Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
und ihre Gefolgsgenossen beritten zu denken. Als eine Besonder-
heit des germanischen Kriegswesens erschien den Römern die An-
wendung einer auserlesenen Sondertruppe, welche als Vorhut des
Keiles kämpfte und durch die Verbindung von leicht bewaffnetem
Fussvolk und Reitern in der Weise hergestellt wurde, dass jedem
Reiter ein behender und gewandter Fussgänger beigegeben wurde.
Solcher Krieger wählte man je hundert aus der Jugend jedes Gaues
aus. Die Zahl habe ihnen auch den Namen gegeben, der zugleich
ein Ehrenname war 11.

Im dritten Jahrhundert, sofort bei ihrem ersten Auftreten werden
die Alamannen (und Juthungen) als vorzügliche Reiter geschildert.
Gegen Ende des vierten Jahrhunderts ist die gotische Reiterei be-
sonders gefürchtet. Die Vandalen haben die Ebenen Pannoniens als
ein Reitervolk verlassen. Dagegen zeigt sich bei den westgermanischen
Völkerschaften ein auffallender Rückgang in der Anwendung der Ka-
vallerie. Im sechsten Jahrhundert gebricht es den fränkisch -alaman-
nischen Heeren an nennenswerter Reiterei 12, eine Entwicklung, die
sich wohl zum Teil aus dem Übergang zu intensiverem Ackerbau er-
klärt, der das Pferd vor den Pflug spannte und damit unbrauchbar
machte für die Ausrüstung einer marschfähigen Kavallerie, während
andrerseits auch die Abschaffung der heidnischen Pferdeopfer und das
kirchliche Verbot des Genusses von Pferdefleisch ungünstig einwirken
mochte auf den militärisch verwendbaren Pferdebestand.

Bei den Völkerschaften, die unter mehreren Fürsten stehen, wird
von der Landesgemeinde im Kriegsfalle aus der Reihe der Fürsten
ein dux, ahd. herizoho, alts. heritogo, gewählt. Dem Wahlakte folgte
die Schilderhebung. Noch Beda (+ 735) berichtet uns von den Alt-
sachsen, dass die Fürsten einen aus ihrer Mitte durch das Los zum
Herzog bestimmen, dessen Würde nach Beendigung des Krieges er-
lischt 13.

Nach Cäsar hatten die für den Krieg gewählten Führer das
Recht über Leben und Tod 14. Dagegen schreibt Tacitus die Straf-
gewalt im Heere den Priestern zu, welche die Strafen, Tötung,
Fesselung, Schläge, gleichsam auf Geheiss der Götter verhängten 15,

11 Germ. c. 6. Müllenhoff, Z f. DA X 550. Scherer, Berl. Sitzungsber.
1884 S 572.
12 Nach den Berichten von Prokop u. Agathias. Waitz II 2 S 213 Anm 1. 3.
13 Hist. eccl. V 10.
14 De bello gall. VI 23: cum bellum civitas aut illatum defendit aut infert,
magistratus qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur.
15 Germ. c. 7: ceterum neque animadvertere neque vincire, ne verberare

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
und ihre Gefolgsgenossen beritten zu denken. Als eine Besonder-
heit des germanischen Kriegswesens erschien den Römern die An-
wendung einer auserlesenen Sondertruppe, welche als Vorhut des
Keiles kämpfte und durch die Verbindung von leicht bewaffnetem
Fuſsvolk und Reitern in der Weise hergestellt wurde, daſs jedem
Reiter ein behender und gewandter Fuſsgänger beigegeben wurde.
Solcher Krieger wählte man je hundert aus der Jugend jedes Gaues
aus. Die Zahl habe ihnen auch den Namen gegeben, der zugleich
ein Ehrenname war 11.

Im dritten Jahrhundert, sofort bei ihrem ersten Auftreten werden
die Alamannen (und Juthungen) als vorzügliche Reiter geschildert.
Gegen Ende des vierten Jahrhunderts ist die gotische Reiterei be-
sonders gefürchtet. Die Vandalen haben die Ebenen Pannoniens als
ein Reitervolk verlassen. Dagegen zeigt sich bei den westgermanischen
Völkerschaften ein auffallender Rückgang in der Anwendung der Ka-
vallerie. Im sechsten Jahrhundert gebricht es den fränkisch -alaman-
nischen Heeren an nennenswerter Reiterei 12, eine Entwicklung, die
sich wohl zum Teil aus dem Übergang zu intensiverem Ackerbau er-
klärt, der das Pferd vor den Pflug spannte und damit unbrauchbar
machte für die Ausrüstung einer marschfähigen Kavallerie, während
andrerseits auch die Abschaffung der heidnischen Pferdeopfer und das
kirchliche Verbot des Genusses von Pferdefleisch ungünstig einwirken
mochte auf den militärisch verwendbaren Pferdebestand.

