Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen, lang und dünn wie der Perpendikel einer Thurm¬
uhr. -- Oder einer Spieluhr, denn ich hört' es wohl
herüberklingen, fiel ihr Fiametta ins Wort, während
sie ihr Füßchen auf den Nacken eines umgestürzten
Apollos stellte und sich die zierlichen Schuhe festband.
Jetzt sahen sie auf einmal zwischen den Zweigen hin¬
durch den besprochenen Gast selbst, sich streckend und
dehnend, aus der Schloßthür treten und verschlüpften,
wie Lacerten, schnell zwischen Blumen und Unkraut
hinter ein halbverfallenes Gemäuer, wo er vorüber
mußte, und durch dessen Ritze sie ihn ungesehen be¬
trachten konnten. Lenore fand ihn sehr schön. Fia¬
metta dagegen kritisirte, heimlich flüsternd, sein schlich¬
tes braunes Haar, seinen dreisten Gang und seltsa¬
men Anzug. -- Als er an die Mauer kam, sagte sie
leis: ich schreck' ihn. Lenore fuhr abwehrend nach
ihrer Hand, aber die kleine Marchesin hatte schon den,
über die Mauer herüberlangenden Ast eines blühenden
Apfelbaumes gefaßt und schüttelte kurz und rasch, daß
Fortunat von den Blütenflocken ganz verschneit war;
dann liefen sie beide schnell davon.

Fortunat aber war heute längst über alles Ver¬
wundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen
Trümaux blickend, der Himmel und Bäume abspiegelte,
hatte er geglaubt, so entkleidet mitten im Garten zu
liegen und war erschrocken aufgesprungen; da hörte er
draußen Lachen und Mädchenstimmen in den schönen

ſehen, lang und duͤnn wie der Perpendikel einer Thurm¬
uhr. — Oder einer Spieluhr, denn ich hoͤrt' es wohl
heruͤberklingen, fiel ihr Fiametta ins Wort, waͤhrend
ſie ihr Fuͤßchen auf den Nacken eines umgeſtuͤrzten
Apollos ſtellte und ſich die zierlichen Schuhe feſtband.
Jetzt ſahen ſie auf einmal zwiſchen den Zweigen hin¬
durch den beſprochenen Gaſt ſelbſt, ſich ſtreckend und
dehnend, aus der Schloßthuͤr treten und verſchluͤpften,
wie Lacerten, ſchnell zwiſchen Blumen und Unkraut
hinter ein halbverfallenes Gemaͤuer, wo er voruͤber
mußte, und durch deſſen Ritze ſie ihn ungeſehen be¬
trachten konnten. Lenore fand ihn ſehr ſchoͤn. Fia¬
metta dagegen kritiſirte, heimlich fluͤſternd, ſein ſchlich¬
tes braunes Haar, ſeinen dreiſten Gang und ſeltſa¬
men Anzug. — Als er an die Mauer kam, ſagte ſie
leis: ich ſchreck' ihn. Lenore fuhr abwehrend nach
ihrer Hand, aber die kleine Marcheſin hatte ſchon den,
uͤber die Mauer heruͤberlangenden Aſt eines bluͤhenden
Apfelbaumes gefaßt und ſchuͤttelte kurz und raſch, daß
Fortunat von den Bluͤtenflocken ganz verſchneit war;
dann liefen ſie beide ſchnell davon.

