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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 46. Die Lex Saxonum.
fünf, Merkel 9 will drei verschiedenartige Bestandteile unterscheiden.
v. Richthofen verficht den einheitlichen Charakter der Lex. Boretius
tritt für die Teilung derselben in zwei Satzungen ein, indem er die
Kapitel 1--20 in die Zeit vor der fränkischen Herrschaft setzt. Die
Gründe, die für Zusammensetzung der Lex aus mehreren Satzungen
geltend gemacht werden, sind nicht durchschlagend 10. Der selb-
ständige Inhalt der ersten 20 Kapitel mag darauf beruhen, dass das
altsächsische Kompositionenrecht etwa im Wege des Weistums fest-
gestellt wurde, um auf Verlangen des sächsischen Adels in die Lex
aufgenommen zu werden.

Die Frage nach der Entstehungszeit der Lex, die wir sonach als
das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, beantwortet sich
durch ihr Verhältnis zum Capitulare Saxonicum von 797. v. Richt-
hofen
hält die Lex für älter und kommt zu dem Schlusse, dass sie
zwischen 777 11 und 797, vielleicht 785 abgefasst worden sei. Da-
gegen hat Waitz geltend gemacht, dass die Lex später entstanden
sei als das Kapitular von 797. Entscheidend sind zu Gunsten dieser
Ansicht die Rechtssätze, welche das Kapitular einerseits, die Lex
andererseits über die Brandstiftung enthält 12. Das Kapitular gestattet
den Hausbrand, soweit er "commune consilio" wegen Ungehorsams
gegen ein gerichtliches Urteil verhängt wird, verbietet dagegen die
eigenmächtige Brandstiftung bei der Bannbusse von 60 solidi. Die
Lex Saxonum setzt auf die Brandstiftung, welche jemand eigenmächtig
"suo tantum consilio" begangen hat, die Todesstrafe. Dass diese
nachmals Rechtens geblieben ist, zeigt ein jüngerer Zusatz zum
sächsischen Volksrecht, der sie durch die lex loci delicti commissi
ersetzt, wenn das Verbrechen von einem Sachsen ausserhalb Sachsens
verübt worden war 13. Bannbusse und Todesstrafe schliessen sich

9 Lex Sax. 1--23 angeblich etwa 782, c. 24--60 nach 785 und vor 797, c. 61
bis zu Ende nach 797 entstanden. Die Absonderung des dritten Teiles fusst auf
dem hinfälligen Argumente, dass das Inhaltsverzeichnis der Spangenbergischen Hand-
schrift mit c. 60 abschliesst. Vgl. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 101 f.
10 Gegen die vorfränkische Entstehung der Kapitel 1--20 spricht die Benutzung
der Lex Rib. und die von Waitz erhobene Einwendung, dass die Sachsen ihr Recht
schwerlich in lateinischer, sondern wie die Angelsachsen in ihrer Muttersprache auf-
gezeichnet hätten. Der Eid in arma (Lex Sax. c. 8) ist kein Kennzeichen des Heiden-
tums. Noch in christlicher Zeit findet sich der Waffeneid als ein iuramentum minus,
ein minderwertiger Eid. Siehe v. Richthofen in LL V 50, Anm zu c. 8.
11 In dieses Jahr setzt er die Capitulatio de partibus Saxoniae.
12 Cap. Sax. c. 8, I 72. Lex Sax. c. 38.
13 Die Spangenbergische Handschrift fügt zu c. 38 hinzu: in qualicumque loco
est secundum legem illorum. Siehe v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 6 f.

§ 46. Die Lex Saxonum.
fünf, Merkel 9 will drei verschiedenartige Bestandteile unterscheiden.
v. Richthofen verficht den einheitlichen Charakter der Lex. Boretius
tritt für die Teilung derselben in zwei Satzungen ein, indem er die
Kapitel 1—20 in die Zeit vor der fränkischen Herrschaft setzt. Die
Gründe, die für Zusammensetzung der Lex aus mehreren Satzungen
geltend gemacht werden, sind nicht durchschlagend 10. Der selb-
ständige Inhalt der ersten 20 Kapitel mag darauf beruhen, daſs das
altsächsische Kompositionenrecht etwa im Wege des Weistums fest-
gestellt wurde, um auf Verlangen des sächsischen Adels in die Lex
aufgenommen zu werden.

Die Frage nach der Entstehungszeit der Lex, die wir sonach als
das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, beantwortet sich
durch ihr Verhältnis zum Capitulare Saxonicum von 797. v. Richt-
hofen
hält die Lex für älter und kommt zu dem Schlusse, daſs sie
zwischen 777 11 und 797, vielleicht 785 abgefaſst worden sei. Da-
gegen hat Waitz geltend gemacht, daſs die Lex später entstanden
sei als das Kapitular von 797. Entscheidend sind zu Gunsten dieser
Ansicht die Rechtssätze, welche das Kapitular einerseits, die Lex
andererseits über die Brandstiftung enthält 12. Das Kapitular gestattet
den Hausbrand, soweit er „commune consilio“ wegen Ungehorsams
gegen ein gerichtliches Urteil verhängt wird, verbietet dagegen die
eigenmächtige Brandstiftung bei der Bannbuſse von 60 solidi. Die
Lex Saxonum setzt auf die Brandstiftung, welche jemand eigenmächtig
„suo tantum consilio“ begangen hat, die Todesstrafe. Daſs diese
nachmals Rechtens geblieben ist, zeigt ein jüngerer Zusatz zum
sächsischen Volksrecht, der sie durch die lex loci delicti commissi
ersetzt, wenn das Verbrechen von einem Sachsen auſserhalb Sachsens
verübt worden war 13. Bannbuſse und Todesstrafe schlieſsen sich

