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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Römisches Recht.
(das sie in Spiritus thaten in der weisen Einsicht, dass es nunmehr
nicht weiter sich vervollkommnen liess, sondern höchstens hätte
entarten können), so auch des öffentlichen und des Staatsrechtes.
Diese Ratgeber der Krone waren zumeist Kleinasiaten, Griechen und
Semiten, also die anerkannten Meister in der Handhabung abstrakter
Gedankendinge und juristischer Tüfteleien. Und nun entstand eine
Auffassung des römischen Staates, in der nichts ganz neu erfunden,
das Meiste aber umgedeutet, zu Prinzipien sublimiert und dann zu
starren Dogmen krystallisiert wurde. Der Vorgang ist dem im Ab-
schnitt über hellenische Kunst und Philosophie beschriebenen sehr
analog. Die römische Republik war ein lebendiger Organismus ge-
wesen, an dem das Volk ununterbrochen arbeitete und änderte;
niemals war die formale Frage nach leitenden "Prinzipien" aufgetaucht,
nie hatte der gegenwärtige Augenblick die Zukunft bannen wollen.
Das ging sogar so weit, dass die höchsten Gerichtsbeamten, die
Prätoren, auf ein Jahr ernannt, beim Antritt ihres Amtes, ein jeder
ein sogenanntes "prätorisches Edict" erliess, in welchem er die Grund-
sätze kundmachte, welchen er in der Rechtspflege zu folgen gedachte;
dadurch war es möglich gewesen, wechselnden Zeiten und Umständen
gerecht zu werden. Und in ähnlicher Weise war in diesem Staate
alles elastisch, blieb alles in Fühlung mit den Bedürfnissen des Lebens.
Genau aber wie die poetischen Eingebungen der griechischen Philo-
sophen und ihre mystischen Deutungen des Unerkennbaren im helleno-
semitischen Alexandrien zu Glaubensdogmen umgearbeitet wurden,
so wurden auch hier Staat und Recht zu Dogmen, und ungefähr
durch dieselben Leute. Diese Dogmen erbten wir, und es ist für uns
nicht unwichtig, zu wissen, woher sie kommen und wie sie entstanden.

Ein Beispiel. Unser Begriff des Monarchen stammt weder von
den Germanen, noch von den orientalischen Despoten, sondern von
den gelehrten Juristen, die im Dienste des illyrischen Schafhirten
Diocletian, des illyrischen Rinderhirten Galerius, des illyrischen Schweine-
hirten Maximinus u. s. w. standen, und ist eine direkte Parodie -- wenn
ich die Wahrheit reden darf -- der grössten römischen Staatsgedanken.
"Der Staatsbegriff der Römer", schreibt Mommsen, "beruht
auf der idealen Übertragung der Handlungsfähigkeit des Einzelnen
auf die Gesamtheit, die Bürgerschaft, den populus, und auf der Unter-
ordnung des Einzelwillens
aller der Gesamtheit angehörigen,
physischen Personen unter diesen Gesamtwillen. Die Aufhebung der
individuellen Selbständigkeit gegenüber dem Gesamtwillen ist das

Römisches Recht.
(das sie in Spiritus thaten in der weisen Einsicht, dass es nunmehr
nicht weiter sich vervollkommnen liess, sondern höchstens hätte
entarten können), so auch des öffentlichen und des Staatsrechtes.
Diese Ratgeber der Krone waren zumeist Kleinasiaten, Griechen und
Semiten, also die anerkannten Meister in der Handhabung abstrakter
Gedankendinge und juristischer Tüfteleien. Und nun entstand eine
Auffassung des römischen Staates, in der nichts ganz neu erfunden,
das Meiste aber umgedeutet, zu Prinzipien sublimiert und dann zu
starren Dogmen krystallisiert wurde. Der Vorgang ist dem im Ab-
schnitt über hellenische Kunst und Philosophie beschriebenen sehr
analog. Die römische Republik war ein lebendiger Organismus ge-
wesen, an dem das Volk ununterbrochen arbeitete und änderte;
niemals war die formale Frage nach leitenden »Prinzipien« aufgetaucht,
nie hatte der gegenwärtige Augenblick die Zukunft bannen wollen.
Das ging sogar so weit, dass die höchsten Gerichtsbeamten, die
Prätoren, auf ein Jahr ernannt, beim Antritt ihres Amtes, ein jeder
ein sogenanntes »prätorisches Edict« erliess, in welchem er die Grund-
sätze kundmachte, welchen er in der Rechtspflege zu folgen gedachte;
dadurch war es möglich gewesen, wechselnden Zeiten und Umständen
gerecht zu werden. Und in ähnlicher Weise war in diesem Staate
alles elastisch, blieb alles in Fühlung mit den Bedürfnissen des Lebens.
Genau aber wie die poetischen Eingebungen der griechischen Philo-
sophen und ihre mystischen Deutungen des Unerkennbaren im helleno-
semitischen Alexandrien zu Glaubensdogmen umgearbeitet wurden,
so wurden auch hier Staat und Recht zu Dogmen, und ungefähr
durch dieselben Leute. Diese Dogmen erbten wir, und es ist für uns
nicht unwichtig, zu wissen, woher sie kommen und wie sie entstanden.

