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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Das Unvermeidliche.
wollte, um sie desto grausamer vernichten zu können:
einen Augenblick schien es, als ob er bewegt werde. Aber
sein Auge nahm sogleich wieder seine ausdruckslose Kälte
an und er sagte einförmig ruhig:

"Ich bedaure, Ihnen keine andere Antwort geben
zu können, und will Sie nicht Ihrer Zeit berauben, die
Sie vielleicht zu weiteren Schritten benutzen werden."--

Arthur ging. Er wendete sich zunächst mit seinem
Gesuch an das Obergericht, erhielt aber zur Antwort,
daß dasselbe in diesem Falle, bevor nicht die Untersu¬
chungsakten geschlossen waren, inkompetent sei; man
müsse es ihm überlassen, sich an das Ministerium zu
wenden. Ehe er aber von diesem einen Entscheid ein¬
holen konnte, war seine Mutter bereits verschieden.

Ihre letzten Augenblicke waren voll bitterer Schmer¬
zen gewesen und Arthur litt unaussprechlich dabei. Die
Kranke hatte bis zum Todeskampf ihre volle Besinnung
behalten, und in der Qual des Sterbens rief sie umsonst
den Namen ihres Gatten. Bei jedem Geräusch wende¬
ten sich ihre brechenden Augen nach der Thür, ihre zit¬
ternden Hände tasteten zuletzt noch suchend auf der Decke,
um die Hand des Ersehnten zu drücken, und aus ihrem

Das Unvermeidliche.
wollte, um ſie deſto grauſamer vernichten zu koͤnnen:
einen Augenblick ſchien es, als ob er bewegt werde. Aber
ſein Auge nahm ſogleich wieder ſeine ausdrucksloſe Kaͤlte
an und er ſagte einfoͤrmig ruhig:

„Ich bedaure, Ihnen keine andere Antwort geben
zu koͤnnen, und will Sie nicht Ihrer Zeit berauben, die
Sie vielleicht zu weiteren Schritten benutzen werden.“—

Arthur ging. Er wendete ſich zunaͤchſt mit ſeinem
Geſuch an das Obergericht, erhielt aber zur Antwort,
daß daſſelbe in dieſem Falle, bevor nicht die Unterſu¬
chungsakten geſchloſſen waren, inkompetent ſei; man
muͤſſe es ihm uͤberlaſſen, ſich an das Miniſterium zu
wenden. Ehe er aber von dieſem einen Entſcheid ein¬
holen konnte, war ſeine Mutter bereits verſchieden.

Ihre letzten Augenblicke waren voll bitterer Schmer¬
zen geweſen und Arthur litt unausſprechlich dabei. Die
Kranke hatte bis zum Todeskampf ihre volle Beſinnung
behalten, und in der Qual des Sterbens rief ſie umſonſt
den Namen ihres Gatten. Bei jedem Geraͤuſch wende¬
ten ſich ihre brechenden Augen nach der Thuͤr, ihre zit¬
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[167/0181] Das Unvermeidliche. wollte, um ſie deſto grauſamer vernichten zu koͤnnen: einen Augenblick ſchien es, als ob er bewegt werde. Aber ſein Auge nahm ſogleich wieder ſeine ausdrucksloſe Kaͤlte an und er ſagte einfoͤrmig ruhig: „Ich bedaure, Ihnen keine andere Antwort geben zu koͤnnen, und will Sie nicht Ihrer Zeit berauben, die Sie vielleicht zu weiteren Schritten benutzen werden.“— Arthur ging. Er wendete ſich zunaͤchſt mit ſeinem Geſuch an das Obergericht, erhielt aber zur Antwort, daß daſſelbe in dieſem Falle, bevor nicht die Unterſu¬ chungsakten geſchloſſen waren, inkompetent ſei; man muͤſſe es ihm uͤberlaſſen, ſich an das Miniſterium zu wenden. Ehe er aber von dieſem einen Entſcheid ein¬ holen konnte, war ſeine Mutter bereits verſchieden. Ihre letzten Augenblicke waren voll bitterer Schmer¬ zen geweſen und Arthur litt unausſprechlich dabei. Die Kranke hatte bis zum Todeskampf ihre volle Beſinnung behalten, und in der Qual des Sterbens rief ſie umſonſt den Namen ihres Gatten. Bei jedem Geraͤuſch wende¬ ten ſich ihre brechenden Augen nach der Thuͤr, ihre zit¬ ternden Haͤnde taſteten zuletzt noch ſuchend auf der Decke, um die Hand des Erſehnten zu druͤcken, und aus ihrem

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/181>, abgerufen am 30.04.2024.