Fortunat aber war heute laͤngſt uͤber alles Ver¬
wundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen
Truͤmaux blickend, der Himmel und Baͤume abſpiegelte,
hatte er geglaubt, ſo entkleidet mitten im Garten zu
liegen und war erſchrocken aufgeſprungen; da hoͤrte er
draußen Lachen und Maͤdchenſtimmen in den ſchoͤnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="190"/>
&#x017F;ehen, lang und du&#x0364;nn wie der Perpendikel einer Thurm¬<lb/>
uhr. &#x2014; Oder einer Spieluhr, denn ich ho&#x0364;rt' es wohl<lb/>
heru&#x0364;berklingen, fiel ihr Fiametta ins Wort, wa&#x0364;hrend<lb/>
&#x017F;ie ihr Fu&#x0364;ßchen auf den Nacken eines umge&#x017F;tu&#x0364;rzten<lb/>
Apollos &#x017F;tellte und &#x017F;ich die zierlichen Schuhe fe&#x017F;tband.<lb/>
Jetzt &#x017F;ahen &#x017F;ie auf einmal zwi&#x017F;chen den Zweigen hin¬<lb/>
durch den be&#x017F;prochenen Ga&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ich &#x017F;treckend und<lb/>
dehnend, aus der Schloßthu&#x0364;r treten und ver&#x017F;chlu&#x0364;pften,<lb/>
wie Lacerten, &#x017F;chnell zwi&#x017F;chen Blumen und Unkraut<lb/>
hinter ein halbverfallenes Gema&#x0364;uer, wo er voru&#x0364;ber<lb/>
mußte, und durch de&#x017F;&#x017F;en Ritze &#x017F;ie ihn unge&#x017F;ehen be¬<lb/>
trachten konnten. Lenore fand ihn &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n. Fia¬<lb/>
metta dagegen kriti&#x017F;irte, heimlich flu&#x0364;&#x017F;ternd, &#x017F;ein &#x017F;chlich¬<lb/>
tes braunes Haar, &#x017F;einen drei&#x017F;ten Gang und &#x017F;elt&#x017F;<lb/>
men Anzug. &#x2014; Als er an die Mauer kam, &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
leis: ich &#x017F;chreck' ihn. Lenore fuhr abwehrend nach<lb/>
ihrer Hand, aber die kleine Marche&#x017F;in hatte &#x017F;chon den,<lb/>
u&#x0364;ber die Mauer heru&#x0364;berlangenden A&#x017F;t eines blu&#x0364;henden<lb/>
Apfelbaumes gefaßt und &#x017F;chu&#x0364;ttelte kurz und ra&#x017F;ch, daß<lb/>
Fortunat von den Blu&#x0364;tenflocken ganz ver&#x017F;chneit war;<lb/>
dann liefen &#x017F;ie beide &#x017F;chnell davon.</p><lb/>
          <p>Fortunat aber war heute la&#x0364;ng&#x017F;t u&#x0364;ber alles Ver¬<lb/>
wundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen<lb/>
Tru&#x0364;maux blickend, der Himmel und Ba&#x0364;ume ab&#x017F;piegelte,<lb/>
hatte er geglaubt, &#x017F;o entkleidet mitten im Garten zu<lb/>
liegen und war er&#x017F;chrocken aufge&#x017F;prungen; da ho&#x0364;rte er<lb/>
draußen Lachen und Ma&#x0364;dchen&#x017F;timmen in den &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0197] ſehen, lang und duͤnn wie der Perpendikel einer Thurm¬ uhr. — Oder einer Spieluhr, denn ich hoͤrt' es wohl heruͤberklingen, fiel ihr Fiametta ins Wort, waͤhrend ſie ihr Fuͤßchen auf den Nacken eines umgeſtuͤrzten Apollos ſtellte und ſich die zierlichen Schuhe feſtband. Jetzt ſahen ſie auf einmal zwiſchen den Zweigen hin¬ durch den beſprochenen Gaſt ſelbſt, ſich ſtreckend und dehnend, aus der Schloßthuͤr treten und verſchluͤpften, wie Lacerten, ſchnell zwiſchen Blumen und Unkraut hinter ein halbverfallenes Gemaͤuer, wo er voruͤber mußte, und durch deſſen Ritze ſie ihn ungeſehen be¬ trachten konnten. Lenore fand ihn ſehr ſchoͤn. Fia¬ metta dagegen kritiſirte, heimlich fluͤſternd, ſein ſchlich¬ tes braunes Haar, ſeinen dreiſten Gang und ſeltſa¬ men Anzug. — Als er an die Mauer kam, ſagte ſie leis: ich ſchreck' ihn. Lenore fuhr abwehrend nach ihrer Hand, aber die kleine Marcheſin hatte ſchon den, uͤber die Mauer heruͤberlangenden Aſt eines bluͤhenden Apfelbaumes gefaßt und ſchuͤttelte kurz und raſch, daß Fortunat von den Bluͤtenflocken ganz verſchneit war; dann liefen ſie beide ſchnell davon. Fortunat aber war heute laͤngſt uͤber alles Ver¬ wundern hinaus. Schon beim Erwachen in den hohen Truͤmaux blickend, der Himmel und Baͤume abſpiegelte, hatte er geglaubt, ſo entkleidet mitten im Garten zu liegen und war erſchrocken aufgeſprungen; da hoͤrte er draußen Lachen und Maͤdchenſtimmen in den ſchoͤnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/197
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/197>, abgerufen am 28.04.2024.