihn wohl? - - Dahin! Dahin p2b_194.034
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!
[Spaltenumbruch] p2b_194.101
Ernste Parodie von Bretschneider. p2b_194.102
p2b_194.103
Siehst du das Licht, das jenseits unbegrenzt p2b_194.104
Aus tausend Welten auf uns niederglänzt? p2b_194.105
Jn das der Nächte Finsternis nicht dringt, p2b_194.106
Das rein und frei sich durch den Äther schwingt? p2b_194.107
Siehst du das Licht? - - Dahin, dahin p2b_194.108
Laß aus des Lebens banger Nacht uns fliehn!
p2b_194.109
Siehst du das Blau, das jeden Stern umschließt, p2b_194.110
Den Äther, der durch alle Welten fließt, p2b_194.111
Der, nie getrübt, von keinem Sturm bewegt, p2b_194.112
Den Strahl des reinsten Lichtes trinkt und trägt? p2b_194.113
Siehst du das Blau? - - Dahin, dahin p2b_194.114
Laß aus des Lebens Nebelluft uns fliehn!
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Siehst du den Stern, der dort so hell uns glänzt, p2b_194.116
Wo keine Nacht des Lebens Traum begrenzt? p2b_194.117
Wo keines Truges Gaukellicht uns scheint, p2b_194.118
Kein Donner rollt, kein liebend Auge weint? p2b_194.119
Siehst du den Stern? - - Dahin, dahin p2b_194.120
Laß aus des Lebens Thränenthal uns fliehn!
[Ende Spaltensatz]

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(NB. Eine gelungene Parodie auf Goethes Mignon ist noch das Vaterland p2b_194.122
von Cl. Harms: "Kennt ihr das Land, auf Erden liegt es nicht" - u. s. w.)

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[Beginn Spaltensatz] Originalgedicht: Das Mädchen aus p2b_194.124
der Fremde
von Schiller.
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Jn einem Thal bei armen Hirten p2b_194.126
Erschien mit jedem jungen Jahr, p2b_194.127
Sobald die ersten Lerchen schwirrten, p2b_194.128
Ein Mädchen schön und wunderbar.
p2b_194.129
Sie war nicht in dem Thal geboren, p2b_194.130
Man wußte nicht, woher sie kam; p2b_194.131
Doch schnell war ihre Spur verloren, p2b_194.132
Sobald das Mädchen Abschied nahm.
p2b_194.133
Beseligend war ihre Nähe, p2b_194.134
Und alle Herzen wurden weit; p2b_194.135
Doch eine Würde, eine Höhe p2b_194.136
Entfernte die Vertraulichkeit.
p2b_194.137
Sie brachte Blumen mit und Früchte, p2b_194.138
Gereift auf einer andern Flur, p2b_194.139
Jn einem andern Sonnenlichte, p2b_194.140
Jn einer glücklichern Natur;
[Spaltenumbruch] p2b_194.101
Komische Parodie: Die Erscheinung p2b_194.102
im Kaffeesaale
von Röller.
p2b_194.103
Jn einer Stadt bei jungen Frauen p2b_194.104
Erscheint - nach jedem Mittagsmahl, p2b_194.105
So wie der Kaffee sich läßt schauen, p2b_194.106
Ein geistig Wesen in dem Saal.
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Es ist nicht in dem Saal geboren p2b_194.108
Man fragt es nicht, woher es kam; p2b_194.109
Doch schnell ist seine Spur verloren, p2b_194.110
Sobald man wieder Abschied nahm.
p2b_194.111
Vereinigend ist seine Nähe, p2b_194.112
Und alle Lippen thun sich auf, p2b_194.113
Und keine Würde, keine Höhe, p2b_194.114
Hemmt ihres Wörterstromes Lauf.
p2b_194.115
Es bringet Fehler mit und Namen, p2b_194.116
Gemerkt in einem andern Haus, p2b_194.117
Bei eingebildeteren Damen, p2b_194.118
Auf einem andern Kaffeeschmaus;
[Ende Spaltensatz]

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Gegenstand einen geistlichen wählte. Beispiele haben wir in § 57 d. Bds. p2b_194.002
genügend aufgezählt. Weitere Proben finden sich in Wackernagels Kirchenliede.