Bei den Völkerschaften, die unter mehreren Fürsten stehen, wird
von der Landesgemeinde im Kriegsfalle aus der Reihe der Fürsten
ein dux, ahd. herizoho, alts. heritogo, gewählt. Dem Wahlakte folgte
die Schilderhebung. Noch Beda († 735) berichtet uns von den Alt-
sachsen, daſs die Fürsten einen aus ihrer Mitte durch das Los zum
Herzog bestimmen, dessen Würde nach Beendigung des Krieges er-
lischt 13.

Nach Cäsar hatten die für den Krieg gewählten Führer das
Recht über Leben und Tod 14. Dagegen schreibt Tacitus die Straf-
gewalt im Heere den Priestern zu, welche die Strafen, Tötung,
Fesselung, Schläge, gleichsam auf Geheiſs der Götter verhängten 15,

11 Germ. c. 6. Müllenhoff, Z f. DA X 550. Scherer, Berl. Sitzungsber.
1884 S 572.
12 Nach den Berichten von Prokop u. Agathias. Waitz II 2 S 213 Anm 1. 3.
13 Hist. eccl. V 10.
14 De bello gall. VI 23: cum bellum civitas aut illatum defendit aut infert,
magistratus qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur.
15 Germ. c. 7: ceterum neque animadvertere neque vincire, ne verberare
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="135"/><fw place="top" type="header">§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.</fw><lb/>
und ihre Gefolgsgenossen beritten zu denken. Als eine Besonder-<lb/>
heit des germanischen Kriegswesens erschien den Römern die An-<lb/>
wendung einer auserlesenen Sondertruppe, welche als Vorhut des<lb/>
Keiles kämpfte und durch die Verbindung von leicht bewaffnetem<lb/>
Fu&#x017F;svolk und Reitern in der Weise hergestellt wurde, da&#x017F;s jedem<lb/>
Reiter ein behender und gewandter Fu&#x017F;sgänger beigegeben wurde.<lb/>
Solcher Krieger wählte man je hundert aus der Jugend jedes Gaues<lb/>
aus. Die Zahl habe ihnen auch den Namen gegeben, der zugleich<lb/>
ein Ehrenname war <note place="foot" n="11">Germ. c. 6. <hi rendition="#g">Müllenhoff</hi>, Z f. DA X 550. <hi rendition="#g">Scherer</hi>, Berl. Sitzungsber.<lb/>
1884 S 572.</note>.</p><lb/>
          <p>Im dritten Jahrhundert, sofort bei ihrem ersten Auftreten werden<lb/>
die Alamannen (und Juthungen) als vorzügliche Reiter geschildert.<lb/>
Gegen Ende des vierten Jahrhunderts ist die gotische Reiterei be-<lb/>
sonders gefürchtet. Die Vandalen haben die Ebenen Pannoniens als<lb/>
ein Reitervolk verlassen. Dagegen zeigt sich bei den westgermanischen<lb/>
Völkerschaften ein auffallender Rückgang in der Anwendung der Ka-<lb/>
vallerie. Im sechsten Jahrhundert gebricht es den fränkisch -alaman-<lb/>
nischen Heeren an nennenswerter Reiterei <note place="foot" n="12">Nach den Berichten von Prokop u. Agathias. <hi rendition="#g">Waitz</hi> II 2 S 213 Anm 1. 3.</note>, eine Entwicklung, die<lb/>
sich wohl zum Teil aus dem Übergang zu intensiverem Ackerbau er-<lb/>
klärt, der das Pferd vor den Pflug spannte und damit unbrauchbar<lb/>
machte für die Ausrüstung einer marschfähigen Kavallerie, während<lb/>
andrerseits auch die Abschaffung der heidnischen Pferdeopfer und das<lb/>
kirchliche Verbot des Genusses von Pferdefleisch ungünstig einwirken<lb/>
mochte auf den militärisch verwendbaren Pferdebestand.</p><lb/>
          <p>Bei den Völkerschaften, die unter mehreren Fürsten stehen, wird<lb/>
von der Landesgemeinde im Kriegsfalle aus der Reihe der Fürsten<lb/>
ein dux, ahd. herizoho, alts. heritogo, gewählt. Dem Wahlakte folgte<lb/>
die Schilderhebung. Noch Beda (&#x2020; 735) berichtet uns von den Alt-<lb/>
sachsen, da&#x017F;s die Fürsten einen aus ihrer Mitte durch das Los zum<lb/>
