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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
tums -- einem Geist, der freilich vielfach bis zur Unkenntlichkeit von
anderen Elementen durchsetzt und getrübt war und von seiner früheren
Kraft und Schönheit viel eingebüsst hatte. Dieser Kampf wurde hart-
näckig und schonungslos, nicht mit Argumenten allein, sondern mit
allen Mitteln der List, der Vergewaltigung, der Bestechung, der Ignoranz,
sowie namentlich mit kluger Benützung aller politischen Konjunkturen
geführt. Dass in einem solchen Kampf Rom siegen musste, ist klar;
namentlich da in jenen frühen Zeiten (bis zum Tode des Theodosius)
der Kaiser das thatsächliche Oberhaupt der Kirche auch in dogmatischen
Dingen war, und die Kaiser -- trotz des Einflusses, den grosse und
heilige Metropolitane in Byzanz vorübergehend auf sie ausübten -- stets
mit dem unfehlbaren Urteil erfahrener Politiker empfanden, einzig
Rom sei fähig Einheit, Organisation, Disziplin, durchzuführen. Wie hätte
metaphysisches Grübeln und mystische Versenkung gegen praktisch-
systematische Politik siegen sollen? So war es z. B. Konstantin I. --
der noch nicht getaufte Gattin- und Kindermörder, derselbe Mann,
der durch besondere Erlässe die Stellung der heidnischen Auguren
im Reiche befestigte -- Konstantin war es, der die erste ökumenische
Synode zusammenberief (325 in Nicäa), und der gegen die erdrückende
Mehrheit der Bischöfe seinen Willen, d. h. die Lehren seines ägyp-
tischen Schützlings, Athanasius, durchsetzte.1) So entstand das sogenannte
nicänische Glaubensbekenntnis: auf der einen Seite die kluge
Berechnung eines zielbewussten, gewissenlosen, gänzlich unchristlichen
Politikers, der sich nur die eine Frage vorlegte: wie knechte ich
meine Unterthanen am vollkommensten; auf der anderen die feige
Unaufrichtigkeit eingeschüchterter Prälaten, die ihre Unterschrift unter
etwas, was sie für falsch hielten, setzten, und sobald sie in ihre Diözese
zurückgekehrt waren, dagegen zu agitieren begannen. Bei weitem das
Interessanteste in Bezug auf dieses erste und grundlegende Kirchen-
konzil ist für uns Laien die Thatsache, dass die Mehrzahl der Bischöfe,
als echte Schüler des Origenes, überhaupt gegen alle Einsperrung des
Gewissens in derartige geistige Zwangsjacken waren und eine Glaubens-
formel verlangt hatten, weit genug, um in den Dingen, die den mensch-
lichen Verstand übersteigen freien Spielraum zu lassen, und somit

1) Wie ausschliesslich von politischen, gar nicht von religiösen Rücksichten
Konstantin sich hierbei leiten liess, indem er nämlich, durch seine Umgebung für
Arius eingenommen, dennoch die Gegenpartei ergriff, sobald er merkte, dass diese
stärkere Bürgschaften kräftiger Organisation, kurz mehr Hoffnung auf politischen
Bestand bot, kann man in Bernouilli: Das Konzil von Nicäa lesen.

Religion.
tums — einem Geist, der freilich vielfach bis zur Unkenntlichkeit von
anderen Elementen durchsetzt und getrübt war und von seiner früheren
Kraft und Schönheit viel eingebüsst hatte. Dieser Kampf wurde hart-
näckig und schonungslos, nicht mit Argumenten allein, sondern mit
allen Mitteln der List, der Vergewaltigung, der Bestechung, der Ignoranz,
sowie namentlich mit kluger Benützung aller politischen Konjunkturen
geführt. Dass in einem solchen Kampf Rom siegen musste, ist klar;
namentlich da in jenen frühen Zeiten (bis zum Tode des Theodosius)
der Kaiser das thatsächliche Oberhaupt der Kirche auch in dogmatischen
Dingen war, und die Kaiser — trotz des Einflusses, den grosse und
heilige Metropolitane in Byzanz vorübergehend auf sie ausübten — stets
mit dem unfehlbaren Urteil erfahrener Politiker empfanden, einzig
Rom sei fähig Einheit, Organisation, Disziplin, durchzuführen. Wie hätte
metaphysisches Grübeln und mystische Versenkung gegen praktisch-
systematische Politik siegen sollen? So war es z. B. Konstantin I. —
der noch nicht getaufte Gattin- und Kindermörder, derselbe Mann,
der durch besondere Erlässe die Stellung der heidnischen Auguren
im Reiche befestigte — Konstantin war es, der die erste ökumenische
Synode zusammenberief (325 in Nicäa), und der gegen die erdrückende
Mehrheit der Bischöfe seinen Willen, d. h. die Lehren seines ägyp-
tischen Schützlings, Athanasius, durchsetzte.1) So entstand das sogenannte
nicänische Glaubensbekenntnis: auf der einen Seite die kluge
Berechnung eines zielbewussten, gewissenlosen, gänzlich unchristlichen
Politikers, der sich nur die eine Frage vorlegte: wie knechte ich
meine Unterthanen am vollkommensten; auf der anderen die feige
Unaufrichtigkeit eingeschüchterter Prälaten, die ihre Unterschrift unter
etwas, was sie für falsch hielten, setzten, und sobald sie in ihre Diözese
zurückgekehrt waren, dagegen zu agitieren begannen. Bei weitem das
Interessanteste in Bezug auf dieses erste und grundlegende Kirchen-
konzil ist für uns Laien die Thatsache, dass die Mehrzahl der Bischöfe,
als echte Schüler des Origenes, überhaupt gegen alle Einsperrung des
Gewissens in derartige geistige Zwangsjacken waren und eine Glaubens-
formel verlangt hatten, weit genug, um in den Dingen, die den mensch-
lichen Verstand übersteigen freien Spielraum zu lassen, und somit

