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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
ein Widerspruch, dessen Erklärung auf erhebliche Schwierigkeiten
stösst. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass schon zu Cäsars Zeit die
Strafen im Heere unter religiösem Gesichtspunkt vollstreckt wurden
und zur Zeit des Tacitus die Eifersucht der principes eine Be-
schränkung der Herzogsgewalt insofern herbeiführte, als die Priester
nicht mehr als blosse Vollzugsorgane derselben fungierten. Für die
praktische Bedeutung der sakralen Strafrechtspflege im Heere lässt
sich übrigens mit einiger Berechtigung ein Gesichtspunkt verwerten,
welchen uns Volksrechte und Kapitularien an die Hand geben. In
fränkischer Zeit sieht sich nämlich die Gesetzgebung veranlasst, aus-
drücklich zu verbieten, dass Rache oder Fehde geübt werde oder ein
Wergeldanspruch erhoben werde gegen denjenigen, der auf Geheiss
des Königs oder des Herzogs eine Todesstrafe vollstreckt habe 16.
Die Volksanschauung, gegen welche diese Satzungen ankämpfen, in
die germanische Zeit hineinzutragen, unterliegt keinem Bedenken.
Ihr trug man Rechnung, indem man die Strafe im Namen der Götter
durch Priesterhand vollziehen liess, um auf diese Weise die Rache
des Bestraften beziehungsweise seiner Sippe auszuschliessen.

Spielen der Krieg und alles, was ihn angeht, die hervorragendste
Rolle in der Lebensführung jedes freien Germanen, so giebt es doch
eine Rechtsinstitution, welche für eine gesteigerte militärische Thätig-
keit berechnet war und als die germanische Pflanzschule kriegerischen
Heldentums und staatsmännischer Tüchtigkeit betrachtet werden darf.
Es ist die Gefolgschaft, ein den Germanen charakteristisches Dienst-

quidem nisi sacerdotibus permissum, non quasi in poenam nec ducis iussu, sed
velut deo imperante, quem adesse bellantibus credunt.
16 Lex Baiuw. II 8: si quis hominem per iussionem regis vel duci suo ...
occiderit, non requiratur ei, nec feidosus sit ... sed dux defendat eum et filios
eius pro eo. Rothari 2. Vgl. Boretius, Capit. I 217 c. 7: incompositus iaceat (der
latro) et neque senior neque propinquus eius pro hoc nullam faidam portet. Cap.
v. J. 850 c. 3, MG LL I 406: et si aliquis eius (des erschlagenen Räubers)
senior aut propinquus propter hoc vindictam facere conatus fuerit ... In Mar-
culf I 32 befiehlt der König, dass die Beamten, die er mit der strafrechtlichen
Fronung verwirkten Vermögens beauftragt hat, nec a iam dicto illo (dem Schul-
digen) noch von seinen Genossen, nec ab heredes eorum exinde qualibet calomnia
aut repetitione ulla habere poenitus non debeant. Noch das Bamberger Recht hält
ein besonderes Friedensgebot des Richters für nötig, um den Kläger, der die Voll-
streckung eines Todesurteils erwirkt hat, gegen die Rache der Sippe zu sichern.
Zöpfl, Bamberger Recht S 126 und Kohler, Shakespeare vor dem Forum der
Jurisprudenz, 1883, S 166. Holländische Quellen bestimmen, dass die Verwandten
des Verurteilten schwören sollen, nach Vollstreckung des Todesurteils Frieden gegen
die verurteilenden Schöffen, den Kläger und seine Verwandten zu halten. Bennecke,
Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses, 1886, S 126.

§ 19. Kriegswesen und Gefolgschaft.
ein Widerspruch, dessen Erklärung auf erhebliche Schwierigkeiten
stöſst. Nicht unwahrscheinlich ist es, daſs schon zu Cäsars Zeit die
Strafen im Heere unter religiösem Gesichtspunkt vollstreckt wurden
und zur Zeit des Tacitus die Eifersucht der principes eine Be-
schränkung der Herzogsgewalt insofern herbeiführte, als die Priester
nicht mehr als bloſse Vollzugsorgane derselben fungierten. Für die
praktische Bedeutung der sakralen Strafrechtspflege im Heere läſst
sich übrigens mit einiger Berechtigung ein Gesichtspunkt verwerten,
welchen uns Volksrechte und Kapitularien an die Hand geben. In
fränkischer Zeit sieht sich nämlich die Gesetzgebung veranlaſst, aus-
drücklich zu verbieten, daſs Rache oder Fehde geübt werde oder ein
Wergeldanspruch erhoben werde gegen denjenigen, der auf Geheiſs
des Königs oder des Herzogs eine Todesstrafe vollstreckt habe 16.
Die Volksanschauung, gegen welche diese Satzungen ankämpfen, in
die germanische Zeit hineinzutragen, unterliegt keinem Bedenken.
Ihr trug man Rechnung, indem man die Strafe im Namen der Götter
durch Priesterhand vollziehen lieſs, um auf diese Weise die Rache
des Bestraften beziehungsweise seiner Sippe auszuschlieſsen.

