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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
rechtes abgeschlossen wurden, konnte die Bezeichnung der lex originis
als zweckmässig erscheinen.

Die ältesten Beispiele von Urkunden, welche das Personalrecht
der disponierenden Vertragspartei konstatieren, stammen aus Italien,
wo sie bis in die zweite Hälfte des achten Jahrhunderts zurückreichen.
In einer Schenkungsurkunde von 767 bekennt der Aussteller, dass er
iuxta lege sua Langobardorum Launegild empfangen habe 59. Noch
charakteristischer ist eine 769 zu Brescia aufgenommene Urkunde,
ausgestellt von einem Ostgoten Namens Stavila, civis Brixianus, vivens
legem Gothorum 60. Bis zum Anfang des neunten Jahrhunderts hat
der italienische Urkundenstil, der später auf die Betonung der Per-
sonalrechte besonderes Gewicht legt, noch kein fest ausgebildetes
System. Die lex der Kontrahenten wird verhältnismässig selten, mit-
unter nur zufällig und ohne ersichtlichen Grund hervorgehoben 61.
Im Gegensatz zur späteren Übung verschweigt die Urkunde hin und
wieder das Stammesrecht des Veräusserers, auch wenn ihr sonstiger
Inhalt ersehen lässt, dass er ausseritalischer Herkunft war 62. Erst seit
den vierziger Jahren des neunten Jahrhunderts beginnt die italienische
Notariatspraxis für die Geschäftsurkunden der in Italien ansässigen
Franken, Alamannen und Baiern ein typisches Schema auszubilden,
welches die lex oder die natio des Ausstellers zu nennen pflegt 63.

Nicht bloss die Geschäftsurkunden, sondern auch die Gerichts-
urkunden Italiens betonen das massgebende Personalrecht der Partei,
mag es sich nun um wirkliche Rechtsstreitigkeiten oder um Akte der

59 In der oben Anm 26 angeführten Urkunde.
60 Cod. dipl. Lang. Nr 38 col. 72. Unter dem Goten kann nur ein Ostgote
verstanden sein. Ein Westgote hätte in der Zeit vor der fränkischen Eroberung
als wargangus nach langobardischem Rechte gelebt (Roth. 367) und könnte auch
kaum als Bürger von Brescia gedacht werden. Dass sich ostgotische Bevölkerung
am Fusse der Alpen erhielt und in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen das
gotische Recht und die Erinnerung an ihre Herkunft bewahrte, hat nichts Auf-
fälliges an sich.
61 So in einer lombardischen Verkaufsurkunde von 807, Cod. dipl. Lang. Nr 84
col. 157, wo die rechtlich irrelevante lex des Käufers (ex genere Alamannorum),
dagegen nicht die des Verkäufers genannt wird.
62 In Cod. dipl. Lang. Nr 102 col. 186, v. J. 823 nehmen zwei Ehegatten eine
gegenseitige Vergabung iuxta lege nostra vor. Ihre "natio" ist nicht genannt. Der
Inhalt der Urkunde macht es wahrscheinlich, dass der Mann ein Franke, die Frau
eine Alamannin war. Eine Carta von 836, a. O. Nr 127 col. 226, enthält eine
in den Formen des fränkischen Rechtes vorgenommene Veräusserung. Obwohl die
natio des Veräusserers nicht genannt ist, wissen wir zufälligerweise, dass er ein
Franke war.
63 Beispiele bei Brunner, Zur RG der Urk. I 105 Anm 3 ff.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
rechtes abgeschlossen wurden, konnte die Bezeichnung der lex originis
als zweckmäſsig erscheinen.

Die ältesten Beispiele von Urkunden, welche das Personalrecht
der disponierenden Vertragspartei konstatieren, stammen aus Italien,
wo sie bis in die zweite Hälfte des achten Jahrhunderts zurückreichen.
In einer Schenkungsurkunde von 767 bekennt der Aussteller, daſs er
iuxta lege sua Langobardorum Launegild empfangen habe 59. Noch
charakteristischer ist eine 769 zu Brescia aufgenommene Urkunde,
ausgestellt von einem Ostgoten Namens Stavila, civis Brixianus, vivens
legem Gothorum 60. Bis zum Anfang des neunten Jahrhunderts hat
der italienische Urkundenstil, der später auf die Betonung der Per-
sonalrechte besonderes Gewicht legt, noch kein fest ausgebildetes
System. Die lex der Kontrahenten wird verhältnismäſsig selten, mit-
unter nur zufällig und ohne ersichtlichen Grund hervorgehoben 61.
Im Gegensatz zur späteren Übung verschweigt die Urkunde hin und
wieder das Stammesrecht des Veräuſserers, auch wenn ihr sonstiger
Inhalt ersehen läſst, daſs er auſseritalischer Herkunft war 62. Erst seit
den vierziger Jahren des neunten Jahrhunderts beginnt die italienische
Notariatspraxis für die Geschäftsurkunden der in Italien ansässigen
Franken, Alamannen und Baiern ein typisches Schema auszubilden,
welches die lex oder die natio des Ausstellers zu nennen pflegt 63.

