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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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bewußt, und vielleicht auch Unruhe und Besorgniß verbreitet
worden war. Daß jedoch durch diese Thatsache eine so
außerordentliche Strafschärfung nicht gerechtfertigt werden
kann, ergibt sich aus dem Strafgesetzbuche selbst. Denn
derjenige, welcher mit dem Bewußtsein, daß er seine gefährliche
Krankheit über einen großen District verbreiten könne, die
Absperrungs- und Aufsichtsmaßregeln der zuständigen Behörde
verletzt, hat gleichfalls eine gemeingefährliche Handlung unter-
nommen, er hat vielleicht Unruhe und Besorgniß in weit
intensiverem Grade verbreitet, als dies durch eine Brand-
stiftung geschieht, die Krankheit hat vielleicht wirklich Andere
erfaßt, und er erhält dennoch nach §. 327 im Maximum nur
3 Jahre Gefängniß (s. auch §. 369, 7). Es ist sogar im
Allgemeinen die bloße Erregung von Gemeingefahr überhaupt
nicht strafbar. Wer eine Pulverfabrik nachlässig betreibt, wer
durch den Betrieb seines Steinbruchs Felsmassen derart
lockert, daß sie demnächst eine Mehrheit von Häusern zer-
schmettern können, erregt gleichfalls in hohem Grade eine,
durch polizeiliches Einschreiten nicht immer zu beseitigende,
Gemeingefahr und wird doch stets erst dann bestraft, wenn
wirklich ein Erfolg seiner Handlung eingetreten ist. Warum
nun da gerade bei Brandstiftung und Ueberschwemmung die
Erregung der Gemeingefahr mit einer so außerordentlichen
Erhöhung der an sich verdienten Strafe bedroht wird, ist
nicht einzusehen.

Die Verursachung einer Ueberschwemmung ist
an und für sich -- insofern sie nicht den Charakter der
Sachbeschädigung annimmt, sie sich also auf die Zerstörung
der eigenen Dämme und Fluren beschränkt -- nicht strafbar.
Jst aber die Ueberschwemmung mit gemeiner -- mit einiger
Wahrscheinlichkeit als bevorstehend vorausgesehener -- Gefahr
für Menschenleben oder für das Eigenthum Anderer verbunden

bewußt, und vielleicht auch Unruhe und Beſorgniß verbreitet
worden war. Daß jedoch durch dieſe Thatſache eine ſo
außerordentliche Strafſchärfung nicht gerechtfertigt werden
kann, ergibt ſich aus dem Strafgeſetzbuche ſelbſt. Denn
derjenige, welcher mit dem Bewußtſein, daß er ſeine gefährliche
Krankheit über einen großen Diſtrict verbreiten könne, die
Abſperrungs- und Aufſichtsmaßregeln der zuſtändigen Behörde
verletzt, hat gleichfalls eine gemeingefährliche Handlung unter-
nommen, er hat vielleicht Unruhe und Beſorgniß in weit
intenſiverem Grade verbreitet, als dies durch eine Brand-
ſtiftung geſchieht, die Krankheit hat vielleicht wirklich Andere
erfaßt, und er erhält dennoch nach §. 327 im Maximum nur
3 Jahre Gefängniß (ſ. auch §. 369, 7). Es iſt ſogar im
Allgemeinen die bloße Erregung von Gemeingefahr überhaupt
nicht ſtrafbar. Wer eine Pulverfabrik nachläſſig betreibt, wer
durch den Betrieb ſeines Steinbruchs Felsmaſſen derart
lockert, daß ſie demnächſt eine Mehrheit von Häuſern zer-
ſchmettern können, erregt gleichfalls in hohem Grade eine,
durch polizeiliches Einſchreiten nicht immer zu beſeitigende,
Gemeingefahr und wird doch ſtets erſt dann beſtraft, wenn
wirklich ein Erfolg ſeiner Handlung eingetreten iſt. Warum
nun da gerade bei Brandſtiftung und Ueberſchwemmung die
Erregung der Gemeingefahr mit einer ſo außerordentlichen
Erhöhung der an ſich verdienten Strafe bedroht wird, iſt
nicht einzuſehen.

Die Verurſachung einer Ueberſchwemmung iſt
an und für ſich — inſofern ſie nicht den Charakter der
Sachbeſchädigung annimmt, ſie ſich alſo auf die Zerſtörung
der eigenen Dämme und Fluren beſchränkt — nicht ſtrafbar.
Jſt aber die Ueberſchwemmung mit gemeiner — mit einiger
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[61/0065] bewußt, und vielleicht auch Unruhe und Beſorgniß verbreitet worden war. Daß jedoch durch dieſe Thatſache eine ſo außerordentliche Strafſchärfung nicht gerechtfertigt werden kann, ergibt ſich aus dem Strafgeſetzbuche ſelbſt. Denn derjenige, welcher mit dem Bewußtſein, daß er ſeine gefährliche Krankheit über einen großen Diſtrict verbreiten könne, die Abſperrungs- und Aufſichtsmaßregeln der zuſtändigen Behörde verletzt, hat gleichfalls eine gemeingefährliche Handlung unter- nommen, er hat vielleicht Unruhe und Beſorgniß in weit intenſiverem Grade verbreitet, als dies durch eine Brand- ſtiftung geſchieht, die Krankheit hat vielleicht wirklich Andere erfaßt, und er erhält dennoch nach §. 327 im Maximum nur 3 Jahre Gefängniß (ſ. auch §. 369, 7). Es iſt ſogar im Allgemeinen die bloße Erregung von Gemeingefahr überhaupt nicht ſtrafbar. Wer eine Pulverfabrik nachläſſig betreibt, wer durch den Betrieb ſeines Steinbruchs Felsmaſſen derart lockert, daß ſie demnächſt eine Mehrheit von Häuſern zer- ſchmettern können, erregt gleichfalls in hohem Grade eine, durch polizeiliches Einſchreiten nicht immer zu beſeitigende, Gemeingefahr und wird doch ſtets erſt dann beſtraft, wenn wirklich ein Erfolg ſeiner Handlung eingetreten iſt. Warum nun da gerade bei Brandſtiftung und Ueberſchwemmung die Erregung der Gemeingefahr mit einer ſo außerordentlichen Erhöhung der an ſich verdienten Strafe bedroht wird, iſt nicht einzuſehen. Die Verurſachung einer Ueberſchwemmung iſt an und für ſich — inſofern ſie nicht den Charakter der Sachbeſchädigung annimmt, ſie ſich alſo auf die Zerſtörung der eigenen Dämme und Fluren beſchränkt — nicht ſtrafbar. Jſt aber die Ueberſchwemmung mit gemeiner — mit einiger Wahrſcheinlichkeit als bevorſtehend vorausgeſehener — Gefahr für Menſchenleben oder für das Eigenthum Anderer verbunden

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/65>, abgerufen am 29.04.2024.