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2. Der Geist der ernsten Parodien ist dem Geiste des Urbilds verwandt, p2b_194.004
wie dies unsere erste Probe von Bretschneider beweist und wie dies viele p2b_194.005
bekannte Parodien zu Schillers „Hektors Abschied“ und „Worte des Glaubens“ p2b_194.006
darthun. Vgl. auch die Beispiele in § 57 d. Bds.

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Die komische Parodie verkehrt den Geist des Urbilds in's Komische. Sie p2b_194.008
wird durch den Kontrast zu einer Art Travestie. Vgl. jenes allbekannte Kaffeegedicht, p2b_194.009
durch welches Schillers Lied von der Glocke parodiert ist, sowie die p2b_194.010
gelungene Rüpelkomödie in Shakespeares Sommernachtstraum, die mit ihrem p2b_194.011
Pathos den tragischen Ton damaliger Poeten verhöhnt.

p2b_194.012
Berechtigt erscheint die Parodie nur dann, wenn sie eine schiefe Richtung p2b_194.013
des Geistes lächerlich macht, also satirisch ist und didaktische Tendenz hat.

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Beispiele der Parodie.

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[Beginn Spaltensatz] Originalgedicht: Mignon von p2b_194.016
Goethe.
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Kennst du das Land? wo die Citronen blühn, p2b_194.018
Jm dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, p2b_194.019
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, p2b_194.020
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, p2b_194.021
Kennst du es wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.022
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Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, p2b_194.024
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, p2b_194.025
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Was hat man dir, du armes Kind, gethan? p2b_194.027
Kennst du es wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.028
Möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
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Jn Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; p2b_194.032
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut. p2b_194.033
Kennst du ihn wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.034
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(NB. Eine gelungene Parodie auf Goethes Mignon ist noch das Vaterland p2b_194.122
von Cl. Harms: „Kennt ihr das Land, auf Erden liegt es nicht“ ─ u. s. w.)

