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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt
Loyola als die Seele der Religion lehrt,1) eine Kluft besteht, tiefer
als jene, welche einen Planeten vom anderen trennt. Es reden da
zwei radikal verschiedene Seelen: eine germanische und eine un-
germanische.2) Im folgenden Kapitel setzt nun dieser sogenannte
"Frankforter" noch weiter auseinander, es existiere überhaupt keine
Hölle in der gewöhnlichen, populären Auffassung des Begriffes als
zukünftige Strafanstalt, sondern die Hölle sei eine Erscheinung unseres
gegenwärtigen Lebens. Man sieht, dieser Priester schliesst sich genau
an Origenes und Erigena an, und kommt zu dem Schlusse: "die Hölle
vergeht und das Himmelreich besteht". Und noch eine Bemerkung
zeichnet seine Auffassung besonders drastisch. Er nennt Himmel und
Hölle "zwei gute sichere Wege für den Menschen in dieser Zeit"; er
giebt dem einen dieser "Wege" keinen grossen Vorzug vor dem anderen,
und meint, dem Menschen könne auch in der Hölle "gar recht und
so sicher sein als in dem Himmelreiche"! Diese Auffassung -- die
man so oder ähnlich bei anderen Mystikern, z. B. bei Eckhart's Schüler,
Tauler und Seuse, wiederfindet -- erhält bei Jakob Böhme besonders
häufigen und deutlichen Ausdruck, den Ausdruck eines Denkens, welches
den Gedanken weiter verfolgt hat und im Begriff ist, vom Negativen
zum Positiven überzugehen. So antwortet er z. B. auf die Frage:
"Wo fährt die Seele denn hin, wann der Leib stirbt, sie sei selig oder
verdammt?" "Sie bedarf keines Ausfahrens, sondern das äusserliche töt-
liche Leben samt dem Leibe scheiden sich nur von ihr. Sie hat Himmel
und Hölle zuvor in sich ..... denn Himmel und Hölle ist überall
gegenwärtig. Es ist nur eine Einwendung des Willens, entweder
in Gottes Liebe oder in Gottes Zorn, und solches geschieht bei Zeit
des Leibes.
"3) Hier ist nichts mehr undeutlich; denn, wie ein Jeder
sieht, wir stehen bereits mit beiden Füssen auf dem Boden einer neuen
Religion; insofern allerdings nicht neu, als Böhme sich gerade hier

1) Siehe S. 525 fg.
2) Ich erinnere daran, dass Wulfila die Begriffe Hölle und Teufel gar nicht
ins Gotische zu übersetzen vermochte, da diese glückliche Sprache keine derartige
Vorstellung kannte (S. 626). Hell war der Name der freundlichen Göttin des
Todes, sowie auch ihres Reiches, und deutet etymologisch auf "bergen," "ver-
hüllen," durchaus nicht auf Infernum (Heyne); Teufel ist die Verdeutschung des
lateinischen Diabolus.
3) Der Weg zu Christo, Buch 6, § 36, 37. Eine Vorstellung, die indo-
germanisches Erbgut ist und die Rasse des Verfassers unzweifelhaft bezeugt. Als
der Perser Omar Khyyam seine Seele auf Kundschaft ausgeschickt hat, kehrt sie
mit der Kunde zurück: "Ich selbst bin Himmel und Hölle" (Rubaiyat).

Die Entstehung einer neuen Welt
Loyola als die Seele der Religion lehrt,1) eine Kluft besteht, tiefer
als jene, welche einen Planeten vom anderen trennt. Es reden da
zwei radikal verschiedene Seelen: eine germanische und eine un-
germanische.2) Im folgenden Kapitel setzt nun dieser sogenannte
»Frankforter« noch weiter auseinander, es existiere überhaupt keine
Hölle in der gewöhnlichen, populären Auffassung des Begriffes als
zukünftige Strafanstalt, sondern die Hölle sei eine Erscheinung unseres
gegenwärtigen Lebens. Man sieht, dieser Priester schliesst sich genau
an Origenes und Erigena an, und kommt zu dem Schlusse: »die Hölle
vergeht und das Himmelreich besteht«. Und noch eine Bemerkung
zeichnet seine Auffassung besonders drastisch. Er nennt Himmel und
Hölle »zwei gute sichere Wege für den Menschen in dieser Zeit«; er
giebt dem einen dieser »Wege« keinen grossen Vorzug vor dem anderen,
und meint, dem Menschen könne auch in der Hölle »gar recht und
so sicher sein als in dem Himmelreiche«! Diese Auffassung — die
man so oder ähnlich bei anderen Mystikern, z. B. bei Eckhart’s Schüler,
Tauler und Seuse, wiederfindet — erhält bei Jakob Böhme besonders
häufigen und deutlichen Ausdruck, den Ausdruck eines Denkens, welches
den Gedanken weiter verfolgt hat und im Begriff ist, vom Negativen
zum Positiven überzugehen. So antwortet er z. B. auf die Frage:
»Wo fährt die Seele denn hin, wann der Leib stirbt, sie sei selig oder
verdammt?« »Sie bedarf keines Ausfahrens, sondern das äusserliche töt-
liche Leben samt dem Leibe scheiden sich nur von ihr. Sie hat Himmel
und Hölle zuvor in sich ..... denn Himmel und Hölle ist überall
gegenwärtig. Es ist nur eine Einwendung des Willens, entweder
in Gottes Liebe oder in Gottes Zorn, und solches geschieht bei Zeit
des Leibes.
«3) Hier ist nichts mehr undeutlich; denn, wie ein Jeder
sieht, wir stehen bereits mit beiden Füssen auf dem Boden einer neuen
Religion; insofern allerdings nicht neu, als Böhme sich gerade hier