Nicht bloſs die Geschäftsurkunden, sondern auch die Gerichts-
urkunden Italiens betonen das maſsgebende Personalrecht der Partei,
mag es sich nun um wirkliche Rechtsstreitigkeiten oder um Akte der

59 In der oben Anm 26 angeführten Urkunde.
60 Cod. dipl. Lang. Nr 38 col. 72. Unter dem Goten kann nur ein Ostgote
verstanden sein. Ein Westgote hätte in der Zeit vor der fränkischen Eroberung
als wargangus nach langobardischem Rechte gelebt (Roth. 367) und könnte auch
kaum als Bürger von Brescia gedacht werden. Daſs sich ostgotische Bevölkerung
am Fuſse der Alpen erhielt und in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen das
gotische Recht und die Erinnerung an ihre Herkunft bewahrte, hat nichts Auf-
fälliges an sich.
61 So in einer lombardischen Verkaufsurkunde von 807, Cod. dipl. Lang. Nr 84
col. 157, wo die rechtlich irrelevante lex des Käufers (ex genere Alamannorum),
dagegen nicht die des Verkäufers genannt wird.
62 In Cod. dipl. Lang. Nr 102 col. 186, v. J. 823 nehmen zwei Ehegatten eine
gegenseitige Vergabung iuxta lege nostra vor. Ihre „natio“ ist nicht genannt. Der
Inhalt der Urkunde macht es wahrscheinlich, daſs der Mann ein Franke, die Frau
eine Alamannin war. Eine Carta von 836, a. O. Nr 127 col. 226, enthält eine
in den Formen des fränkischen Rechtes vorgenommene Veräuſserung. Obwohl die
natio des Veräuſserers nicht genannt ist, wissen wir zufälligerweise, daſs er ein
Franke war.
63 Beispiele bei Brunner, Zur RG der Urk. I 105 Anm 3 ff.
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[271/0289] § 34. Das Personalitätsprinzip. rechtes abgeschlossen wurden, konnte die Bezeichnung der lex originis als zweckmäſsig erscheinen. Die ältesten Beispiele von Urkunden, welche das Personalrecht der disponierenden Vertragspartei konstatieren, stammen aus Italien, wo sie bis in die zweite Hälfte des achten Jahrhunderts zurückreichen. In einer Schenkungsurkunde von 767 bekennt der Aussteller, daſs er iuxta lege sua Langobardorum Launegild empfangen habe 59. Noch charakteristischer ist eine 769 zu Brescia aufgenommene Urkunde, ausgestellt von einem Ostgoten Namens Stavila, civis Brixianus, vivens legem Gothorum 60. Bis zum Anfang des neunten Jahrhunderts hat der italienische Urkundenstil, der später auf die Betonung der Per- sonalrechte besonderes Gewicht legt, noch kein fest ausgebildetes System. Die lex der Kontrahenten wird verhältnismäſsig selten, mit- unter nur zufällig und ohne ersichtlichen Grund hervorgehoben 61. Im Gegensatz zur späteren Übung verschweigt die Urkunde hin und wieder das Stammesrecht des Veräuſserers, auch wenn ihr sonstiger Inhalt ersehen läſst, daſs er auſseritalischer Herkunft war 62. Erst seit den vierziger Jahren des neunten Jahrhunderts beginnt die italienische Notariatspraxis für die Geschäftsurkunden der in Italien ansässigen Franken, Alamannen und Baiern ein typisches Schema auszubilden, welches die lex oder die natio des Ausstellers zu nennen pflegt 63. Nicht bloſs die Geschäftsurkunden, sondern auch die Gerichts- urkunden Italiens betonen das maſsgebende Personalrecht der Partei, mag es sich nun um wirkliche Rechtsstreitigkeiten oder um Akte der 59 In der oben Anm 26 angeführten Urkunde. 60 Cod. dipl. Lang. Nr 38 col. 72. Unter dem Goten kann nur ein Ostgote verstanden sein. Ein Westgote hätte in der Zeit vor der fränkischen Eroberung als wargangus nach langobardischem Rechte gelebt (Roth. 367) und könnte auch kaum als Bürger von Brescia gedacht werden. Daſs sich ostgotische Bevölkerung am Fuſse der Alpen erhielt und in ihren gegenseitigen Rechtsbeziehungen das gotische Recht und die Erinnerung an ihre Herkunft bewahrte, hat nichts Auf- fälliges an sich. 61 So in einer lombardischen Verkaufsurkunde von 807, Cod. dipl. Lang. Nr 84 col. 157, wo die rechtlich irrelevante lex des Käufers (ex genere Alamannorum), dagegen nicht die des Verkäufers genannt wird. 62 In Cod. dipl. Lang. Nr 102 col. 186, v. J. 823 nehmen zwei Ehegatten eine gegenseitige Vergabung iuxta lege nostra vor. Ihre „natio“ ist nicht genannt. Der Inhalt der Urkunde macht es wahrscheinlich, daſs der Mann ein Franke, die Frau eine Alamannin war. Eine Carta von 836, a. O. Nr 127 col. 226, enthält eine in den Formen des fränkischen Rechtes vorgenommene Veräuſserung. Obwohl die natio des Veräuſserers nicht genannt ist, wissen wir zufälligerweise, daſs er ein Franke war. 63 Beispiele bei Brunner, Zur RG der Urk. I 105 Anm 3 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/289>, abgerufen am 29.04.2024.