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[Beginn Spaltensatz] Originalgedicht: Das Mädchen aus p2b_194.124
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Komische Parodie: Die Erscheinung p2b_194.102
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Jn einer Stadt bei jungen Frauen p2b_194.104
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[194/0216] p2b_194.001 Gegenstand einen geistlichen wählte. Beispiele haben wir in § 57 d. Bds. p2b_194.002 genügend aufgezählt. Weitere Proben finden sich in Wackernagels Kirchenliede. p2b_194.003 2. Der Geist der ernsten Parodien ist dem Geiste des Urbilds verwandt, p2b_194.004 wie dies unsere erste Probe von Bretschneider beweist und wie dies viele p2b_194.005 bekannte Parodien zu Schillers „Hektors Abschied“ und „Worte des Glaubens“ p2b_194.006 darthun. Vgl. auch die Beispiele in § 57 d. Bds. p2b_194.007 Die komische Parodie verkehrt den Geist des Urbilds in's Komische. Sie p2b_194.008 wird durch den Kontrast zu einer Art Travestie. Vgl. jenes allbekannte Kaffeegedicht, p2b_194.009 durch welches Schillers Lied von der Glocke parodiert ist, sowie die p2b_194.010 gelungene Rüpelkomödie in Shakespeares Sommernachtstraum, die mit ihrem p2b_194.011 Pathos den tragischen Ton damaliger Poeten verhöhnt. p2b_194.012 Berechtigt erscheint die Parodie nur dann, wenn sie eine schiefe Richtung p2b_194.013 des Geistes lächerlich macht, also satirisch ist und didaktische Tendenz hat. p2b_194.014 Beispiele der Parodie. p2b_194.015 Originalgedicht: Mignon von p2b_194.016 Goethe. p2b_194.017 Kennst du das Land? wo die Citronen blühn, p2b_194.018 Jm dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, p2b_194.019 Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, p2b_194.020 Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, p2b_194.021 Kennst du es wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.022 Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn. p2b_194.023 Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach, p2b_194.024 Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, p2b_194.025 Und Marmorbilder stehn und sehn mich an: p2b_194.026 Was hat man dir, du armes Kind, gethan? p2b_194.027 Kennst du es wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.028 Möcht' ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn. p2b_194.029 Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? p2b_194.030 Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg; p2b_194.031 Jn Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; p2b_194.032 Es stürzt der Fels und über ihn die Flut. p2b_194.033 Kennst du ihn wohl? ─ ─ Dahin! Dahin p2b_194.034 Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn! p2b_194.101 Ernste Parodie von Bretschneider. p2b_194.102 p2b_194.103 Siehst du das Licht, das jenseits unbegrenzt p2b_194.104 Aus tausend Welten auf uns niederglänzt? p2b_194.105 Jn das der Nächte Finsternis nicht dringt, p2b_194.106 Das rein und frei sich durch den Äther schwingt? p2b_194.107 Siehst du das Licht? ─ ─ Dahin, dahin p2b_194.108 Laß aus des Lebens banger Nacht uns fliehn! p2b_194.109 Siehst du das Blau, das jeden Stern umschließt, p2b_194.110 Den Äther, der durch alle Welten fließt, p2b_194.111 Der, nie getrübt, von keinem Sturm bewegt, p2b_194.112 Den Strahl des reinsten Lichtes trinkt und trägt? p2b_194.113 Siehst du das Blau? ─ ─ Dahin, dahin p2b_194.114 Laß aus des Lebens Nebelluft uns fliehn! p2b_194.115 Siehst du den Stern, der dort so hell uns glänzt, p2b_194.116 Wo keine Nacht des Lebens Traum begrenzt? p2b_194.117 Wo keines Truges Gaukellicht uns scheint, p2b_194.118 Kein Donner rollt, kein liebend Auge weint? p2b_194.119 Siehst du den Stern? ─ ─ Dahin, dahin p2b_194.120 Laß aus des Lebens Thränenthal uns fliehn! p2b_194.121 (NB. Eine gelungene Parodie auf Goethes Mignon ist noch das Vaterland p2b_194.122 von Cl. Harms: „Kennt ihr das Land, auf Erden liegt es nicht“ ─ u. s. w.) p2b_194.123 Originalgedicht: Das Mädchen aus p2b_194.124 der Fremde von Schiller. p2b_194.125 Jn einem Thal bei armen Hirten p2b_194.126 Erschien mit jedem jungen Jahr, p2b_194.127 Sobald die ersten Lerchen schwirrten, p2b_194.128 Ein Mädchen schön und wunderbar. p2b_194.129 Sie war nicht in dem Thal geboren, p2b_194.130 Man wußte nicht, woher sie kam; p2b_194.131 Doch schnell war ihre Spur verloren, p2b_194.132 Sobald das Mädchen Abschied nahm. p2b_194.133 Beseligend war ihre Nähe, p2b_194.134 Und alle Herzen wurden weit; p2b_194.135 Doch eine Würde, eine Höhe p2b_194.136 Entfernte die Vertraulichkeit. p2b_194.137 Sie brachte Blumen mit und Früchte, p2b_194.138 Gereift auf einer andern Flur, p2b_194.139 Jn einem andern Sonnenlichte, p2b_194.140 Jn einer glücklichern Natur; p2b_194.101 Komische Parodie: Die Erscheinung p2b_194.102 im Kaffeesaale von Röller. p2b_194.103 Jn einer Stadt bei jungen Frauen p2b_194.104 Erscheint ─ nach jedem Mittagsmahl, p2b_194.105 So wie der Kaffee sich läßt schauen, p2b_194.106 Ein geistig Wesen in dem Saal. p2b_194.107 Es ist nicht in dem Saal geboren p2b_194.108 Man fragt es nicht, woher es kam; p2b_194.109 Doch schnell ist seine Spur verloren, p2b_194.110 Sobald man wieder Abschied nahm. p2b_194.111 Vereinigend ist seine Nähe, p2b_194.112 Und alle Lippen thun sich auf, p2b_194.113 Und keine Würde, keine Höhe, p2b_194.114 Hemmt ihres Wörterstromes Lauf. p2b_194.115 Es bringet Fehler mit und Namen, p2b_194.116 Gemerkt in einem andern Haus, p2b_194.117 Bei eingebildeteren Damen, p2b_194.118 Auf einem andern Kaffeeschmaus;

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/216>, abgerufen am 30.04.2024.