man kann erwarten, dass er die Begeben- heiten selbst, seinen angenommenen Bewe- gunsgründen gemäss, unvermerkt verän- dern, dass er Situationen erträumen, dass er bon-mots erfinden werde. Den reinsten Charakter wird er mit seinem Gifte be- spritzen: in dem weisen Gesetzgeber wird er den politischen Betrüger, in dem Helden den haabsüchtigen Eroberer, in dem fried- fertigen Fürsten den schwachen, den trägen, den Wollüstling erblicken. Selten wird er sich einen Helden erwählen; oder er müss- te mit seinem Lobe irgend eine vorgesetzte Absicht zu erreichen, irgend einen Vor- theil für sein angenommenes System zu ge- winnen hoffen. Ueberhaupt setzt er den Charakter seiner handelnden Personen im Voraus, und nach einer vollständigen Kenntniss der Sachen feste. Dieser ist sei- ne Form darin das übrige passen muss. Was
man kann erwarten, daſs er die Begeben- heiten ſelbſt, ſeinen angenommenen Bewe- gunsgründen gemäſs, unvermerkt verän- dern, daſs er Situationen erträumen, daſs er bon-môts erfinden werde. Den reinſten Charakter wird er mit ſeinem Gifte be- ſpritzen: in dem weiſen Geſetzgeber wird er den politiſchen Betrüger, in dem Helden den haabſüchtigen Eroberer, in dem fried- fertigen Fürſten den ſchwachen, den trägen, den Wollüſtling erblicken. Selten wird er ſich einen Helden erwählen; oder er müſs- te mit ſeinem Lobe irgend eine vorgeſetzte Abſicht zu erreichen, irgend einen Vor- theil für ſein angenommenes Syſtem zu ge- winnen hoffen. Ueberhaupt ſetzt er den Charakter ſeiner handelnden Perſonen im Voraus, und nach einer vollſtändigen Kenntniſs der Sachen feſte. Dieſer iſt ſei- ne Form darin das übrige paſſen muſs. Was
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man kann erwarten, daſs er die Begeben-
heiten ſelbſt, ſeinen angenommenen Bewe-
gunsgründen gemäſs, unvermerkt verän-
dern, daſs er Situationen erträumen, daſs er
bon-môts erfinden werde. Den reinſten
Charakter wird er mit ſeinem Gifte be-
ſpritzen: in dem weiſen Geſetzgeber wird
er den politiſchen Betrüger, in dem Helden
den haabſüchtigen Eroberer, in dem fried-
fertigen Fürſten den ſchwachen, den trägen,
den Wollüſtling erblicken. Selten wird er
ſich einen Helden erwählen; oder er müſs-
te mit ſeinem Lobe irgend eine vorgeſetzte
Abſicht zu erreichen, irgend einen Vor-
theil für ſein angenommenes Syſtem zu ge-
winnen hoffen. Ueberhaupt ſetzt er den
Charakter ſeiner handelnden Perſonen im
Voraus, und nach einer vollſtändigen
Kenntniſs der Sachen feſte. Dieſer iſt ſei-
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/216>, abgerufen am 07.05.2024.
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