1) Wie ausschliesslich von politischen, gar nicht von religiösen Rücksichten
Konstantin sich hierbei leiten liess, indem er nämlich, durch seine Umgebung für
Arius eingenommen, dennoch die Gegenpartei ergriff, sobald er merkte, dass diese
stärkere Bürgschaften kräftiger Organisation, kurz mehr Hoffnung auf politischen
Bestand bot, kann man in Bernouilli: Das Konzil von Nicäa lesen.
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[603/0082] Religion. tums — einem Geist, der freilich vielfach bis zur Unkenntlichkeit von anderen Elementen durchsetzt und getrübt war und von seiner früheren Kraft und Schönheit viel eingebüsst hatte. Dieser Kampf wurde hart- näckig und schonungslos, nicht mit Argumenten allein, sondern mit allen Mitteln der List, der Vergewaltigung, der Bestechung, der Ignoranz, sowie namentlich mit kluger Benützung aller politischen Konjunkturen geführt. Dass in einem solchen Kampf Rom siegen musste, ist klar; namentlich da in jenen frühen Zeiten (bis zum Tode des Theodosius) der Kaiser das thatsächliche Oberhaupt der Kirche auch in dogmatischen Dingen war, und die Kaiser — trotz des Einflusses, den grosse und heilige Metropolitane in Byzanz vorübergehend auf sie ausübten — stets mit dem unfehlbaren Urteil erfahrener Politiker empfanden, einzig Rom sei fähig Einheit, Organisation, Disziplin, durchzuführen. Wie hätte metaphysisches Grübeln und mystische Versenkung gegen praktisch- systematische Politik siegen sollen? So war es z. B. Konstantin I. — der noch nicht getaufte Gattin- und Kindermörder, derselbe Mann, der durch besondere Erlässe die Stellung der heidnischen Auguren im Reiche befestigte — Konstantin war es, der die erste ökumenische Synode zusammenberief (325 in Nicäa), und der gegen die erdrückende Mehrheit der Bischöfe seinen Willen, d. h. die Lehren seines ägyp- tischen Schützlings, Athanasius, durchsetzte. 1) So entstand das sogenannte nicänische Glaubensbekenntnis: auf der einen Seite die kluge Berechnung eines zielbewussten, gewissenlosen, gänzlich unchristlichen Politikers, der sich nur die eine Frage vorlegte: wie knechte ich meine Unterthanen am vollkommensten; auf der anderen die feige Unaufrichtigkeit eingeschüchterter Prälaten, die ihre Unterschrift unter etwas, was sie für falsch hielten, setzten, und sobald sie in ihre Diözese zurückgekehrt waren, dagegen zu agitieren begannen. Bei weitem das Interessanteste in Bezug auf dieses erste und grundlegende Kirchen- konzil ist für uns Laien die Thatsache, dass die Mehrzahl der Bischöfe, als echte Schüler des Origenes, überhaupt gegen alle Einsperrung des Gewissens in derartige geistige Zwangsjacken waren und eine Glaubens- formel verlangt hatten, weit genug, um in den Dingen, die den mensch- lichen Verstand übersteigen freien Spielraum zu lassen, und somit 1) Wie ausschliesslich von politischen, gar nicht von religiösen Rücksichten Konstantin sich hierbei leiten liess, indem er nämlich, durch seine Umgebung für Arius eingenommen, dennoch die Gegenpartei ergriff, sobald er merkte, dass diese stärkere Bürgschaften kräftiger Organisation, kurz mehr Hoffnung auf politischen Bestand bot, kann man in Bernouilli: Das Konzil von Nicäa lesen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/82>, abgerufen am 26.04.2024.