Sie sind ernsthaft, meine Julie? Ein fin- stres Gewölk überzieht ihre sonst so hei- tre Stirne? Ein lange verhaltnes Thrän- chen entwischt ihrem Auge? -- Jch ver- stehe sie; ich verstehe den deutlichsten Ausdruck ihrer gereitzten Empfindlichkeit, ihres innigen Verdrusses. Und sie wollen ihren feindseligen Mitschwestern diese grau- same Freude, diesen so lange, so sehnlich gehofften Triumph gönnen? Ermannen sie sich, meine beste! Nehmen sie die ruhige Mine, nehmen sie das sanfte Lächeln, den Ausdruck des besten Bewusstseyns, das un- terscheidende Merkmal der Unschuld von neuem an, und leuchten sie glänzender aus zertheilten Nebeln hervor!
Freylich, man hat eine der schwersten Beschuldigungen auf sie gebracht, man hat
Der ſiebenzehnte Spatziergang.
Sie ſind ernſthaft, meine Julie? Ein fin- ſtres Gewölk überzieht ihre ſonſt ſo hei- tre Stirne? Ein lange verhaltnes Thrän- chen entwiſcht ihrem Auge? — Jch ver- ſtehe ſie; ich verſtehe den deutlichſten Ausdruck ihrer gereitzten Empfindlichkeit, ihres innigen Verdruſses. Und ſie wollen ihren feindſeligen Mitſchweſtern dieſe grau- ſame Freude, dieſen ſo lange, ſo ſehnlich gehofften Triumph gönnen? Ermannen ſie ſich, meine beſte! Nehmen ſie die ruhige Mine, nehmen ſie das ſanfte Lächeln, den Ausdruck des beſten Bewuſstſeyns, das un- terſcheidende Merkmal der Unſchuld von neuem an, und leuchten ſie glänzender aus zertheilten Nebeln hervor!
Freylich, man hat eine der ſchwerſten Beſchuldigungen auf ſie gebracht, man hat
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0145"n="137"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Der ſiebenzehnte Spatziergang.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>ie ſind ernſthaft, meine Julie? Ein fin-<lb/>ſtres Gewölk überzieht ihre ſonſt ſo hei-<lb/>
tre Stirne? Ein lange verhaltnes Thrän-<lb/>
chen entwiſcht ihrem Auge? — Jch ver-<lb/>ſtehe ſie; ich verſtehe den deutlichſten<lb/>
Ausdruck ihrer gereitzten Empfindlichkeit,<lb/>
ihres innigen Verdruſses. Und ſie wollen<lb/>
ihren feindſeligen Mitſchweſtern dieſe grau-<lb/>ſame Freude, dieſen ſo lange, ſo ſehnlich<lb/>
gehofften Triumph gönnen? Ermannen ſie<lb/>ſich, meine beſte! Nehmen ſie die ruhige<lb/>
Mine, nehmen ſie das ſanfte Lächeln, den<lb/>
Ausdruck des beſten Bewuſstſeyns, das un-<lb/>
terſcheidende Merkmal der Unſchuld von<lb/>
neuem an, und leuchten ſie glänzender aus<lb/>
zertheilten Nebeln hervor!</p><lb/><p>Freylich, man hat eine der ſchwerſten<lb/>
Beſchuldigungen auf ſie gebracht, man hat<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[137/0145]
Der ſiebenzehnte Spatziergang.
Sie ſind ernſthaft, meine Julie? Ein fin-
ſtres Gewölk überzieht ihre ſonſt ſo hei-
tre Stirne? Ein lange verhaltnes Thrän-
chen entwiſcht ihrem Auge? — Jch ver-
ſtehe ſie; ich verſtehe den deutlichſten
Ausdruck ihrer gereitzten Empfindlichkeit,
ihres innigen Verdruſses. Und ſie wollen
ihren feindſeligen Mitſchweſtern dieſe grau-
ſame Freude, dieſen ſo lange, ſo ſehnlich
gehofften Triumph gönnen? Ermannen ſie
ſich, meine beſte! Nehmen ſie die ruhige
Mine, nehmen ſie das ſanfte Lächeln, den
Ausdruck des beſten Bewuſstſeyns, das un-
terſcheidende Merkmal der Unſchuld von
neuem an, und leuchten ſie glänzender aus
zertheilten Nebeln hervor!
Freylich, man hat eine der ſchwerſten
Beſchuldigungen auf ſie gebracht, man hat
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/145>, abgerufen am 09.08.2022.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2022. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.