Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Publikum. -- Und dennoch, erwiederte Otto nach einer
kurzen Pause, wenn alle so dächten, so müßte die
dramatische Poesie in der Luft spielen und die Bühne
zu Grunde gehen. -- Ja, das hoff' ich auch! sagte
Lothario, die Dichter müssen nur nicht nachgeben, son¬
dern die Theater poetisch aushungern, sie an ihrer eige¬
nen Misere und Langweiligkeit allmählig verschmach¬
ten
lassen und unterdeß draußen frisch und keck die
Welt auf ihre eigne Hand dramatisiren. Das Publi¬
kum ist so dumm gerade nicht, wie es aussieht. Ist
es erst im Buch an die ursprüngliche Schönheit wie¬
der gewöhnt, so wird es auch die Bühnen schon zwin¬
gen, sich zu accommodiren. Aus der alten guten
Poesie kann sich ein neues Theater bilden, nimmer¬
mehr aber eine neue Poesie aus den kranken Gelüsten
des Publikums und der Pedanterei der Theatermaschi¬
nisten. Und überhaupt, junger Mensch, fuhr er fort,
wollt Ihr ein Dichter werden -- und ich meine, Ihr
habt die unglückliche Disposition dazu -- so müßt Ihr
Euch ein für allemal daran gewöhnen, für die Hand¬
voll Gescheuter im Lande zu dichten und nach den
andern nicht zu fragen. Vor allem aber müßt Ihr
Euch hier von uns Komödianten und Frauenzimmern
losmachen, denn wer sich so in der Rumpelkammer des
Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermäuse an
den Kopf, und es wäre Schade um Euer weiches
Flachshaar.

Publikum. — Und dennoch, erwiederte Otto nach einer
kurzen Pauſe, wenn alle ſo daͤchten, ſo muͤßte die
dramatiſche Poeſie in der Luft ſpielen und die Buͤhne
zu Grunde gehen. — Ja, das hoff' ich auch! ſagte
Lothario, die Dichter muͤſſen nur nicht nachgeben, ſon¬
dern die Theater poetiſch aushungern, ſie an ihrer eige¬
nen Miſere und Langweiligkeit allmaͤhlig verſchmach¬
ten
laſſen und unterdeß draußen friſch und keck die
Welt auf ihre eigne Hand dramatiſiren. Das Publi¬
kum iſt ſo dumm gerade nicht, wie es ausſieht. Iſt
es erſt im Buch an die urſpruͤngliche Schoͤnheit wie¬
der gewoͤhnt, ſo wird es auch die Buͤhnen ſchon zwin¬
gen, ſich zu accommodiren. Aus der alten guten
Poeſie kann ſich ein neues Theater bilden, nimmer¬
mehr aber eine neue Poeſie aus den kranken Geluͤſten
des Publikums und der Pedanterei der Theatermaſchi¬
niſten. Und uͤberhaupt, junger Menſch, fuhr er fort,
wollt Ihr ein Dichter werden — und ich meine, Ihr
habt die ungluͤckliche Dispoſition dazu — ſo muͤßt Ihr
Euch ein fuͤr allemal daran gewoͤhnen, fuͤr die Hand¬
voll Geſcheuter im Lande zu dichten und nach den
andern nicht zu fragen. Vor allem aber muͤßt Ihr
Euch hier von uns Komoͤdianten und Frauenzimmern
losmachen, denn wer ſich ſo in der Rumpelkammer des
Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermaͤuſe an
den Kopf, und es waͤre Schade um Euer weiches
Flachshaar.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="148"/>
Publikum. &#x2014; Und dennoch, erwiederte Otto nach einer<lb/>
kurzen Pau&#x017F;e, wenn alle &#x017F;o da&#x0364;chten, &#x017F;o mu&#x0364;ßte die<lb/>
dramati&#x017F;che Poe&#x017F;ie in der Luft &#x017F;pielen und die Bu&#x0364;hne<lb/>
zu Grunde gehen. &#x2014; Ja, das hoff' ich auch! &#x017F;agte<lb/>
Lothario, die Dichter mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nur nicht nachgeben, &#x017F;on¬<lb/>
