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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

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sensibeln Nerven beginnt, in der äußerlichen, unmittelbar
wahrnehmbar werdenden Bewegung zu einer vorher noch
nicht erreichten Entwickelungsphase gelangt, so erfährt auch
der seelische Vorgang, dessen wir uns als der gleichsam
inneren Seite jenes Lebensvorganges unmittelbar bewußt
werden, in der Ausdrucksbewegung eine Entwickelung, die
er eben nur in ihr erfahren kann.

Wir werden so, indem wir die leibliche Seite der
sogenannten seelischen Vorgänge anerkennen, zugleich dem
geistigen Werthe gewisser körperlicher Vorgänge gerecht, in
denen wir mehr ein Symbol des geistigen Lebens als eine
Erscheinung dieses Lebens selbst zu sehen gewöhnt sind.
Denn wenn wir sonst den geistigen Werth der Ausdrucks¬
bewegungen in einer Bedeutung finden, die ihnen beige¬
legt werden müsse, so erkennen wir nun, daß in ihnen
und durch sie ein vorher noch nicht vorhandenes geistiges
Gebilde überhaupt erst zur Entstehung gelangt. Wie sollte
auch ein Vergleich möglich sein, zwischen einem voraus¬
gesetzten, noch nicht in die Ausdrucksform eingegangenen
psychischen Gebilde einerseits und dem Ausdruck anderer¬
seits? Und dann, bei der durchgängigen Abhängigkeit
seelischer Vorgänge von leiblichen würde die Annahme,
daß die Ausdrucksbewegung eben nur etwas ausdrücke,
was schon vor ihrem Eintreten vorhanden sei, zu dem
Widersinn führen, daß ein und derselbe psychische Vorgang
an zwei verschiedene physische Vorgänge gebunden sei.
Will man diesen Widerspruch vermeiden, so kann man dies
nur dadurch, daß man entweder in jene alte Lehre zurück¬

ſenſibeln Nerven beginnt, in der äußerlichen, unmittelbar
wahrnehmbar werdenden Bewegung zu einer vorher noch
nicht erreichten Entwickelungsphaſe gelangt, ſo erfährt auch
der ſeeliſche Vorgang, deſſen wir uns als der gleichſam
inneren Seite jenes Lebensvorganges unmittelbar bewußt
werden, in der Ausdrucksbewegung eine Entwickelung, die
er eben nur in ihr erfahren kann.

Wir werden ſo, indem wir die leibliche Seite der
ſogenannten ſeeliſchen Vorgänge anerkennen, zugleich dem
geiſtigen Werthe gewiſſer körperlicher Vorgänge gerecht, in
denen wir mehr ein Symbol des geiſtigen Lebens als eine
Erſcheinung dieſes Lebens ſelbſt zu ſehen gewöhnt ſind.
Denn wenn wir ſonſt den geiſtigen Werth der Ausdrucks¬
bewegungen in einer Bedeutung finden, die ihnen beige¬
legt werden müſſe, ſo erkennen wir nun, daß in ihnen
und durch ſie ein vorher noch nicht vorhandenes geiſtiges
Gebilde überhaupt erſt zur Entſtehung gelangt. Wie ſollte
auch ein Vergleich möglich ſein, zwiſchen einem voraus¬
geſetzten, noch nicht in die Ausdrucksform eingegangenen
pſychiſchen Gebilde einerſeits und dem Ausdruck anderer¬
ſeits? Und dann, bei der durchgängigen Abhängigkeit
ſeeliſcher Vorgänge von leiblichen würde die Annahme,
daß die Ausdrucksbewegung eben nur etwas ausdrücke,
was ſchon vor ihrem Eintreten vorhanden ſei, zu dem
Widerſinn führen, daß ein und derſelbe pſychiſche Vorgang
an zwei verſchiedene phyſiſche Vorgänge gebunden ſei.
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nur dadurch, daß man entweder in jene alte Lehre zurück¬

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[8/0020] ſenſibeln Nerven beginnt, in der äußerlichen, unmittelbar wahrnehmbar werdenden Bewegung zu einer vorher noch nicht erreichten Entwickelungsphaſe gelangt, ſo erfährt auch der ſeeliſche Vorgang, deſſen wir uns als der gleichſam inneren Seite jenes Lebensvorganges unmittelbar bewußt werden, in der Ausdrucksbewegung eine Entwickelung, die er eben nur in ihr erfahren kann. Wir werden ſo, indem wir die leibliche Seite der ſogenannten ſeeliſchen Vorgänge anerkennen, zugleich dem geiſtigen Werthe gewiſſer körperlicher Vorgänge gerecht, in denen wir mehr ein Symbol des geiſtigen Lebens als eine Erſcheinung dieſes Lebens ſelbſt zu ſehen gewöhnt ſind. Denn wenn wir ſonſt den geiſtigen Werth der Ausdrucks¬ bewegungen in einer Bedeutung finden, die ihnen beige¬ legt werden müſſe, ſo erkennen wir nun, daß in ihnen und durch ſie ein vorher noch nicht vorhandenes geiſtiges Gebilde überhaupt erſt zur Entſtehung gelangt. Wie ſollte auch ein Vergleich möglich ſein, zwiſchen einem voraus¬ geſetzten, noch nicht in die Ausdrucksform eingegangenen pſychiſchen Gebilde einerſeits und dem Ausdruck anderer¬ ſeits? Und dann, bei der durchgängigen Abhängigkeit ſeeliſcher Vorgänge von leiblichen würde die Annahme, daß die Ausdrucksbewegung eben nur etwas ausdrücke, was ſchon vor ihrem Eintreten vorhanden ſei, zu dem Widerſinn führen, daß ein und derſelbe pſychiſche Vorgang an zwei verſchiedene phyſiſche Vorgänge gebunden ſei. Will man dieſen Widerſpruch vermeiden, ſo kann man dies nur dadurch, daß man entweder in jene alte Lehre zurück¬

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Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/20>, abgerufen am 26.04.2024.