1) Siehe S. 525 fg.
2) Ich erinnere daran, dass Wulfila die Begriffe Hölle und Teufel gar nicht
ins Gotische zu übersetzen vermochte, da diese glückliche Sprache keine derartige
Vorstellung kannte (S. 626). Hell war der Name der freundlichen Göttin des
Todes, sowie auch ihres Reiches, und deutet etymologisch auf »bergen,« »ver-
hüllen,« durchaus nicht auf Infernum (Heyne); Teufel ist die Verdeutschung des
lateinischen Diabolus.
3) Der Weg zu Christo, Buch 6, § 36, 37. Eine Vorstellung, die indo-
germanisches Erbgut ist und die Rasse des Verfassers unzweifelhaft bezeugt. Als
der Perser Omar Khyyám seine Seele auf Kundschaft ausgeschickt hat, kehrt sie
mit der Kunde zurück: »Ich selbst bin Himmel und Hölle« (Rubáiyát).
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[880/0359] Die Entstehung einer neuen Welt Loyola als die Seele der Religion lehrt, 1) eine Kluft besteht, tiefer als jene, welche einen Planeten vom anderen trennt. Es reden da zwei radikal verschiedene Seelen: eine germanische und eine un- germanische. 2) Im folgenden Kapitel setzt nun dieser sogenannte »Frankforter« noch weiter auseinander, es existiere überhaupt keine Hölle in der gewöhnlichen, populären Auffassung des Begriffes als zukünftige Strafanstalt, sondern die Hölle sei eine Erscheinung unseres gegenwärtigen Lebens. Man sieht, dieser Priester schliesst sich genau an Origenes und Erigena an, und kommt zu dem Schlusse: »die Hölle vergeht und das Himmelreich besteht«. Und noch eine Bemerkung zeichnet seine Auffassung besonders drastisch. Er nennt Himmel und Hölle »zwei gute sichere Wege für den Menschen in dieser Zeit«; er giebt dem einen dieser »Wege« keinen grossen Vorzug vor dem anderen, und meint, dem Menschen könne auch in der Hölle »gar recht und so sicher sein als in dem Himmelreiche«! Diese Auffassung — die man so oder ähnlich bei anderen Mystikern, z. B. bei Eckhart’s Schüler, Tauler und Seuse, wiederfindet — erhält bei Jakob Böhme besonders häufigen und deutlichen Ausdruck, den Ausdruck eines Denkens, welches den Gedanken weiter verfolgt hat und im Begriff ist, vom Negativen zum Positiven überzugehen. So antwortet er z. B. auf die Frage: »Wo fährt die Seele denn hin, wann der Leib stirbt, sie sei selig oder verdammt?« »Sie bedarf keines Ausfahrens, sondern das äusserliche töt- liche Leben samt dem Leibe scheiden sich nur von ihr. Sie hat Himmel und Hölle zuvor in sich ..... denn Himmel und Hölle ist überall gegenwärtig. Es ist nur eine Einwendung des Willens, entweder in Gottes Liebe oder in Gottes Zorn, und solches geschieht bei Zeit des Leibes.« 3) Hier ist nichts mehr undeutlich; denn, wie ein Jeder sieht, wir stehen bereits mit beiden Füssen auf dem Boden einer neuen Religion; insofern allerdings nicht neu, als Böhme sich gerade hier 1) Siehe S. 525 fg. 2) Ich erinnere daran, dass Wulfila die Begriffe Hölle und Teufel gar nicht ins Gotische zu übersetzen vermochte, da diese glückliche Sprache keine derartige Vorstellung kannte (S. 626). Hell war der Name der freundlichen Göttin des Todes, sowie auch ihres Reiches, und deutet etymologisch auf »bergen,« »ver- hüllen,« durchaus nicht auf Infernum (Heyne); Teufel ist die Verdeutschung des lateinischen Diabolus. 3) Der Weg zu Christo, Buch 6, § 36, 37. Eine Vorstellung, die indo- germanisches Erbgut ist und die Rasse des Verfassers unzweifelhaft bezeugt. Als der Perser Omar Khyyám seine Seele auf Kundschaft ausgeschickt hat, kehrt sie mit der Kunde zurück: »Ich selbst bin Himmel und Hölle« (Rubáiyát).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 880. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/359>, abgerufen am 29.04.2024.