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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

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Der gerettete Knabe.
Jch eilt' am Strand, und sah das Kind recht mitten
in dem Graben liegen,
Wo er mit seinen kleinen Händen noch an dem Schiffgen
hängen blieb.
Wir schrien ihm alle heftig zu: Er würde schleunig Hülfe
kriegen,
Er sollte sich nur feste halten. Jnzwischen nahte sich
das Boot,
Nachdem es lange gnug gewähret, entriß ihn der Gefahr
und Noht,
Worinn, ohn' daß man, da der Grabe so breit und tief
war, helfen kunt,
Jndem es in der Mitte lag, und jeder ferne von ihm
stund.
Das allerängstlichste nun war, daß man ihn sehen liegen
mußte,
Ohn' daß man ihm zu Hülfe kommen, noch Mittel, ihm
zu rahten, wußte.
Nachdem er nun, durch GOttes Gnade, gerettet;
denkt mein Geist dabey,
Wie der Zusammenhang der Dinge Bewunderns wehrt
gewesen sey,
Daß, wenn von so verschiedenen ein einz'ger Umstand
nur gefehlet,
Nun, menschlichem Begriffe nach, des Kindes Cörperchen
entseelet,
Jm Sarge vor mir liegen würde. Zum ersten hat von
ungefehr
Der Jnformator an dem Ort, wo Niemand sonst gewesen
wär,
Noch länger, als er selbst gewollt, sich aufgehalten, und
gelesen.
Vor[s]
Der gerettete Knabe.
Jch eilt’ am Strand, und ſah das Kind recht mitten
in dem Graben liegen,
Wo er mit ſeinen kleinen Haͤnden noch an dem Schiffgen
haͤngen blieb.
Wir ſchrien ihm alle heftig zu: Er wuͤrde ſchleunig Huͤlfe
kriegen,
Er ſollte ſich nur feſte halten. Jnzwiſchen nahte ſich
das Boot,
Nachdem es lange gnug gewaͤhret, entriß ihn der Gefahr
und Noht,
Worinn, ohn’ daß man, da der Grabe ſo breit und tief
war, helfen kunt,
Jndem es in der Mitte lag, und jeder ferne von ihm
ſtund.
Das alleraͤngſtlichſte nun war, daß man ihn ſehen liegen
mußte,
Ohn’ daß man ihm zu Huͤlfe kommen, noch Mittel, ihm
zu rahten, wußte.
Nachdem er nun, durch GOttes Gnade, gerettet;
denkt mein Geiſt dabey,
Wie der Zuſammenhang der Dinge Bewunderns wehrt
geweſen ſey,
Daß, wenn von ſo verſchiedenen ein einz’ger Umſtand
nur gefehlet,
Nun, menſchlichem Begriffe nach, des Kindes Coͤrperchen
entſeelet,
Jm Sarge vor mir liegen wuͤrde. Zum erſten hat von
ungefehr
Der Jnformator an dem Ort, wo Niemand ſonſt geweſen
waͤr,
Noch laͤnger, als er ſelbſt gewollt, ſich aufgehalten, und
geleſen.
Vor[ſ]
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[516/0534] Der gerettete Knabe. Jch eilt’ am Strand, und ſah das Kind recht mitten in dem Graben liegen, Wo er mit ſeinen kleinen Haͤnden noch an dem Schiffgen haͤngen blieb. Wir ſchrien ihm alle heftig zu: Er wuͤrde ſchleunig Huͤlfe kriegen, Er ſollte ſich nur feſte halten. Jnzwiſchen nahte ſich das Boot, Nachdem es lange gnug gewaͤhret, entriß ihn der Gefahr und Noht, Worinn, ohn’ daß man, da der Grabe ſo breit und tief war, helfen kunt, Jndem es in der Mitte lag, und jeder ferne von ihm ſtund. Das alleraͤngſtlichſte nun war, daß man ihn ſehen liegen mußte, Ohn’ daß man ihm zu Huͤlfe kommen, noch Mittel, ihm zu rahten, wußte. Nachdem er nun, durch GOttes Gnade, gerettet; denkt mein Geiſt dabey, Wie der Zuſammenhang der Dinge Bewunderns wehrt geweſen ſey, Daß, wenn von ſo verſchiedenen ein einz’ger Umſtand nur gefehlet, Nun, menſchlichem Begriffe nach, des Kindes Coͤrperchen entſeelet, Jm Sarge vor mir liegen wuͤrde. Zum erſten hat von ungefehr Der Jnformator an dem Ort, wo Niemand ſonſt geweſen waͤr, Noch laͤnger, als er ſelbſt gewollt, ſich aufgehalten, und geleſen. Vorſ

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/534>, abgerufen am 26.05.2024.