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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
teles hatten sie es abgesehen, sondern auf das ganze herrschende System,
wonach die Logik, anstatt die Magd zu sein, als Königin auf dem
Throne sass. Unmittelbare Schüler des Telesius waren Campanella,
der Erkenntnistheoretiker, und Giordano Bruno, dessen kühner Geistes-
flug im voraus alles das zu einem prophetischen Gesamtüberblick zu-
sammenfasste, woran zwei Jahrhunderte fleissiger Forschung zu arbeiten
haben sollten; beide halfen wacker, das logische Idol auf den thönernen
Füssen herabzustürzen. Francis Bacon, der, obzwar als Philosoph mit
diesen beiden nicht zu vergleichen, doch einen weit grösseren Einfluss
ausgeübt hat, stand in direkter Abhängigkeit, einerseits zu Telesius,
anderseits zu Paracelsus, also zu zwei geschworenen Antiaristotelikern.
Mit seiner Kritik alles hellenischen Denkens schoss er freilich weit
über das Ziel hinaus, doch gelang es ihm gerade dadurch mehr oder
weniger tabula rasa für echte Wissenschaft und wissenschaftliche Philo-
sophie zu machen, für jene einzig richtige Methode, die er in der Vor-
rede zu seiner Instauratio magna treffend bezeichnet als: inter empiri-
cam et rationalem facultatem conjugium verum et legitimum.
Es
dauerte nicht lange und aus dem Schosse der römischen Kirche trat ein
Gassendi (1592--1655) mit Antiaristotelischen Übungen hervor, "einem
der schärfsten und übermütigsten Angriffe gegen die aristotelische
Philosophie", sagt Lange; hielt der junge Priester es auch für klüger,
sein Buch bis auf Bruchstücke zu verbrennen, es bleibt doch ein
Zeichen der Zeiten, um so mehr, als gerade dieser Gassendi ein Haupt-
förderer der Beobachtungswissenschaften und der streng mathematisch-
mechanischen Deutung der Naturphänomene wurde. Aristoteles hatte
den verhängnisvollen Schritt von Naturbetrachtung zu Theologie
gethan; jetzt kommt ein Theolog, zerstört die aristotelischen Trug-
schlüsse und führt den Menschengeist zurück zur reinen Naturbe-
trachtung.

Die
Beobachtung
der Natur.

Der Hauptpunkt in den neuen philosophischen Bestrebungen --
von Roger Bacon im 13. bis zu Kant an der Schwelle des 19. Jahr-
hunderts -- ist also die prinzipielle Betonung der Beobachtung als
Quelle des Wissens. Die Übung in der treuen Beobachtung der Natur
bildet darum fortan die Legitimation jedes ernst zu nehmenden Philo-
sophen. Das Wort Natur muss natürlich im umfassenden Sinne ge-
nommen werden; so hat z. B. Hobbes hauptsächlich die menschliche
Gesellschaft studiert, nicht Physik oder Medizin, er hat aber an diesem
Stück Natur seine Beobachtungsgabe bewährt und auch darin seine
Wissenschaftlichkeit bekundet, dass er sein Denken fast ausschliesslich

Die Entstehung einer neuen Welt.
teles hatten sie es abgesehen, sondern auf das ganze herrschende System,
wonach die Logik, anstatt die Magd zu sein, als Königin auf dem
Throne sass. Unmittelbare Schüler des Telesius waren Campanella,
der Erkenntnistheoretiker, und Giordano Bruno, dessen kühner Geistes-
flug im voraus alles das zu einem prophetischen Gesamtüberblick zu-
sammenfasste, woran zwei Jahrhunderte fleissiger Forschung zu arbeiten
haben sollten; beide halfen wacker, das logische Idol auf den thönernen
Füssen herabzustürzen. Francis Bacon, der, obzwar als Philosoph mit
diesen beiden nicht zu vergleichen, doch einen weit grösseren Einfluss
ausgeübt hat, stand in direkter Abhängigkeit, einerseits zu Telesius,
anderseits zu Paracelsus, also zu zwei geschworenen Antiaristotelikern.
Mit seiner Kritik alles hellenischen Denkens schoss er freilich weit
über das Ziel hinaus, doch gelang es ihm gerade dadurch mehr oder
weniger tabula rasa für echte Wissenschaft und wissenschaftliche Philo-
sophie zu machen, für jene einzig richtige Methode, die er in der Vor-
rede zu seiner Instauratio magna treffend bezeichnet als: inter empiri-
cam et rationalem facultatem conjugium verum et legitimum.
Es
dauerte nicht lange und aus dem Schosse der römischen Kirche trat ein
Gassendi (1592—1655) mit Antiaristotelischen Übungen hervor, »einem
der schärfsten und übermütigsten Angriffe gegen die aristotelische
Philosophie«, sagt Lange; hielt der junge Priester es auch für klüger,
sein Buch bis auf Bruchstücke zu verbrennen, es bleibt doch ein
Zeichen der Zeiten, um so mehr, als gerade dieser Gassendi ein Haupt-
förderer der Beobachtungswissenschaften und der streng mathematisch-
mechanischen Deutung der Naturphänomene wurde. Aristoteles hatte
den verhängnisvollen Schritt von Naturbetrachtung zu Theologie
gethan; jetzt kommt ein Theolog, zerstört die aristotelischen Trug-
schlüsse und führt den Menschengeist zurück zur reinen Naturbe-
trachtung.