dern die Theater poeti&#x017F;ch aushungern, &#x017F;ie an ihrer eige¬<lb/>
nen Mi&#x017F;ere und Langweiligkeit allma&#x0364;hlig <choice><sic>ver&#x017F;chmach¬<lb/>
etn</sic><corr>ver&#x017F;chmach¬<lb/>
ten</corr></choice> la&#x017F;&#x017F;en und unterdeß draußen fri&#x017F;ch und keck die<lb/>
Welt auf ihre eigne Hand dramati&#x017F;iren. Das Publi¬<lb/>
kum i&#x017F;t &#x017F;o dumm gerade nicht, wie es aus&#x017F;ieht. I&#x017F;t<lb/>
es er&#x017F;t im Buch an die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Scho&#x0364;nheit wie¬<lb/>
der gewo&#x0364;hnt, &#x017F;o wird es auch die Bu&#x0364;hnen &#x017F;chon zwin¬<lb/>
gen, &#x017F;ich zu accommodiren. Aus der alten guten<lb/>
Poe&#x017F;ie kann &#x017F;ich ein neues Theater bilden, nimmer¬<lb/>
mehr aber eine neue Poe&#x017F;ie aus den kranken Gelu&#x0364;&#x017F;ten<lb/>
des Publikums und der Pedanterei der Theaterma&#x017F;chi¬<lb/>
ni&#x017F;ten. Und u&#x0364;berhaupt, junger Men&#x017F;ch, fuhr er fort,<lb/>
wollt Ihr ein Dichter werden &#x2014; und ich meine, Ihr<lb/>
habt die unglu&#x0364;ckliche Dispo&#x017F;ition dazu &#x2014; &#x017F;o mu&#x0364;ßt Ihr<lb/>
Euch ein fu&#x0364;r allemal daran gewo&#x0364;hnen, fu&#x0364;r die Hand¬<lb/>
voll Ge&#x017F;cheuter im Lande zu dichten und nach den<lb/>
andern nicht zu fragen. Vor allem aber mu&#x0364;ßt Ihr<lb/>
Euch hier von uns Komo&#x0364;dianten und Frauenzimmern<lb/>
losmachen, denn wer &#x017F;ich &#x017F;o in der Rumpelkammer des<lb/>
Lebens herumtreibt, dem fliegen die Flederma&#x0364;u&#x017F;e an<lb/>
den Kopf, und es wa&#x0364;re Schade um Euer weiches<lb/>
Flachshaar.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0155] Publikum. — Und dennoch, erwiederte Otto nach einer kurzen Pauſe, wenn alle ſo daͤchten, ſo muͤßte die dramatiſche Poeſie in der Luft ſpielen und die Buͤhne zu Grunde gehen. — Ja, das hoff' ich auch! ſagte Lothario, die Dichter muͤſſen nur nicht nachgeben, ſon¬ dern die Theater poetiſch aushungern, ſie an ihrer eige¬ nen Miſere und Langweiligkeit allmaͤhlig verſchmach¬ ten laſſen und unterdeß draußen friſch und keck die Welt auf ihre eigne Hand dramatiſiren. Das Publi¬ kum iſt ſo dumm gerade nicht, wie es ausſieht. Iſt es erſt im Buch an die urſpruͤngliche Schoͤnheit wie¬ der gewoͤhnt, ſo wird es auch die Buͤhnen ſchon zwin¬ gen, ſich zu accommodiren. Aus der alten guten Poeſie kann ſich ein neues Theater bilden, nimmer¬ mehr aber eine neue Poeſie aus den kranken Geluͤſten des Publikums und der Pedanterei der Theatermaſchi¬ niſten. Und uͤberhaupt, junger Menſch, fuhr er fort, wollt Ihr ein Dichter werden — und ich meine, Ihr habt die ungluͤckliche Dispoſition dazu — ſo muͤßt Ihr Euch ein fuͤr allemal daran gewoͤhnen, fuͤr die Hand¬ voll Geſcheuter im Lande zu dichten und nach den andern nicht zu fragen. Vor allem aber muͤßt Ihr Euch hier von uns Komoͤdianten und Frauenzimmern losmachen, denn wer ſich ſo in der Rumpelkammer des Lebens herumtreibt, dem fliegen die Fledermaͤuſe an den Kopf, und es waͤre Schade um Euer weiches Flachshaar.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/155
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/155>, abgerufen am 28.04.2024.