Spielen der Krieg und alles, was ihn angeht, die hervorragendste
Rolle in der Lebensführung jedes freien Germanen, so giebt es doch
eine Rechtsinstitution, welche für eine gesteigerte militärische Thätig-
keit berechnet war und als die germanische Pflanzschule kriegerischen
Heldentums und staatsmännischer Tüchtigkeit betrachtet werden darf.
Es ist die Gefolgschaft, ein den Germanen charakteristisches Dienst-

quidem nisi sacerdotibus permissum, non quasi in poenam nec ducis iussu, sed
velut deo imperante, quem adesse bellantibus credunt.
16 Lex Baiuw. II 8: si quis hominem per iussionem regis vel duci suo …
occiderit, non requiratur ei, nec feidosus sit … sed dux defendat eum et filios
eius pro eo. Rothari 2. Vgl. Boretius, Capit. I 217 c. 7: incompositus iaceat (der
latro) et neque senior neque propinquus eius pro hoc nullam faidam portet. Cap.
v. J. 850 c. 3, MG LL I 406: et si aliquis eius (des erschlagenen Räubers)
senior aut propinquus propter hoc vindictam facere conatus fuerit … In Mar-
culf I 32 befiehlt der König, daſs die Beamten, die er mit der strafrechtlichen
Fronung verwirkten Vermögens beauftragt hat, nec a iam dicto illo (dem Schul-
digen) noch von seinen Genossen, nec ab heredes eorum exinde qualibet calomnia
aut repetitione ulla habere poenitus non debeant. Noch das Bamberger Recht hält
ein besonderes Friedensgebot des Richters für nötig, um den Kläger, der die Voll-
streckung eines Todesurteils erwirkt hat, gegen die Rache der Sippe zu sichern.
Zöpfl, Bamberger Recht S 126 und Kohler, Shakespeare vor dem Forum der
Jurisprudenz, 1883, S 166. Holländische Quellen bestimmen, daſs die Verwandten
des Verurteilten schwören sollen, nach Vollstreckung des Todesurteils Frieden gegen
die verurteilenden Schöffen, den Kläger und seine Verwandten zu halten. Bennecke,
Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses, 1886, S 126.
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[136/0154] § 19. Kriegswesen und Gefolgschaft. ein Widerspruch, dessen Erklärung auf erhebliche Schwierigkeiten stöſst. Nicht unwahrscheinlich ist es, daſs schon zu Cäsars Zeit die Strafen im Heere unter religiösem Gesichtspunkt vollstreckt wurden und zur Zeit des Tacitus die Eifersucht der principes eine Be- schränkung der Herzogsgewalt insofern herbeiführte, als die Priester nicht mehr als bloſse Vollzugsorgane derselben fungierten. Für die praktische Bedeutung der sakralen Strafrechtspflege im Heere läſst sich übrigens mit einiger Berechtigung ein Gesichtspunkt verwerten, welchen uns Volksrechte und Kapitularien an die Hand geben. In fränkischer Zeit sieht sich nämlich die Gesetzgebung veranlaſst, aus- drücklich zu verbieten, daſs Rache oder Fehde geübt werde oder ein Wergeldanspruch erhoben werde gegen denjenigen, der auf Geheiſs des Königs oder des Herzogs eine Todesstrafe vollstreckt habe 16. Die Volksanschauung, gegen welche diese Satzungen ankämpfen, in die germanische Zeit hineinzutragen, unterliegt keinem Bedenken. Ihr trug man Rechnung, indem man die Strafe im Namen der Götter durch Priesterhand vollziehen lieſs, um auf diese Weise die Rache des Bestraften beziehungsweise seiner Sippe auszuschlieſsen. Spielen der Krieg und alles, was ihn angeht, die hervorragendste Rolle in der Lebensführung jedes freien Germanen, so giebt es doch eine Rechtsinstitution, welche für eine gesteigerte militärische Thätig- keit berechnet war und als die germanische Pflanzschule kriegerischen Heldentums und staatsmännischer Tüchtigkeit betrachtet werden darf. Es ist die Gefolgschaft, ein den Germanen charakteristisches Dienst- 15 16 Lex Baiuw. II 8: si quis hominem per iussionem regis vel duci suo … occiderit, non requiratur ei, nec feidosus sit … sed dux defendat eum et filios eius pro eo. Rothari 2. Vgl. Boretius, Capit. I 217 c. 7: incompositus iaceat (der latro) et neque senior neque propinquus eius pro hoc nullam faidam portet. Cap. v. J. 850 c. 3, MG LL I 406: et si aliquis eius (des erschlagenen Räubers) senior aut propinquus propter hoc vindictam facere conatus fuerit … In Mar- culf I 32 befiehlt der König, daſs die Beamten, die er mit der strafrechtlichen Fronung verwirkten Vermögens beauftragt hat, nec a iam dicto illo (dem Schul- digen) noch von seinen Genossen, nec ab heredes eorum exinde qualibet calomnia aut repetitione ulla habere poenitus non debeant. Noch das Bamberger Recht hält ein besonderes Friedensgebot des Richters für nötig, um den Kläger, der die Voll- streckung eines Todesurteils erwirkt hat, gegen die Rache der Sippe zu sichern. Zöpfl, Bamberger Recht S 126 und Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, 1883, S 166. Holländische Quellen bestimmen, daſs die Verwandten des Verurteilten schwören sollen, nach Vollstreckung des Todesurteils Frieden gegen die verurteilenden Schöffen, den Kläger und seine Verwandten zu halten. Bennecke, Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses, 1886, S 126. 15 quidem nisi sacerdotibus permissum, non quasi in poenam nec ducis iussu, sed velut deo imperante, quem adesse bellantibus credunt.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/154>, abgerufen am 28.04.2024.