Ein Beispiel. Unser Begriff des Monarchen stammt weder von
den Germanen, noch von den orientalischen Despoten, sondern von
den gelehrten Juristen, die im Dienste des illyrischen Schafhirten
Diocletian, des illyrischen Rinderhirten Galerius, des illyrischen Schweine-
hirten Maximinus u. s. w. standen, und ist eine direkte Parodie — wenn
ich die Wahrheit reden darf — der grössten römischen Staatsgedanken.
»Der Staatsbegriff der Römer«, schreibt Mommsen, »beruht
auf der idealen Übertragung der Handlungsfähigkeit des Einzelnen
auf die Gesamtheit, die Bürgerschaft, den populus, und auf der Unter-
ordnung des Einzelwillens
aller der Gesamtheit angehörigen,
physischen Personen unter diesen Gesamtwillen. Die Aufhebung der
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[151/0174] Römisches Recht. (das sie in Spiritus thaten in der weisen Einsicht, dass es nunmehr nicht weiter sich vervollkommnen liess, sondern höchstens hätte entarten können), so auch des öffentlichen und des Staatsrechtes. Diese Ratgeber der Krone waren zumeist Kleinasiaten, Griechen und Semiten, also die anerkannten Meister in der Handhabung abstrakter Gedankendinge und juristischer Tüfteleien. Und nun entstand eine Auffassung des römischen Staates, in der nichts ganz neu erfunden, das Meiste aber umgedeutet, zu Prinzipien sublimiert und dann zu starren Dogmen krystallisiert wurde. Der Vorgang ist dem im Ab- schnitt über hellenische Kunst und Philosophie beschriebenen sehr analog. Die römische Republik war ein lebendiger Organismus ge- wesen, an dem das Volk ununterbrochen arbeitete und änderte; niemals war die formale Frage nach leitenden »Prinzipien« aufgetaucht, nie hatte der gegenwärtige Augenblick die Zukunft bannen wollen. Das ging sogar so weit, dass die höchsten Gerichtsbeamten, die Prätoren, auf ein Jahr ernannt, beim Antritt ihres Amtes, ein jeder ein sogenanntes »prätorisches Edict« erliess, in welchem er die Grund- sätze kundmachte, welchen er in der Rechtspflege zu folgen gedachte; dadurch war es möglich gewesen, wechselnden Zeiten und Umständen gerecht zu werden. Und in ähnlicher Weise war in diesem Staate alles elastisch, blieb alles in Fühlung mit den Bedürfnissen des Lebens. Genau aber wie die poetischen Eingebungen der griechischen Philo- sophen und ihre mystischen Deutungen des Unerkennbaren im helleno- semitischen Alexandrien zu Glaubensdogmen umgearbeitet wurden, so wurden auch hier Staat und Recht zu Dogmen, und ungefähr durch dieselben Leute. Diese Dogmen erbten wir, und es ist für uns nicht unwichtig, zu wissen, woher sie kommen und wie sie entstanden. Ein Beispiel. Unser Begriff des Monarchen stammt weder von den Germanen, noch von den orientalischen Despoten, sondern von den gelehrten Juristen, die im Dienste des illyrischen Schafhirten Diocletian, des illyrischen Rinderhirten Galerius, des illyrischen Schweine- hirten Maximinus u. s. w. standen, und ist eine direkte Parodie — wenn ich die Wahrheit reden darf — der grössten römischen Staatsgedanken. »Der Staatsbegriff der Römer«, schreibt Mommsen, »beruht auf der idealen Übertragung der Handlungsfähigkeit des Einzelnen auf die Gesamtheit, die Bürgerschaft, den populus, und auf der Unter- ordnung des Einzelwillens aller der Gesamtheit angehörigen, physischen Personen unter diesen Gesamtwillen. Die Aufhebung der individuellen Selbständigkeit gegenüber dem Gesamtwillen ist das

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/174>, abgerufen am 28.04.2024.