Herzog bestimmen, dessen Würde nach Beendigung des Krieges er-<lb/>
lischt <note place="foot" n="13">Hist. eccl. V 10.</note>.</p><lb/>
          <p>Nach Cäsar hatten die für den Krieg gewählten Führer das<lb/>
Recht über Leben und Tod <note place="foot" n="14">De bello gall. VI 23: cum bellum civitas aut illatum defendit aut infert,<lb/>
magistratus qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur.</note>. Dagegen schreibt Tacitus die Straf-<lb/>
gewalt im Heere den Priestern zu, welche die Strafen, Tötung,<lb/>
Fesselung, Schläge, gleichsam auf Gehei&#x017F;s der Götter verhängten <note xml:id="note-0153" next="#note-0154" place="foot" n="15">Germ. c. 7: ceterum neque animadvertere neque vincire, ne verberare</note>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0153] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. und ihre Gefolgsgenossen beritten zu denken. Als eine Besonder- heit des germanischen Kriegswesens erschien den Römern die An- wendung einer auserlesenen Sondertruppe, welche als Vorhut des Keiles kämpfte und durch die Verbindung von leicht bewaffnetem Fuſsvolk und Reitern in der Weise hergestellt wurde, daſs jedem Reiter ein behender und gewandter Fuſsgänger beigegeben wurde. Solcher Krieger wählte man je hundert aus der Jugend jedes Gaues aus. Die Zahl habe ihnen auch den Namen gegeben, der zugleich ein Ehrenname war 11. Im dritten Jahrhundert, sofort bei ihrem ersten Auftreten werden die Alamannen (und Juthungen) als vorzügliche Reiter geschildert. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts ist die gotische Reiterei be- sonders gefürchtet. Die Vandalen haben die Ebenen Pannoniens als ein Reitervolk verlassen. Dagegen zeigt sich bei den westgermanischen Völkerschaften ein auffallender Rückgang in der Anwendung der Ka- vallerie. Im sechsten Jahrhundert gebricht es den fränkisch -alaman- nischen Heeren an nennenswerter Reiterei 12, eine Entwicklung, die sich wohl zum Teil aus dem Übergang zu intensiverem Ackerbau er- klärt, der das Pferd vor den Pflug spannte und damit unbrauchbar machte für die Ausrüstung einer marschfähigen Kavallerie, während andrerseits auch die Abschaffung der heidnischen Pferdeopfer und das kirchliche Verbot des Genusses von Pferdefleisch ungünstig einwirken mochte auf den militärisch verwendbaren Pferdebestand. Bei den Völkerschaften, die unter mehreren Fürsten stehen, wird von der Landesgemeinde im Kriegsfalle aus der Reihe der Fürsten ein dux, ahd. herizoho, alts. heritogo, gewählt. Dem Wahlakte folgte die Schilderhebung. Noch Beda († 735) berichtet uns von den Alt- sachsen, daſs die Fürsten einen aus ihrer Mitte durch das Los zum Herzog bestimmen, dessen Würde nach Beendigung des Krieges er- lischt 13. Nach Cäsar hatten die für den Krieg gewählten Führer das Recht über Leben und Tod 14. Dagegen schreibt Tacitus die Straf- gewalt im Heere den Priestern zu, welche die Strafen, Tötung, Fesselung, Schläge, gleichsam auf Geheiſs der Götter verhängten 15, 11 Germ. c. 6. Müllenhoff, Z f. DA X 550. Scherer, Berl. Sitzungsber. 1884 S 572. 12 Nach den Berichten von Prokop u. Agathias. Waitz II 2 S 213 Anm 1. 3. 13 Hist. eccl. V 10. 14 De bello gall. VI 23: cum bellum civitas aut illatum defendit aut infert, magistratus qui ei bello praesint, ut vitae necisque habeant potestatem, deliguntur. 15 Germ. c. 7: ceterum neque animadvertere neque vincire, ne verberare

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/153
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/153>, abgerufen am 27.04.2024.