9 Lex Sax. 1—23 angeblich etwa 782, c. 24—60 nach 785 und vor 797, c. 61
bis zu Ende nach 797 entstanden. Die Absonderung des dritten Teiles fuſst auf
dem hinfälligen Argumente, daſs das Inhaltsverzeichnis der Spangenbergischen Hand-
schrift mit c. 60 abschlieſst. Vgl. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 101 f.
10 Gegen die vorfränkische Entstehung der Kapitel 1—20 spricht die Benutzung
der Lex Rib. und die von Waitz erhobene Einwendung, daſs die Sachsen ihr Recht
schwerlich in lateinischer, sondern wie die Angelsachsen in ihrer Muttersprache auf-
gezeichnet hätten. Der Eid in arma (Lex Sax. c. 8) ist kein Kennzeichen des Heiden-
tums. Noch in christlicher Zeit findet sich der Waffeneid als ein iuramentum minus,
ein minderwertiger Eid. Siehe v. Richthofen in LL V 50, Anm zu c. 8.
11 In dieses Jahr setzt er die Capitulatio de partibus Saxoniae.
12 Cap. Sax. c. 8, I 72. Lex Sax. c. 38.
13 Die Spangenbergische Handschrift fügt zu c. 38 hinzu: in qualicumque loco
est secundum legem illorum. Siehe v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 6 f.
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[347/0365] § 46. Die Lex Saxonum. fünf, Merkel 9 will drei verschiedenartige Bestandteile unterscheiden. v. Richthofen verficht den einheitlichen Charakter der Lex. Boretius tritt für die Teilung derselben in zwei Satzungen ein, indem er die Kapitel 1—20 in die Zeit vor der fränkischen Herrschaft setzt. Die Gründe, die für Zusammensetzung der Lex aus mehreren Satzungen geltend gemacht werden, sind nicht durchschlagend 10. Der selb- ständige Inhalt der ersten 20 Kapitel mag darauf beruhen, daſs das altsächsische Kompositionenrecht etwa im Wege des Weistums fest- gestellt wurde, um auf Verlangen des sächsischen Adels in die Lex aufgenommen zu werden. Die Frage nach der Entstehungszeit der Lex, die wir sonach als das Ergebnis einer einzigen Satzung betrachten, beantwortet sich durch ihr Verhältnis zum Capitulare Saxonicum von 797. v. Richt- hofen hält die Lex für älter und kommt zu dem Schlusse, daſs sie zwischen 777 11 und 797, vielleicht 785 abgefaſst worden sei. Da- gegen hat Waitz geltend gemacht, daſs die Lex später entstanden sei als das Kapitular von 797. Entscheidend sind zu Gunsten dieser Ansicht die Rechtssätze, welche das Kapitular einerseits, die Lex andererseits über die Brandstiftung enthält 12. Das Kapitular gestattet den Hausbrand, soweit er „commune consilio“ wegen Ungehorsams gegen ein gerichtliches Urteil verhängt wird, verbietet dagegen die eigenmächtige Brandstiftung bei der Bannbuſse von 60 solidi. Die Lex Saxonum setzt auf die Brandstiftung, welche jemand eigenmächtig „suo tantum consilio“ begangen hat, die Todesstrafe. Daſs diese nachmals Rechtens geblieben ist, zeigt ein jüngerer Zusatz zum sächsischen Volksrecht, der sie durch die lex loci delicti commissi ersetzt, wenn das Verbrechen von einem Sachsen auſserhalb Sachsens verübt worden war 13. Bannbuſse und Todesstrafe schlieſsen sich 9 Lex Sax. 1—23 angeblich etwa 782, c. 24—60 nach 785 und vor 797, c. 61 bis zu Ende nach 797 entstanden. Die Absonderung des dritten Teiles fuſst auf dem hinfälligen Argumente, daſs das Inhaltsverzeichnis der Spangenbergischen Hand- schrift mit c. 60 abschlieſst. Vgl. v. Richthofen, Zur Lex Sax. S 101 f. 10 Gegen die vorfränkische Entstehung der Kapitel 1—20 spricht die Benutzung der Lex Rib. und die von Waitz erhobene Einwendung, daſs die Sachsen ihr Recht schwerlich in lateinischer, sondern wie die Angelsachsen in ihrer Muttersprache auf- gezeichnet hätten. Der Eid in arma (Lex Sax. c. 8) ist kein Kennzeichen des Heiden- tums. Noch in christlicher Zeit findet sich der Waffeneid als ein iuramentum minus, ein minderwertiger Eid. Siehe v. Richthofen in LL V 50, Anm zu c. 8. 11 In dieses Jahr setzt er die Capitulatio de partibus Saxoniae. 12 Cap. Sax. c. 8, I 72. Lex Sax. c. 38. 13 Die Spangenbergische Handschrift fügt zu c. 38 hinzu: in qualicumque loco est secundum legem illorum. Siehe v. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 6 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/365>, abgerufen am 28.04.2024.