Die
Beobachtung
der Natur.

Der Hauptpunkt in den neuen philosophischen Bestrebungen —
von Roger Bacon im 13. bis zu Kant an der Schwelle des 19. Jahr-
hunderts — ist also die prinzipielle Betonung der Beobachtung als
Quelle des Wissens. Die Übung in der treuen Beobachtung der Natur
bildet darum fortan die Legitimation jedes ernst zu nehmenden Philo-
sophen. Das Wort Natur muss natürlich im umfassenden Sinne ge-
nommen werden; so hat z. B. Hobbes hauptsächlich die menschliche
Gesellschaft studiert, nicht Physik oder Medizin, er hat aber an diesem
Stück Natur seine Beobachtungsgabe bewährt und auch darin seine
Wissenschaftlichkeit bekundet, dass er sein Denken fast ausschliesslich

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[900/0379] Die Entstehung einer neuen Welt. teles hatten sie es abgesehen, sondern auf das ganze herrschende System, wonach die Logik, anstatt die Magd zu sein, als Königin auf dem Throne sass. Unmittelbare Schüler des Telesius waren Campanella, der Erkenntnistheoretiker, und Giordano Bruno, dessen kühner Geistes- flug im voraus alles das zu einem prophetischen Gesamtüberblick zu- sammenfasste, woran zwei Jahrhunderte fleissiger Forschung zu arbeiten haben sollten; beide halfen wacker, das logische Idol auf den thönernen Füssen herabzustürzen. Francis Bacon, der, obzwar als Philosoph mit diesen beiden nicht zu vergleichen, doch einen weit grösseren Einfluss ausgeübt hat, stand in direkter Abhängigkeit, einerseits zu Telesius, anderseits zu Paracelsus, also zu zwei geschworenen Antiaristotelikern. Mit seiner Kritik alles hellenischen Denkens schoss er freilich weit über das Ziel hinaus, doch gelang es ihm gerade dadurch mehr oder weniger tabula rasa für echte Wissenschaft und wissenschaftliche Philo- sophie zu machen, für jene einzig richtige Methode, die er in der Vor- rede zu seiner Instauratio magna treffend bezeichnet als: inter empiri- cam et rationalem facultatem conjugium verum et legitimum. Es dauerte nicht lange und aus dem Schosse der römischen Kirche trat ein Gassendi (1592—1655) mit Antiaristotelischen Übungen hervor, »einem der schärfsten und übermütigsten Angriffe gegen die aristotelische Philosophie«, sagt Lange; hielt der junge Priester es auch für klüger, sein Buch bis auf Bruchstücke zu verbrennen, es bleibt doch ein Zeichen der Zeiten, um so mehr, als gerade dieser Gassendi ein Haupt- förderer der Beobachtungswissenschaften und der streng mathematisch- mechanischen Deutung der Naturphänomene wurde. Aristoteles hatte den verhängnisvollen Schritt von Naturbetrachtung zu Theologie gethan; jetzt kommt ein Theolog, zerstört die aristotelischen Trug- schlüsse und führt den Menschengeist zurück zur reinen Naturbe- trachtung. Der Hauptpunkt in den neuen philosophischen Bestrebungen — von Roger Bacon im 13. bis zu Kant an der Schwelle des 19. Jahr- hunderts — ist also die prinzipielle Betonung der Beobachtung als Quelle des Wissens. Die Übung in der treuen Beobachtung der Natur bildet darum fortan die Legitimation jedes ernst zu nehmenden Philo- sophen. Das Wort Natur muss natürlich im umfassenden Sinne ge- nommen werden; so hat z. B. Hobbes hauptsächlich die menschliche Gesellschaft studiert, nicht Physik oder Medizin, er hat aber an diesem Stück Natur seine Beobachtungsgabe bewährt und auch darin seine Wissenschaftlichkeit bekundet, dass er sein Denken fast ausschliesslich

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 900. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/379>, abgerufen am 29.04.2024.