Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Mittage speiste. Er war von ihrer Schönheit so ein-
genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn
sie mit ihm leben wollte, welches aber dieses tugend-
hafte junge Frauenzimmer mit aller Bescheidenheit
ausschlug; weil sie sich aber vor den Wirkungen sei-
ner Macht furchte, so faßte sie den Entschluß, des
Nachts Moskau zu verlassen, ohne ihren Aeltern
etwas davon zu sagen. Da sie sich nur mit wenigem
Gelde zu ihrem Unterhalte versehen hatte, so reiste
sie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis sie end-
lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih-
rem Manne und ihrer Tochter, dieses jungen Frauen-
zimmers Milchschwester, wohnten, denen sie ihre
Absicht, sich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu
verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor
zu kommen, machte sie sich noch diese Nacht auf den
Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten sie.
Der Mann, der ein Zimmermann und sehr wohl in
dem Walde bekannt war, führte sie auf einen kleinen
trocknen Fleck, der mitten in einem Moraste war,
und baute ihr darauf eine Hütte, darinnen zu wohnen.
Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelassen,
ihr das Nothwendigste zu kaufen, das ihr auch des
Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu-
getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer
eine von ihnen bey ihr blieb.

Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih-
rem Vater, sie zu besuchen, und da er die Aeltern
ängstlich um ihre Tochter bekümmert, und sich selbst
hintergangen fand, so glaubte er, daß es ihre eigene
Veranstaltung sey. Er wurde daher zornig, und
drohete ihnen mit den Wirkungen seines Zorns,

wenn

Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein-
genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn
ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend-
hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit
ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei-
ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des
Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern
etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem
Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte
ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end-
lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih-
rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen-
zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre
Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu
verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor
zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den
Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie.
Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in
dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen
trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war,
und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen.
Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen,
ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des
Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu-
getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer
eine von ihnen bey ihr blieb.

Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih-
rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern
aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt
hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene
Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und
drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns,

wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0116" n="106"/>
Mittage &#x017F;pei&#x017F;te. Er war von ihrer Scho&#x0364;nheit &#x017F;o ein-<lb/>
genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn<lb/>
&#x017F;ie mit ihm leben wollte, welches aber die&#x017F;es tugend-<lb/>
hafte junge Frauenzimmer mit aller Be&#x017F;cheidenheit<lb/>
aus&#x017F;chlug; weil &#x017F;ie &#x017F;ich aber vor den Wirkungen &#x017F;ei-<lb/>
ner Macht furchte, &#x017F;o faßte &#x017F;ie den Ent&#x017F;chluß, des<lb/>
Nachts Moskau zu verla&#x017F;&#x017F;en, ohne ihren Aeltern<lb/>
etwas davon zu &#x017F;agen. Da &#x017F;ie &#x017F;ich nur mit wenigem<lb/>
Gelde zu ihrem Unterhalte ver&#x017F;ehen hatte, &#x017F;o rei&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis &#x017F;ie end-<lb/>
lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih-<lb/>
rem Manne und ihrer Tochter, die&#x017F;es jungen Frauen-<lb/>
zimmers Milch&#x017F;chwe&#x017F;ter, wohnten, denen &#x017F;ie ihre<lb/>
Ab&#x017F;icht, &#x017F;ich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu<lb/>
verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor<lb/>
zu kommen, machte &#x017F;ie &#x017F;ich noch die&#x017F;e Nacht auf den<lb/>
Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten &#x017F;ie.<lb/>
Der Mann, der ein Zimmermann und &#x017F;ehr wohl in<lb/>
dem Walde bekannt war, fu&#x0364;hrte &#x017F;ie auf einen kleinen<lb/>
trocknen Fleck, der mitten in einem Mora&#x017F;te war,<lb/>
und baute ihr darauf eine Hu&#x0364;tte, darinnen zu wohnen.<lb/>
Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gela&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
ihr das Nothwendig&#x017F;te zu kaufen, das ihr auch des<lb/>
Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu-<lb/>
getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer<lb/>
eine von ihnen bey ihr blieb.</p><lb/>
        <p>Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih-<lb/>
rem Vater, &#x017F;ie zu be&#x017F;uchen, und da er die Aeltern<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tlich um ihre Tochter beku&#x0364;mmert, und &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
hintergangen fand, &#x017F;o glaubte er, daß es ihre eigene<lb/>
Veran&#x017F;taltung &#x017F;ey. Er wurde daher zornig, und<lb/>
drohete ihnen mit den Wirkungen &#x017F;eines Zorns,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0116] Mittage ſpeiſte. Er war von ihrer Schoͤnheit ſo ein- genommen, daß er ihr alle Bedingungen anbot, wenn ſie mit ihm leben wollte, welches aber dieſes tugend- hafte junge Frauenzimmer mit aller Beſcheidenheit ausſchlug; weil ſie ſich aber vor den Wirkungen ſei- ner Macht furchte, ſo faßte ſie den Entſchluß, des Nachts Moskau zu verlaſſen, ohne ihren Aeltern etwas davon zu ſagen. Da ſie ſich nur mit wenigem Gelde zu ihrem Unterhalte verſehen hatte, ſo reiſte ſie viele Meilen auf dem Lande zu Fuße, bis ſie end- lich in ein kleines Dorf kam, wo ihre Amme mit ih- rem Manne und ihrer Tochter, dieſes jungen Frauen- zimmers Milchſchweſter, wohnten, denen ſie ihre Abſicht, ſich in dem Walde nahe bey dem Dorfe zu verbergen, entdeckte. Um auch aller Entdeckung zuvor zu kommen, machte ſie ſich noch dieſe Nacht auf den Weg, und der Mann und die Tochter begleiteten ſie. Der Mann, der ein Zimmermann und ſehr wohl in dem Walde bekannt war, fuͤhrte ſie auf einen kleinen trocknen Fleck, der mitten in einem Moraſte war, und baute ihr darauf eine Huͤtte, darinnen zu wohnen. Sie hatte ihr weniges Geld bey ihrer Amme gelaſſen, ihr das Nothwendigſte zu kaufen, das ihr auch des Nachts von der Amme oder ihrer Tochter treulich zu- getragen wurde, wie denn auch des Nachts immer eine von ihnen bey ihr blieb. Den Tag nach ihrer Flucht kam der Czar zu ih- rem Vater, ſie zu beſuchen, und da er die Aeltern aͤngſtlich um ihre Tochter bekuͤmmert, und ſich ſelbſt hintergangen fand, ſo glaubte er, daß es ihre eigene Veranſtaltung ſey. Er wurde daher zornig, und drohete ihnen mit den Wirkungen ſeines Zorns, wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/116
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/116>, abgerufen am 29.04.2024.